In Gedanken: singen. Ralf Peters

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In Gedanken: singen - Ralf Peters

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Yma Sumac oder Enrico Caruso, der von sich sagte, auch Bass singen zu können, gelten als Sonderbegabungen. Die normale Stimme hat einen Umfang von zwei bis zweieinhalb Oktaven, heißt es, die sängerisch ausgebildet und geschult werden können. Wolfsohn hat richtig gesehen, dass diese Beschränkung nichts mit einer natürlichen Anlage der Stimme zu tun hat, sondern eine kulturelle Konstruktion darstellt. Eine Konstruktion, würde ich hinzufügen, die kulturell wieder aufgehoben werden kann, sobald sich die Bedingungen für eine solche Bewegung günstig fügen. Heute, in Zeiten globalisierter Ohren, die das europäische Stimmideal längst relativiert haben, klingt die Behauptung Wolfsohns viel weniger radikal als in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wolfsohn war der Pionier der Stimmbefreiung, in Zeiten, als der Begriff Weltmusik noch nicht existierte und die Don Kosaken so ziemlich das Exotischste waren, was man in Mitteleuropa hören konnte.

      Auf den Prozess der Stimmbefreiung wartete noch ein weiterer großer Schritt, der uns von Ivan Rebroff und den Don Kosaken weit weg führt. Aus einer künstlerischen Perspektive muss man sich fragen, was man mit einer Multi-Oktavenstimme wie der von Rebroff oder den Schülern Alfred Wolfsohns anfangen soll. Rebroffs Antwort bestand darin, sich in die russische Tradition einzugliedern, in der die ganz tiefe und die sehr hohe männliche Stimme eine Geschichte haben. Mit seinem Pseudonym Ivan Rebroff machte sich Hans Rolf Rippert zu einem russischen Sänger und war mit dieser Strategie überaus erfolgreich, nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und in Russland selbst! Aber man kann schwerlich behaupten, dass er mit seinem Gesang künstlerisch wegweisende Pfade gebahnt hätte. Auch Wolfsohn stand in den fünfziger Jahren vor diesem Problem. Künstlerisch betrachtet ist es nicht besonders sinnvoll, wenn ein Sänger oder eine Sängerin alle Arien der Zauberflöte singen kann. Es braucht Komponisten, die für diese neuen Stimme schreiben. Die ersten Versuche auf dem Feld blieben sehr eng an konventionelle Ideen von Musik gebunden und dadurch kam die Gefahr auf, dass die Stimmen, die sich in sechs Oktaven leicht bewegten, als eine Art akrobatischer Zirkusnummer verstanden wurden, eher skurril erscheinend als künstlerisch wertvoll. Die Lösung dieses Problems bahnte sich an mit dem nächsten revolutionären Schritt der Befreiung der Stimme aus den Fesseln eines einengenden Stimmverständnisses. In der Arbeit mit seinen Schülern, unter denen Roy Hart eine zentrale Rolle einnahm, erkannte Wolfsohn, dass es nicht nur darum gehen konnte, die Stimme im Rahmen klassischer Vorstellungen von Gesang zu befreien, sondern dass die kulturelle Unterscheidung zwischen Stimmklängen, die schön sind und sich deshalb für das Singen eignen und all den anderen stimmlichen Äußerungen aufgegeben werden muss. In Wolfsohns Stimmunterricht spielte diese Unterscheidung schon lange keine Rolle mehr. Wolfsohn hörte bei seinen Schülern mit gleichbleibender Neugierde auf alle Stimmklänge, die sich zeigen wollten. Nun aber wurde ihm klar, dass das ganze Feld der stimmlichen Möglichkeiten potenziell Material für Stimmkunst darstellt. Oder anders gesagt: Jeder Stimmklang ist Gesang! Wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte nicht nur Europas, sondern aller so genannten Hochkulturen, wurde die Trennung zwischen schönen Stimmklängen, die Gesang erzeugen einerseits und den hässlichen Stimmanteilen, mit denen allenfalls Geschrei entsteht, aufgehoben. Es sollte Roy Hart und seinem Roy Hart Theatre vorbehalten bleiben, diese Einsicht in die künstlerische Tat umzusetzen. Der Meisterschüler Wolfsohns hat Zeit seines Lebens nach Wegen und Formen gesucht, die ganze menschliche Stimme in die Kunst einzubringen. Dafür bot sich Ende der 60er Jahre besonders das experimentelle Theater an, das an vielen Stellen Europas entstand. Im Roy Hart Theatre wurde das Bühnengeschehen ganz aus der Stimme heraus entwickelt und gestaltet. Als Solokünstler hat Roy Hart mit verschiedenen Komponisten der Neuen Musik, wie Stockhausen, Henze, Maxwell-Davies zusammengearbeitet, um dort Freiraum zu finden für die einzigartigen Möglichkeiten seiner Stimme.

      Auf meine Weise führe ich die Suche heute weiter und dabei bin ich mit meinen künstlerischen Partnern in den letzten Jahren mitten in der Performance Art gelandet. Dort findet die Stimme die größte Freiheit von musikalischen Vorgaben und ist ganz neuen und anderen Herausforderungen ausgesetzt als im Konzert oder auf der Theaterbühne. Diese Forschungsreise hat gerade erst begonnen. Doch initiiert wurde sie in mir anscheinend in frühen Kindheitstagen, durch eine Schallplatte mit der faszinierenden Stimme eines Mannes, der so anders klang als alle anderen Sänger, die ich kannte. Aus welchen Gründen auch immer ist mir damals ganz unbeabsichtigt eine Abstraktionsleistung gelungen, die mich heute noch erstaunt. Ich habe damals die prachtvolle Stimme Rebroffs von der Musik, die sie sang, getrennt und meine Neugierde ganz auf die Stimme als solche gerichtet. Von heute aus betrachtet wurde diese Erkenntnis zu einem versteckten Wegweiser durch mein Leben, den ich zwar viele Jahre kaum bemerkt habe, dem ich aber trotzdem gefolgt bin. Irgendwann konnte ich zum Glück sehen, dass genau in dieser Abstraktion und dem Fokus auf die Stimme als solche das Thema liegt, mit dem ich mich als Künstler, als Lehrer und als Denker beschäftigen möchte.

      1 Der Text ist erstmals erschienen in: Mühleis /Sternagel (Hg.): Die Gegenstände unserer Kindheit, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2019, S. 111–119.

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