Nachtigallensteine. Petra Hofmann
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„Man fühlt sich so rundum geborgen und sicher bei ihm.“ Das ist wirklich neu. Im Gegensatz zu den Senioren. Da ist nichts neu.
„Was kostet eigentlich so ein Profikiller?“, möchte ich wissen. Meine Freundin schaut mich komisch an. Aber ich bin im Geiste schon wieder bei meinen Vorbereitungen für die Adventsfeier. Kokosnussöl soll ja vorbeugend gegen Demenz helfen. Wir brauchen unbedingt Kokosmakronen. Manchmal ist es wirklich ein Fluch, wenn man die Arbeit nicht einfach mal liegen lassen kann.
„Und man kann sich so herrlich entspannen, weil alles so sicher bei ihm ist.“ Also, irgendwas ist ganz anders als sonst.
Marianengraben
Meine Freundin hat mich total durcheinandergebracht. Also, ihre neue Bekanntschaft hat dafür gesorgt. Genau genommen nicht er persönlich, sondern seine berufliche Tätigkeit. Er arbeitet im Darknet – also gegen das Darknet natürlich.
Seit ich von dessen Existenz erfahren habe, lässt es mich nicht mehr los. Das ist wie mit den Gruselfilmen – die ziehen mich auch total an, aber ich kann dann gar nicht hingucken, wenn es wirklich gruselig wird.
Ich erkundige mich also bei Google über das Darknet und fühle mich selbst schon wie ein Schwerverbrecher.
Dort bezahlt man gar nicht mit Geld, sondern mit Bitcoins – einer speziellen Verbrecher-Währung. Ich war ja schon immer für alternative Geldsysteme. Geld mit Verfallsdatum zum Beispiel finde ich eine tolle Idee. Die Bitcoins haben sich gut entwickelt. Ich hätte investieren sollen.
Alles, was man jemals über Verschwörungstheorien gehört hat, wird im Darknet zur Gewissheit.
Ich bin so nervös beim Schreiben, dass ich unentwegt Schokoladenbonbons essen muss, an denen ich mich des Öfteren verschlucke.
Die Themen und Angebote im Underground-Netz sind so abstrus und abenteuerlich, dass ich mich immer nur traue, die ersten drei Buchstaben zu lesen, um mir dann vor lauter Schreck die Augen zuzuhalten.
Aber es geht noch sehr viel tiefer. Unter dem Darknet – so in etwa 11 000 Metern Tiefe – gibt es das Mariana’s Web. Surfen im Marianengraben – nur anders.
Da trifft man sogar tot geglaubte Leute wieder: Elvis, Michael Jackson, John F. Kennedy. Und ich dachte, das Gruseligste im Marianengraben wären die merkwürdigen Fischgestalten, vor denen ich als Kind schon Angst hatte, wenn ich die entsprechenden Seiten im Dino-Buch meiner Eltern aufgeschlagen habe.
Das ist das Web für die Super-Bösen. Also für Regierungschefs und so. Es ist gar nicht so einfach, etwas darüber rauszubekommen. Ich muss meine Kinder fragen, um nähere Informationen zu erhalten.
Sie sagen, das Mariana’s Web ist nur für Auserwählte. Wie wird man denn auserwählt? Ich versuche mir vorzustellen, wie wohl ein Bewerbungsschreiben für das dunkelste Darknet aussehen müsste.
Sehr geehrtes Mariana’s Web,
ich bin Mutter von drei Töchtern und benötige dringend Ihre Hilfe.
Für den nächsten Kindergeburtstag suche ich ein ganz spezielles Geschenk. Könnten Sie mir bitte einen Katalog mit Ihren Angeboten zukommen lassen?
Mit freundlichen Grüßen
Petra Hofmann
(Vielleicht sollte ich mir besser einen Decknamen zulegen.)
Oder:
Liebes Mariana’s Web,
ich habe erst kürzlich von Ihren Angeboten erfahren und interessiere mich für ein außergewöhnliches Fischrezept. Gerne würde ich für die nächste Halloween-Party einen Kugelfisch zubereiten. Könnten Sie mir einen schicken?
Herzlichen Dank!
XXX
Oder:
Hallo liebes Team vom Mariana’s Web,
ich bin eigentlich ein sehr netter Mensch, aber ich träume hin und wieder böse Dinge. Darf ich Ihrer Gemeinschaft beitreten?
Anbei mein Lebenslauf:
- Ich war schon mal superkriminell. Durch mein Verschulden starben etwa 2000 Silberfischchen. Das kommt der Tätigkeit eines Auftragskillers gleich.
- In der dritten Klasse hab ich einem Mitschüler voll in die Eier getreten – gewalttätig bin ich also auch.
- Mein Lebensmotto: Gewalt ist keine Lösung, wenn man nur drüber redet.
- Ich habe noch nie etwas geklaut, aber ich könnte es mal probieren.
- Der Vorname meiner Mutter lautet „Marianne“.
Meine Hobbys: Tiefseetauchen, Schnorcheln, Sporttauchen, faul auf der Luftmatratze dümpeln.
Ich freue mich auf Ihre Antwort!
Angela Fish
LifeMinus TM
Meine Vitalstoffe sind alle. Und das schon seit vier Tagen! Die nächste Lieferung von LifeMinus kommt frühestens morgen. Bis dahin muss ich durchhalten. Ein Leben weit unterhalb des Limits. Bereits beim Erwachen am Morgen komme ich mir vollkommen unterversorgt vor. Im Brotkasten liegt nur noch ein vertrocknetes Randstück vom Eiweißbrot. Den Rest haben die Kinder mit in die Schule genommen.
Im Kühlschrank sieht es ähnlich aus. Nicht eine einzige Aminosäure ist noch vorhanden. Nur zuckerhaltige Marmelade. Meine Augen übersäuern, als ich das Glas mit der Aprikosenmarmelade in den Händen halte. Selbst wenn ich mal eine Ausnahme machen würde – ich habe ja nichts, wo ich sie draufschmieren oder reinrühren könnte. Joghurt und Quark kommen nicht infrage – zu viel tierisches Eiweiß, auch wenn davon noch reichlich da wäre. Mein Kühlschrank ist total übersäuert. Was mach ich denn nun?
Meine Zellen sind leer. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, dachte ich, ich liege auf kleinen Holzstückchen, aber das waren meine Beckenknochen. So geht das nicht weiter. Der Bäcker hat noch zu. Bleibt nur die Stadt. Ich setze mich also ins Auto, fahre in die Stadt und suche mir mit letzter Kraft einen Parkplatz im Parkhaus.
Neulich erzählte mir ein Freund, dass neueste Forschungen ergeben hätten, dass der Körper sämtliche Aminosäuren auch aus der Luft aufnehmen könne. Ich nehme einen tiefen Atemzug, als ich aus dem Auto aussteige und versuche mich satt zu atmen, bis ich fast hyperventiliere.
Mir ist schon ganz schwarz vor Augen, als ich im Reformhaus ankomme. Vor lauter Mückensehen kann ich kaum lesen, was auf den Verpackungen der Produkte steht. Ich suche nach Lebensmitteln, die eiweißreich, energiereich, laktosefrei,