Fürchte die Dunkelheit. Peter Gerdes
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Der Blick ihrer graublauen Augen war offensiv, unverfroren, fast aggressiv. Auf unsichere Gemüter mochte er einschüchternd wirken. Bei Befragungen konnte das hinderlich sein. Stahnke nahm sich vor, ihr das bei Gelegenheit einmal zu sagen.
»Arbeit für Sie«, sagte er stattdessen. »Rufen Sie mal im Krankenhaus an, ob unser Opfer schon vernehmungsfähig ist. Kramer hat die Daten. Falls ja, sagen Sie Bescheid.« Einer spontanen Idee folgend, fügte er noch hinzu: »Dann gehen wir beide mal rüber.«
Eigentlich könnte sie das auch alleine übernehmen, überlegte Stahnke, als seine beiden Mitarbeiter das Büro verließen. Wäre vielleicht sogar sinnvoller, so von Frau zu Frau. Außerdem hatten sie momentan weiß Gott genug zu tun. Der tote Alki von letzter Woche war noch immer nicht identifiziert. Niedergeschlagen mit einem schweren, glatten Gegenstand, vermutlich einer Metallstange, und dann zum Sterben liegen gelassen, mitten in einer Leeraner Wohnstraße; mit großer Wahrscheinlichkeit Totschlag unter Saufkumpanen, bisher aber gab es noch keinen einzigen Hinweis. Auch in dieser Moormerländer Sache von gestern bestand noch Ermittlungsbedarf. Vorsätzlicher Mord oder Totschlag im Affekt – der erschossenen Ehefrau war das vermutlich egal.
Und warum stahl er sich jetzt auch noch selber Zeit durch einen vermutlich überflüssigen Gesprächstermin? Aus Neugier wahrscheinlich. Stahnke nickte bedächtig ein paar Aktendeckeln zu. Ja, das klang plausibel. Neugierig war er tatsächlich. Eine Schwäche von ihm. Und zugleich eine seiner Stärken. Auf jeden Fall sehr nützlich im Beruf.
Aber wenn er ehrlich war …
Die Bürotür öffnete sich erneut, wieder ohne dass angeklopft worden wäre, und Stahnke war nicht überrascht, seinen direkten Vorgesetzten zu erblicken. Kriminaloberrat Fritz Manninga suchte gern den Kontakt zu seinen Leuten, tauchte häufig in deren Amtsstuben auf, meistens ohne konkreten Grund oder offenkundige Kontrollabsichten. Nur so früh am Morgen begegnete man ihm eher selten.
»Na, mein Bester, interne Frühbesprechung schon beendet?« Manninga streckte seine nikotingelbe Hand über Stahnkes Schreibtisch, und der Hauptkommissar erhob sich, um für das kleine Ritual gerüstet zu sein. Manninga war fast dreiundsechzig, gab sich großväterlich und kokettierte gern mit seiner bevorstehenden Pensionierung, verfügte aber nach wie vor über Bärenkräfte. Und er hatte einen kindlichen Spaß daran, diese Kräfte zu messen.
Der Moment des Zufassens war entscheidend, das wusste Stahnke aus böser Erfahrung. Gelang es einem der beiden, seinen Griff so anzusetzen, dass er Druck auf die Fingergelenke und die Knöchel des anderen ausüben konnte, dann war das Duell schnell beendet. Auch ein Ehering konnte verhängnisvoll sein, vor allem ein etwas zu großer, der sich unter Druck verkantete und seinem Träger unerträgliche Schmerzen verursachte. Zum Glück trug er seit Jahren keinen mehr. Zum Glück? Ja, doch, inzwischen konnte er das so sehen, lange genug hatte es gedauert, die Trennung von Katharina zu überwinden. Auch Manninga trug keinen Ring. Witwer war er, seit vielen Jahren schon. Also irgendwie gleiche Voraussetzungen.
Zwei Pranken schnellten vor wie Klapperschlangenköpfe, zwei Daumen rasteten ein, zwei Satz Finger umschlossen einander, zwei Kiefer verkrampften sich, zwei Muskelpakete traten in Aktion. Aber nur einen Augenblick lang, dann war das Duell gelaufen. Dies war ein typischer Remis-Griff, der keinem der beiden einen Vorteil verschaffte, das spürten die Kontrahenten sofort. Muskel traf auf Muskel, Druck auf festes Fleisch. Patt. Grinsend ließen sie los.
Manninga pflanzte seinen breit gebauten Körper auf den wackeligen Besucherstuhl und bedeutete auch seinem Hauptkommissar, Platz zu nehmen. »Na, viel zu tun im Moment?«
Stahnke horchte auf. Natürlich wusste Manninga genau, welche Fälle sein 1. Fachkommissariat derzeit bearbeitete. Solch eine Frage konnte nur bedeuten, dass neue Arbeit auf ihn und seine Leute zukam.
Auch Kramer musste das mitbekommen haben, denn seine schmale Gestalt tauchte plötzlich im Durchgang auf. Der Oberkommissar schien über ein körpereigenes Sonar für solche Dinge zu verfügen, wie ein Delfin. Oder vielmehr über ein angeborenes Radar, wie eine Fledermaus, das kam besser hin, rein figürlich. Jedenfalls stand er mit verschränkten Armen im Durchgang und schwieg auffordernd, wie nur er schweigen konnte.
»Geht so«, sagte Stahnke. »Könnte schlimmer sein.«
»In der Tat«, erwiderte Manninga und nickte bedächtig. »Schlimmer geht’s immer, nicht wahr, das muss uns alten Haudegen keiner mehr erzählen, was? Womit ich Sie natürlich nicht älter machen will, als Sie sind, Stahnke. Fünfzig sind Sie jetzt, nicht wahr? Oder wie war das?«
»So etwa«, sagte Stahnke. Etwa fünfzig, das reichte, genauer musste das keiner wissen. Er selbst schon gar nicht. Also besser zurück zum Thema. »Tja, wie schlimm kommt es denn nun?«
Manninga strich sich ein paar Strähnen seines dichten, etwas filzigen grauen Haarschopfs aus der Stirn. »Der Fall Frerichs«, sagte er in bekümmertem Tonfall. »Draußen in Moormerland. Die erschossene Frau. Wie weit sind Sie damit?«
Stahnke zuckte die Achseln. »Die Täterschaft ist eindeutig, auch wenn der Mann bisher schweigt. Die Waffe haben wir auch. Heimtückischer Mord oder Totschlag im Affekt, das ist noch die Frage. Motiv – vermutlich Eheprobleme. Sicher, da ist noch einiges zu klären, aber das läuft uns ja nicht weg.« Während seines kurzen Vortrags wurde es Stahnke zunehmend unbehaglicher zu Mute. Sein eigenes Denken und Handeln kam ihm jetzt unglaublich schematisch vor. Ungewohnt. Und unverantwortlich.
Aber durfte ein Fall denn nicht auch einmal klar liegen? Schließlich war in jedem zweiten Fall von Mord oder Totschlag an einer Frau das Opfer mit dem Täter verwandt, verheiratet oder eng befreundet. Die Statistik war da eindeutig. Gewalt innerhalb einer Beziehung war längst ein Straftatbestand wie jeder andere. Allerdings ein überproportional häufiger.
»Wir dürfen diese Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Manninga. »Die Leute reden.«
Ach ja, die Leute. Manninga gab viel auf Volkes Stimme, und er war sehr besorgt um den Ruf seiner Inspektion und damit seinen eigenen. Mit schlechter Presse konnte er leben, wenn nur die Leute nicht murrten.
»Die Leute reden doch immer«, sagte Stahnke, aber es klang nicht überzeugend, nicht einmal für ihn selbst. Also fragte er: »Was reden sie denn diesmal?«
»Über Esdert Frerichs reden sie«, sagte Manninga. »Jetzt, wo er sitzt. Klar. Vorher gab’s kein böses Wort über ihn. Auf seine Nachbarn lässt man ja nichts kommen. Aber plötzlich …«
Jetzt endlich fiel bei Stahnke der Groschen. Natürlich, Manninga wohnte ja in Veenhusen, und das lag in der Gemeinde Moormerland, ein paar Kilometer nördlich von Leer. Kein Wunder, dass er die Leute reden hörte, wenn es um den Fall Frerichs ging. Nachbarschaftsklatsch, das war es also. Beruhigt lehnte er sich zurück. »Ist er also früher schon gewalttätig gegen seine Frau geworden?«, fragte er. »Hat sie geschlagen und bedroht?«
»Kein Stück«, sagte Manninga. »Die Ehe wird als sehr harmonisch geschildert, auch jetzt noch. Aber sonst, also quasi nach außen hin, soll er sich gelegentlich brutal verhalten haben. Auch gegenüber Frauen. Frauen und Mädchen. Angezeigt hat ihn aber nie eine. Klar.«
»Klar.« Stahnke nickte. Er kannte sie gut, diese dörfliche Verschwiegenheit, die keiner brechen durfte, der nicht ausgestoßen werden wollte wie ein Leprakranker. Und natürlich die Kumpanei der Kerle, die sich in aller Regel auch auf die dazugehörigen Ehefrauen erstreckte. Da wurde von Fahrerflucht bis Vergewaltigung alles gedeckt, was diese doppelkorngesättigten Hirne für Kavaliersdelikte hielten. Nur wenn einer zu weit ging, wenn er ein Tabu