Fürchte die Dunkelheit. Peter Gerdes

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Fürchte die Dunkelheit - Peter Gerdes

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ein Haus gar nicht liegen, dass sich diese Typen nicht binnen kürzester Zeit eingefunden hätten.

      Wie es am äußeren Absperrungsring aussehen mochte, wollte Stahnke gar nicht wissen. Längst hatten Fernsehen, Rundfunk und Presse Wind davon bekommen, dass sich hier am Ortsrand von Veenhusen ein unscheinbares Anwesen als Horror-Szenario des Jahrhunderts entpuppt hatte – jedenfalls nach ostfriesischen Maßstäben. Wer auch immer die Medien informiert hatte, die Krawallsender und die Boulevardblätter mit den bluttriefenden Schlagzeilen natürlich zuerst, hatte keine Zeit verloren. Vermutlich winkten Informanten-Honorare, aber Stahnke glaubte nicht, dass derartige Anreize überhaupt nötig waren. Bloße Sensationsgier und die Lust, wenigstens in der Zuträgerrolle endlich einmal die ersehnte Beachtung zu finden, reichten völlig aus, und diese Eigenschaften waren hierzulande auch nicht weniger stark entwickelt als im Rest der Republik.

      Nur gut, dass Manninga den Tatort weiträumig hatte abriegeln lassen. Irgendwann würde er natürlich nicht umhin kommen, die Medien vorzulassen und wenigstens in groben Zügen zu informieren, noch aber war dieser Zeitpunkt nicht da. Und auf die Idee, einen Hubschrauber für Luftaufnahmen zu chartern, war bisher offenbar noch niemand verfallen. So herrschte rings um das Grabungsareal einstweilen relative Ruhe. Nur diejenigen Nachbarn, deren Häuser innerhalb der Absperrung standen, hatten es bis zur Grundstücksgrenze geschafft. Ein bärtiger Beamter im kurzärmeligen Uniformhemd hinderte diese Leute daran, womöglich auch noch bis zum Tatort selbst vorzudringen, und beteiligte sich dabei eifrig an der plattdeutsch geführten Unterhaltung.

      Der Hauptkommissar wies mit dem Daumen auf die Gaffergruppe: »Haben wir die Personalien von denen da?«

      »Van Dieken hat sie aufgenommen«, sagte Kramer. »Der kennt die sowieso alle. Wohnt ja selber nicht weit von hier.«

      Jetzt erkannte auch Stahnke den knorrigen Streifenbeamten. Er nickte Kramer zu und schlenderte zur Fußgängerbrü­cke hinüber. Bei seiner Annäherung erstarben die Gespräche. Zwei Dutzend Augenpaare schauten ihn erwartungsvoll an.

      »Na, van Dieken, alles im Lot? Geben Sie fleißig Interviews?« Stahnkes Verhältnis zu seinem Schupo-Kollegen war ambivalent. Er schätzte die Erfahrung des Dienstälteren durchaus, seinen gesunden Menschenverstand und seinen guten Draht zu den Leuten. Richtig vertrauen aber konnte er ihm nicht. Zu viel Bauernschläue war in seinen Augen, zu viel Stammtischton in seinen Äußerungen. Bei Leuten dieses Schlages wuss­te man nie, auf welcher Seite sie eigentlich standen.

      »Was soll ich denn groß sagen, Herr Hauptkommissar?« Van Diekens Grinsen zog seinen grauweißen Bart in die Breite. »Ich weiß doch nichts. Und hab ja auch nichts zu sagen. Bin ja nur ein kleines Streifenhörnchen.«

      Stahnke grinste zurück, während er sich fragte, wofür van Dieken ihn denn wohl halten mochte. Vermutlich für ein großes Stinktier, um im Bild zu bleiben.

      »Wer von denen hier ist denn der nächste Nachbar?«, fragte er.

      »Da, der Olthoff«, erwiderte van Dieken und zeigte auf einen beleibten Mann mittleren Alters. »Der wohnt gleich da vorne. Frerichs’ Auffahrt führt über sein Grundstück.«

      »Wie lange wohnt der schon hier?«

      Van Dieken wedelte mit der flachen Hand: »Schon ewig!« Mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: »Da gab’s mal mächtig Ärger vor ein paar Jahren. Das Wegerecht war nämlich nicht ins Grundbuch eingetragen, und als der Frerichs dem Olthoff im Verein mal dumm gekommen ist, hat der ihm einfach die Zufahrt mit Brettern vernagelt. Das ging bis vor Gericht damals.« Van Diekens Augen funkelten. Ja, so etwas mochten die Leute.

      »Und wer hat Recht bekommen?«

      Van Dieken zuckte die Achseln: »Vergleich. Die Zufahrt durfte bleiben, aber Frerichs musste ein bisschen was dafür zahlen. Darauf haben sich die Rechtsanwälte geeinigt.« Der Uniformierte schien diesen Ausgang unbefriedigend zu finden; etwas mehr Dramatik wäre ihm offenbar lieber gewesen. Na, die hatte er ja jetzt.

      »Schicken Sie ihn mir mal her, den Olthoff.« Stahnke wandte sich ab. Der Dicke hatte offenbar mitgehört und folgte ihm ohne weitere Aufforderung über die schmale Brücke, von den Umstehenden wegen dieses Privilegs neidisch beäugt.

      Stahnke führte ihn zur schattigen Terrasse und bot ihm einen der Gartenstühle an. Olthoff nahm Platz, tupfte sich mit einem fleckigen Taschentuch die Schweißperlen von der rosigen Stirnglatze und blickte erwartungsvoll.

      Der Hauptkommissar blickte zurück und schwieg. Drei Kinder, überlegte er, drei tote Kinder. Hier im Garten verscharrt. Zwei davon seit wer weiß wie vielen Jahren schon, eins erst seit relativ kurzer Zeit. Und das hier ist der Nachbar. Ein Dörfler, ein Ostfriese, einer vom Stamm der gewohnheitsmäßigen Pflasterer und Über-den-Zaun-Gucker. Einer, dem sein Nachbar solch ein Dorn im Auge ist, dass er ihm bei passender Gelegenheit die Durchfahrt zubrettert. Was wusste so einer? Was konnte, was musste er wissen?

      Olthoff trug eine beigefarbene Sommerhose, deren Bund zwischen seinen Bauchfalten verschwand, und ein hellgraues, kurzärmliges Hemd mit großen, weiß verkrusteten Schweißflecken unter den Achseln. Seine leicht vorstehenden Augen waren erwartungsvoll geweitet. Er war gespannt, eindeutig – gespannt wie ein Fußballfan vor dem Anpfiff, wie ein Fernsehzuschauer kurz vor Beginn seiner Lieblingsserie. Keine Spur von Schuldbewusstsein oder gar Angst. Im Gegenteil, er schien seine unverhoffte Wichtigkeit zu genießen. Komplizen stellte man sich anders vor.

      Stahnke entschied sich für eine unverfängliche Einstiegsfrage. »Wann haben Sie Esdert Frerichs zuletzt gesehen?«

      Olthoff nickte beifällig; die Frage schien innerhalb seiner Erwartungen zu liegen. »Ja, also, gestern Mittag, nicht wahr. Als er abgeführt wurde. Von Ihren Kollegen.« Der Dicke lächelte erwartungsvoll, als rechne er mit einer guten Note.

      »Hatten Sie die angerufen?«

      »Nein.« Olthoff legte seine rosafarbene Stirn in Falten des Bedauerns. »Ich habe den Schuss nämlich nicht gehört. Muss wohl gerade im Haus gewesen sein. Bei mir ist alles gut isoliert, wissen Sie, Fenster und so, wegen der Bundesstraße, man hätte ja sonst überhaupt keine Ruhe. Aber da waren ja diese Radler, nicht wahr, Ausflügler, die haben’s gehört, und einer von denen hatte ja sein Handy mit.«

      »Natürlich.« Stahnke winkte ab; sicherlich stand das alles in der Akte. Wurde Zeit, dass er sie mal las. »Und davor? Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Esdert Frerichs? Oder mit seiner Frau?«

      Energisches Kopfschütteln: »Überhaupt nicht.«

      »Wieso überhaupt nicht? Sie wohnen doch praktisch … Na ja, vielleicht nicht Tür an Tür, aber doch Grundstück an Grundstück. Da müssen Sie Ihre Nachbarn doch hin und wieder sehen.«

      »Gesehen, ach so, na sicher, wenn Sie das meinen! Ich dachte … Also, Kontakt haben wir nämlich seit Jahren nicht mehr.« Er rollte die Augen gen Himmel. »Seit mehr als viereinhalb Jahren, wenn ich mich nicht irre. Seit dieser Sache vor Gericht.«

      Er holte Luft, aber Stahnke schnitt ihm das Wort ab: »Sie meinen Ihren Rechtsstreit um das Überwegungsrecht. Ja, ich weiß Bescheid. Haben Sie sich nicht verglichen seinerzeit? Damit dürfte die Angelegenheit doch erledigt gewesen sein.«

      »Ja, das ist richtig.« Olthoff schien beeindruckt. Seine Miene nahm einen ehrfurchtsvollen Ausdruck an, der Stahnke peinlich war, denn er wusste ja, was er alles nicht wusste. »Aber erledigt, also na ja, erledigt … Man ist ja doch etwas reserviert nach so was, nicht?«

      »Was heißt das konkret?«

      »Na, dass wir danach eben nicht

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