Nachtigallensteine. Petra Hofmann

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Nachtigallensteine - Petra Hofmann

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Sehr schwierige Situation. Was würde ein Samurai jetzt tun? Was sagt meine Körperintelligenz? Und wo ist mein Radioniker, wenn ich ihn brauche?

      Während ich noch mit Nachdenken beschäftigt bin, sortiert meine Kleine schon die gefallenen Bauern. Ich sehe gerade, dass unter den Opfern auch schon einer meiner Läufer liegt und beide Türme. Ich raffe alle Stoffbahnen und Unterkleider meines Kostüms zusammen, steige mühselig auf das mir noch verbleibende Pferd und reite los.

      „So geht das nicht“, sagt mein Schachgegner. Das Pferd dürfe immer nur zwei vor und dann wahlweise ein Feld zur Seite und nicht um das Schachbrett herumgaloppieren! Darf es nicht? Sagt wer? Ich bin die Königin! Ich darf hier so ziemlich alles! Mein Herausforderer schlägt die Hände vors Gesicht und reibt sich die Stirn.

      Ich reite noch drei weitere Runden um das Brett herum, tränke mein Pferd und lasse es ein paar Löwenzahnblätter fressen, bevor ich es wieder zurück auf sein Feld bringe. Der König heult. Ich atme tief durch, greife nach dem Läufer und schiebe ihn in die einzig mögliche Richtung auf dem Brett. Wie sich das für einen temperamentvollen Sportler gehört, hat er etwas zu viel Speed drauf und erwischt die gegnerische Front leider etwas unsanft. Sie fällt um wie die Kegel bei „alle neune“.

      Jetzt fängt der gegnerische König an zu weinen. Er hat sich einen Zacken aus der Krone gebrochen. Na so was! Mein Spielgegner versucht, die Situation zu retten und alles wieder so herzurichten, wie es war, bevor der olympische Geist mit meinem Läufer durchgegangen ist. „Schach funktioniert nach ganz klaren Regeln und Gesetzen“, muss ich mir anhören. Mein Kind nickt und beerdigt die restlichen Bauern, die einmal zu meinem Hofstaat gehörten.

      Die Situation scheint allmählich aussichtslos zu werden. Blitzschnell schwinge ich mich erneut auf mein Pferd und reite, über alle Hindernisse hinwegspringend, auf die gegnerische Seite, hüpfe von meinem Ross, schenke ihm die Freiheit und verschanze mich in einem der Türme meines Gegners. Dieser weiß schon nicht mehr, was er noch sagen soll.

      Ich flitze die Wendeltreppe im Inneren des Turmes hoch, bis ich ganz oben angekommen bin. Dort löse ich meine locker zusammengehaltenen Haare und lasse meinen dunkelblonden Zopf zwischen den Turmzinnen hindurch nach unten gleiten. Mit einem lauten Pfiff versuche ich, meinem König mitzuteilen, dass er sich beeilen soll. Dieser versteht sofort, greift nach meinen Haaren und klettert zu mir auf den Turm.

      Mein Schachpartner schaut mich belustigt an. Ob wir vielleicht noch eine Runde Mühle spielen wollen, fragt er mich. Er will einfach nur wissen, was dann passiert.

       Schachmatt, Teil 2

      Das Schachspiel, das vor einiger Zeit bei uns eingezogen ist, birgt ein ungeahntes Suchtpotenzial in sich. Zugegeben, es gibt schlimmere Süchte als Schach zu spielen.

      Es handelt sich um ein sehr schönes, aber auch sehr großes Schachbrett. Brett und Figuren sind aus Marmor. Seit es da ist, wurde es nur einmal ausgepackt und nicht wieder weggeräumt. Es steht mitten auf dem Küchentisch. Gegessen wird drumherum. Man könnte meinen, die Tomatensauce von den Spaghetti von heute Mittag wäre das Blut der gefallenen Krieger. Aber dem ist nicht so.

      Schach ist ein sehr feministisches Spiel. Die Frau beschützt den Mann. Und da bei uns Frauen so einiges anders ist, verwundert es auch nicht, dass meine Töchter das Spiel zu dritt spielen. Bob steht in Gesundheitshalbcoolschuhen am Spielfeldrand und gibt Anweisungen.

      Meine Kleine opfert gerade ihren Läufer für einen gegnerischen Bauern. Bob weist auf die Schwere dieses Verlustes hin. „Aber ein Läufer ist doch nicht mehr wert als ein Bauer!“, empört sich mein Kind. Bob holt tief Luft. „Und wenn er Familie hat?“, fügt mein Kind hinzu. Bob lässt die Luft zu den Ohren wieder raus.

      Ich wäre ja dafür, zuerst die Gebäude zu opfern.

      „Frauen können einfach kein Schach spielen“, jammert Bob. Man kann sehen, wie er mit den Händen ringt, um nicht in den Spielverlauf einzugreifen. Ich glaube allerdings, er hat einfach nur Angst um seine Marmorfiguren. Zwei stecken tief im Tomatenmatsch, ein Springer ist in eine Nudel verwickelt und unter den Haferflocken von heute Morgen lugt die Krone eines Königs hervor.

      „Du bist voll rassistisch!“, schnauzt meine Jüngste ihn an. Die Begrifflichkeiten wurden in der Grundschule noch nicht richtig geklärt, aber es geht schon mal in die richtige Richtung.

      Als der Springer einen Satz macht, um sich mit dem Läufer zu prügeln, bricht sich sein Pferd den rechten Vorderlauf. Links neben dem Spielbrett wird in Windeseile ein Lazarett errichtet und das Pferd bekommt ein gelbes Pflaster mit kleinen blauen Seepferdchen drauf. Sehr passend, finde ich. Bob heult. Ich biete ihm ebenfalls ein Pflaster an, aber er will keins.

      Ich kann dem Spiel nicht mehr genau folgen, da ich Patientenberichte auswerte.

      Während ich noch über die Aussage eines männlichen Patienten nachdenke – er sei schwanger, aber wisse nicht, wer die Mutter ist – stürzt der Turm vom Spielfeld. Ein Kind ist mit dem Ärmel der Kapuzenjacke an ihm hängen geblieben und hat ihn mit in den Tod gerissen. „Das ist kein korrekter Schachzug!“, moniert Bob. Aber weil niemand die Figur aus dem gelben Schleim rausholen will, wird das Opfer einfach so hingenommen.

      Wann gab es denn gelben Schleim? Im Geiste gehe ich den Speiseplan der letzten Woche durch, aber es will mir nicht einfallen. Vielleicht hat es sich ja auch nur zu gelbem Schleim entwickelt?

      In diesem Haushalt ist alles möglich.

      Der Küchentisch entwickelt sich zu einem Kriegsschauplatz sondergleichen. Gekämpft wird mittlerweile auch weit außerhalb des Spielfeldes. Schlammcatchen in Grießbreiresten.

      Bob kann es nicht mehr ertragen. Er geht ins Bett. Schließlich muss er morgen spät raus.

       Aller guten Dinge sind drei – Schachmatt, Teil 3

      Die Lösung ist immer das, was gerade ist. Sagt der Meister.

      Ich habe die Nacht im Kaninchenbau des Universums verbracht und über diesen Satz nachgedacht. Ich habe ihn vor und zurück gedacht und dann auch noch mal in umgekehrter Richtung. Die Lösung ist das, was ist.

      Aufgrund leichter Übernächtigung bin ich etwas fahrig, was zur Folge hat, dass mir bei der Zubereitung des Mittagsessens die große, handgetöpferte Tonschüssel mit dem Kartoffelsalat aus den Händen gleitet und auf dem gefliesten Küchenfußboden zerschellt.

      Tonscherben, Kartoffeln in veganer Mayonnaise und kleine Gürkchen vermischen sich gleichmäßig auf dem Boden. Wie das oft so ist, folgt ein Unglück auf das andere, und die Würstchen für die nicht veganen Familienmitglieder stürzen sich wie die Lemminge von der Anrichte in Richtung Kartoffelsalat. Das war Suizid – eindeutig. Gut, vielleicht lag es auch daran, dass ich irgendwie ungeschickt gegen sie gestoßen bin, als ich mich vom Küchenfußboden wieder aufrichten wollte. Wie auch immer das passieren konnte, das weiß nur der Himmel – oder der Kaninchenbau.

      Auf jeden Fall liegen die Würstchen jetzt ebenfalls zwischen Kartoffelmatsch und Tonscherben. Die Lösung ist das, was ist! Hmm. Ist der Kartoffelunfall jetzt die Lösung oder das Problem? Und wenn er die Lösung ist, was war denn vorher das Problem? Meine Kocherei vielleicht? Zugegeben, ich koche nicht mal ansatzweise so gerne, wie ich backe. Backen tue ich mit Leidenschaft. Durch meine Adern fließt Mehl. Aber kochen?

      Mein übermüdetes Gehirn bemüht sich bei der Suche nach der Antwort. Ich kann die überlasteten Ribosomen im Inneren meiner Zellen sehen. Unaufhörlich produzieren sie Gedankenproteinketten.

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