Hitlers Staatsfinanzen. Hermann Dommach
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Präsident Saemisch verschaffte sich als Reichssparkommissar Zugang zu den Sitzungen des Reichskabinetts und hatte nicht nur dadurch, sondern auch durch die Kenntnis der Haushaltsplanung einen Wissensvorsprung vor dem Rechnungshof9. Er versammelte in seinem Sparbüro Spitzenkräfte, deren Vergütung er selbst festlegen konnte, und zog Personal sowie Prüfungsthemen aus dem Rechnungshof an sich, eine Methode, die nach dem Krieg auch noch zwischen dem Bundesrechnungshof und dessen Präsident als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) praktiziert wurde.
Saemisch konnte seine Prüfungs- und Gutachtertätigkeit auf die Länder und größere Kommunen ausweiten, sodass er schon bald als der beste Kenner der Staatsfinanzen in der Weimarer Republik und in der Öffentlichkeit als bekannteste Persönlichkeit galt10. Den RRH hebelte Saemisch auch dadurch aus, dass er vorrangig Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen betrieb, während dem Rechnungshof die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Staatsfinanzen verblieb, die er mit den Vorprüfungsstellen der Verwaltung erledigte. Die in den Verwaltungen installierten Vorprüfungsstellen hatten alle Rechnungen rechnerisch und förmlich vorzuprüfen. Die sachliche Kontrolle blieb dem RRH vorbehalten.
Diese unterschiedliche Entwicklung spielte nach Ausbruch des Kriegs eine erhebliche Rolle, als der RRH die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit als Kernaufgabe betrieb, um Konflikte mit dem NS-Regime zu vermeiden und sich als kriegswichtige Instanz zu etablieren.
1.4 Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr
Als der Phönix-Lohmann-Skandal die geheime Aufrüstung der Reichswehr und damit den Verstoß gegen den Versailler Vertrag aufdeckte, nutzte Saemisch die Gelegenheit, den RRH aus der Prüfung der Reichswehr zu verdrängen. Auf seine Initiative wurde ein sogenannter Mitprüfungsausschuss11 gebildet, der unter seiner Mitwirkung die Prüfung der Reichswehr in ein Vorprüfungsfeld verlagerte und damit verhinderte, dass der RRH Beanstandungen bei der Reichswehr in seine Bemerkungen aufnahm und diese dadurch an die Öffentlichkeit gelangten. Im Kern ging es also um eine Beschneidung der Berichterstattung des RRH an das Parlament12.
1.5 Der Verlust der Reichsbahnprüfung
Durch die Privatisierung der Reichsbahn im Jahr 1924 verlor der RRH seine Prü-fungskompetenz13. Die Prüfung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung stand der Reichsregierung zu, die allerdings die Prüfung von Jahr zu Jahr dem Rechnungshof übertrug. Gleichzeitig richtete die Reichsbahn ein Hauptprüfungsamt als selbständiges Vorprüfungsorgan ein. Als im Jahr 1930 eine Novellierung des Reichsbahngesetzes anstand, kam es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Präsidenten des RRH und dem Gesamtkollegium. Saemisch, der mit den bisherigen Prüfungen des RRH unzufrieden war und ihn in kaufmännischen Fragen für überfordert hielt, vereinbarte hinter dem Rücken des Kollegiums mit der Reichsregierung, die Bilanzprüfung bei der Reichsbahn künftig nur noch ihm und einem Direktor der Revisions- und Treuhandgesellschaft (Treuarbeit) zu überlassen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er war. Die Geheimabsprache, die dem Kollegium auf Umwegen bekannt wurde, löste im RRH einen Sturm der Entrüstung aus und soll sogar im Jahr 1932 zum vorzeitigen Ausscheiden des Vizepräsidenten Markmann geführt haben14. Das Kollegium verzieh seinem Präsidenten den Winkelzug nie, dessen Widerstand bestärkte aber Saemisch in seinen Bemühungen, die Abschaffung des Kollegialprinzips zu betreiben und durch das Führerprinzip zu ersetzen. Auch nach der Verstaatlichung der Reichsbahngesellschaft im Jahr 1937 wurde die Prüfung der Eisenbahnrechnungen dem eigens dafür gegründeten Hauptprüfungsamt und der alleinigen Begutachtung des Jahresabschlusses durch Präsident Saemisch übertragen15.
1 Abschnitt IV §§ 87ff. Reichshaushaltsordnung (RHO) vom 31.12.1922, RGBl 1923 II S. 17ff.
2 Ebenda, Abschnitt V § 121 RHO.
3 Ebenda, § 108 RHO.
4 Zweite Änderung der RHO (kurz: Zweite Novelle zur RHO) vom 13.12.1933 RGBl II, S. 1007ff., Borzikowsky, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfungswesen, S. 215.
5 Dommach, Der Reichssparkommissar Moritz Saemisch in der Weimarer Republik, S. 37ff.
6 Von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Oberrechnungskammer zum Bundesrechnungshof, S. 74ff.
7 Vierte Novelle zur RHO vom 17.6.1936 RGBl II, S. 209.
8 Bracher, Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, S. 17.
9 Richtlinien vom 18.2.1927, Reichsfinanzblatt, S. 141.
10 Dommach, Von Potsdam nach Frankfurt, S. 24.
11 Ebenda.
12 Oshima in FinanzArchiv NF 38 Bd. 2, S. 197.
13 Das Reichsbahngesetz vom 12.2.1924 ließ zu, das Unternehmen nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen.
14 BA (Bundesarchiv), bestand N 171 (NL Saemisch) Bd. 126 Deutsche Reichsbahn, S. 1–81. Als das Kollegium des RRH am 5.2.1931 verlangte, der Reichsregierung seine Auffassung zur Reichsbahnfrage darzulegen und darauf hinzuweisen, dass das Verhalten der Reichsregierung geeignet sei, der Stellung des Rechnungshofs Abbruch zu tun, vereitelte Präsident Saemisch die Absendung des Schreibens und sorgte dafür, dass die Reichsregierung der Intervention des Kollegiums durch einen von ihm formulierten Brief zuvorkam.
15 Reichsgesetz vom 10.2.1937.
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