Henkersmahl. Bärbel Böcker

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Henkersmahl - Bärbel Böcker

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einen Augenblick, insbesondere, weil der Mann ihn nun anherrschte: »Mal ’n bisschen hoppla, ja?«

      Er spürte, wie Ärger in ihm aufstieg, und war schlagartig hellwach. Zur vollen Länge aufgerichtet fixierte er den Mann und behielt die Karte fest in der Hand.

      »Irgendwelche Probleme?«, fragte der Kontrolleur bissig.

      »Ja.« Florian ließ sich kurz Zeit, bevor er weiter sprach. »Mit Menschen, die sich wie Sie auf verdammt widerliche Art aufspielen.«

      Eine tiefe Röte breitete sich im grobschlächtigen Gesicht des Kontrolleurs aus, und an seiner linken Schläfe schwoll eine Ader gefährlich an. »Ich mache hier meinen Job, sonst nichts.« Der harsche Tonfall stand allerdings im Gegensatz zur nervösen Handbewegung, mit der er sich über die Glatze fuhr.

      Die Bremsen der Bahn quietschten, und Florian musste aufpassen, dass er nicht das Gleichgewicht verlor. Er hielt sich an der nächst besten Stange fest. In diesem Moment kam der Zug zum Stehen. Florian riss dem Kontrolleur das Ticket aus der Hand und fasste den Mann, den er um anderthalb Köpfe überragte, fest am Kragen. Er zog ihn zu sich heran. »Demnächst erledigen Sie Ihren Job aber bitte mit etwas mehr Respekt!« Ohne sich noch einmal umzublicken, machte er einen großen Sprung durch die Tür und landete sicher auf dem Bahnsteig.

      3

      In der Redaktion, die ihre Räume in einem Altbau am Hansaring in unmittelbarer Nähe des Mediaparks hatte, ging es trotz der frühen Stunde – es war erst kurz nach halb neun – bereits hektisch zu.

      Obwohl der Mediapark, errichtet auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Gereon, als themenbezogener Stadtteil in der Medienbranche eine gute Adresse war, hatte Florians Chefin der Verlockung, in eines der modernen Hochhäuser umzusiedeln, widerstanden und war ihrem alten Büro am Hansaring mit dem Fischgrätparkett, den Stuckdecken und den großen Flügeltüren treu geblieben. Florian liebte Regine Liebermann dafür. Er fand es zwar schön, hin und wieder in der Mittagspause durch den Mediapark zu spazieren und sich ein wenig wie in Klein-Manhattan zu fühlen, wenn er auf den fast 150 Meter hohen Köln-Turm blickte, der den Dom und das Kölner Städtepanorama widerspiegelte, aber richtig wohl fühlte er sich grundsätzlich nur, wenn er von älteren Mauern umgeben war. Die Jahrzehnte, die die alten Gebäude auf dem Buckel hatten, verströmten eine ganz andere Aura, und diese zog er eindeutig der Kühle moderner Architektur vor. Inzwischen hatten sich im Mediapark mehr als 250 Medien- und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt, und wenn große Leinwandstars zu ihren Filmpremieren einflogen und abends vor dem Cinedom im Scheinwerferlicht über den roten Teppich schwebten, stellte sich sogar etwas Hollywood-Glamour ein, was ihn jedoch nicht wesentlich beeindruckte.

      Jetzt, da er die altehrwürdigen Büroräume von Profi Entertainment betrat, fühlte er sich sofort wie zu Hause. Sein Blick fiel auf die Garderobe, es war kein Bügel mehr frei. Rasch schlüpfte er aus dem Trenchcoat, stülpte ihn achtlos über eine grüne Wildlederjacke, die so teuer aussah, dass sie nur seiner Chefin gehören konnte, nahm die Zeitung aus der Manteltasche und ging mit schnellen Schritten zur Küche. Dabei bemerkte er ein neues Foto, das neben den zehn glasgerahmten an die Wand gehängt war. Allesamt zeigten sie Jörn Carlo inmitten von prominenten Talkgästen. Auf dem neuen Foto war der Moderator mit dem Oberbürgermeister und einer stadtbekannten Kabarettistin zu sehen. Carlo starrte mit gerecktem Hals gebannt in ihr tiefes Dekolleté.

      Das ist wieder mal ganz und gar typisch für ihn, dachte Florian, gib ihm attraktive Frauen mit dicken Möpsen und Carlo ist zufrieden. Er gab dem Bild nicht mehr als einen halben Tag.

      Florian riss sich von dem Foto los und hastete weiter. In den meisten Büros wurde schon gearbeitet. Telefone klingelten, Stimmengewirr drang an sein Ohr. Aber er brauchte erst mal einen Kaffee, bevor er anfangen konnte. Meistens wurde der Kaffee von Theo gekocht, dem Praktikanten, und Florian hoffte, dass noch eine Tasse für ihn übrig war. Von den Kollegen hielt es im Prinzip nie jemand für nötig, Kaffee aufzusetzen. Sie bedienten sich zwar gern, doch den Rest sollte Theo erledigen. Die Redakteurinnen und vor allem die Redakteure hatten eben Wichtigeres zu tun.

      Als er die Küchentür öffnete, sah er zuallererst Jana. Er hatte bisher nicht oft mit ihr gesprochen, aber immer, wenn er ihr begegnete, war er überrascht darüber, wie gepflegt sie aussah. Florian fragte sich, ob dieser Eindruck vielleicht einzig ihrem Ultra-Kurzhaarschnitt zuzuschreiben war, der perfekt zu ihren klaren Gesichtszügen passte und besonders ihre schmale Nase und den breiten, dabei gut proportionierten Mund zur Geltung brachte. An ihrer Kleidung allein konnte es jedenfalls nicht liegen, denn es kam ebenso vor, dass sie derbe Stiefel zu ausgewaschenen Jeans und einem weiten Rollkragenpullover trug wie ein klassisch geschnittenes Kleid aus Rohseide. Heute hatte sie sich für die Jeans-Variante entschieden. Sie lehnte lässig an der Arbeitsplatte der Einbauküche. Florian bemerkte, dass sie sich langsam mit der linken Hand über ihr kurzes dunkelbraunes Haar strich.

      Sie sagte: »Die Zeit ist ziemlich knapp, Max, und ich bin nicht sicher, ob ich das für dich machen kann. Wenn es auffliegt, werde ich Probleme bekommen.«

      Max, Redaktionsleiter und damit sein direkter Vorgesetzter, antwortete grinsend: »Wie ich dich kenne, wirst du so geschickt vorgehen, dass niemand auch nur das Geringste merkt.«

      Jana drehte den Becher zwischen ihren Händen. »Ich werde darüber nachdenken.« Sie sah von Max zu Florian und begrüßte ihn lächelnd: »Hi, auch schon wach?«

      »Nicht wirklich.« Florian warf seine Zeitung auf den Tisch zu dem Stapel anderer Zeitungen, griff in das Regal neben Max und angelte sich eine Tasse. Obwohl der Frühling bereits in der Luft lag, war es morgens ziemlich frisch. Das heiße Getränk tat ihm gut. Er stellte sich neben Jana und sah Max, der immer noch schwieg, fragend an: »Störe ich?«

      »Nein, ist schon in Ordnung«, antwortete Max. Er fühlte sich dazu animiert, eine Erklärung abzugeben. »Wir haben uns gerade Gedanken über die morgige Sendung gemacht.«

      »Und was hat Jana damit zu tun? Soll sie uns eine neue Datenbank aufbauen?«

      »Nein. Es geht um etwas ganz anderes«, sagte Jana und wandte sich wieder an Max: »Sag mal, wie ist denn überhaupt der Stand bei diesem mysteriösen Krankheitsthema?«

      Florian fragte sich, was hier eigentlich vorging. Wahrscheinlich hatte Max die Kollegin am Wickel, um sie in letzter Minute noch in eine Aktion einzuspannen, von der er sich erhoffte, Weiteres über die Erkrankungen zu erfahren. Wenn Max an einem Thema dran war, ließ er nicht locker.

      Florian kannte Max von Kindesbeinen an, sie waren befreundet, und inzwischen arbeiteten sie zusammen, bereits seit über einem Jahr. Max’ Ideenreichtum bei der Recherche und der Biss, mit dem er Sendungen vorbereitete, imponierten ihm. Dass die Chefin Max vor drei Monaten zum Redaktionsleiter befördert hatte, konnte er gut nachvollziehen.

      Jetzt sagte Max, dessen struppiges blondes Haar noch feucht war von der morgendlichen Dusche, zu Jana: »Knapp 30 Personen hat es bislang erwischt. Fünf waren bereits bewusstlos, als sie ins Krankenhaus kamen. Angehörige oder Freunde haben sie gefunden. Derzeit versuchen Forscher vom Paul-Ehrlich- und Robert-Koch-Institut herauszufinden, ob es sich um eine epidemieartige Virusinfektion oder um eine Nahrungsmittelvergiftung handelt.«

      Florian dachte laut nach: »Wer weiß, wann es den ersten Todesfall gibt. Die Betroffenen haben Glück gehabt, dass sie rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen sind.«

      »Wer allein ist und bewusstlos wird, hat vermutlich schlechte Karten«, sagte Jana trocken.

      »Ja, das sehe ich auch so. Ich war im Krankenhaus und habe versucht, aus den Ärzten was rauszukriegen, aber ich hatte keine Chance. Angeblich gibt es bislang keine Erkenntnisse.« Über Max’ Gesicht

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