Nachtigallensteine. Petra Hofmann

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Nachtigallensteine - Petra Hofmann

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lasse die Lösung für mein Problem an Ort und Stelle liegen und setze mich zur Erholung – und um meinen Ribosomen eine Auszeit zu gönnen – ans Schachbrett, das immer noch unverändert auf dem Küchentisch steht. Ich spiele eine Partie gegen mich selbst.

      Aber schon nach einigen Zügen gerät das Spiel außer Kontrolle. Die weiße Dame beginnt eine Affäre mit dem schwarzen König. Sie knutschen wild auf dem Schachbrett rum, aber der König kann schon nach kurzer Zeit nicht mehr. Eiweißmangel. Die Dame schaut mich flehend an. Ich schiele zu den Würstchen und wieder zurück zur Dame, als es an der Haustür klingelt.

      Ein Vertreter einer namhaften Tiefkühlfirma steht vor der Tür und will mir seine Produkte anbieten, die sich in dem LKW hinter ihm befinden. Ob er denn auch was mit Eiweiß hätte, will ich wissen. Am besten fertig gekochtes, verzehrfertiges, warmes Eiweiß. Also, warme Mahlzeiten passten zwar nicht zur Firmenphilosophie, meint er, aber es sei grundsätzlich schon so gedacht, dass die Produkte aufgetaut und erwärmt werden sollen.

      Ich weiß nicht, ob das meinem Liebespaar auf dem Schachfeld nicht zu lange dauert, erkläre ich dem Tiefkühlmann. Er fragt mich höflich, ob es wohl möglich wäre, sich mal selbst ein Bild von der Lage zu machen. Ich bitte ihn in die Küche und er nimmt am Küchentisch Platz. Dame und König schauen irritiert. Ob er sich mal um die Dame kümmern solle, bietet mir der Vertreter an, während ich in seinem Prospekt alle eiweißreichen Gerichte markiere. Die Dame macht große Augen. Ich schiebe den Tiefkühlmenschen wieder zur Tür hinaus mit der Bitte, mir das Chopsuey mit Tofu-Einlage dazulassen.

      In Windeseile erwärme ich den Eisblock aus der Gefriertüte zum Ersatzmittagessen und versorge dann den König – gerade noch rechtzeitig, als auch schon das erste Kind vor der Tür steht. „Mama, heute haben wir in der Schule Kevins Geburtstag gefeiert. Es gab Kuchen, Chips und so was – ich bin pappsatt!“

      Da haben wir es. Die Lösung ist immer das, was ist.

       Parshit, Teil 4

      Das alles hat sich grundlegend geändert.

      Wir schauen jetzt nur noch auf die inneren Werte beim Mann. Also so richtig. Mehr so ins Zellinnere und um die Zellen herum.

      Ich bin zu Besuch bei meiner liebsten Freundin. Wir wollen uns um die Aktualisierung ihres Parshit-Profils kümmern. Das ist nämlich total veraltet. Da stehen noch Sachen drin wie: „Ich finde Männer toll, mit denen ich lachen kann.“

      Das ersetzen wir durch: „Ich finde Männer mit gesundem Zahnschmelz toll.“

      Statt der Lieblingsfarbe kann der Kontaktsuchende nun ankreuzen, ob der pH-Wert seines Urins mehr im sauren oder mehr im alkalischen Bereich liegt.

      Da Übersäuerung einen überaus großen Einfluss auf den Gemütszustand sowie die Spermaproduktion hat, bieten wir dem potenziellen Bewerber in Zukunft beim ersten Date gleich ein kleines Test-Set an, welches er unauffällig auf der Toilette ausprobieren kann.

      Auch die zu Erkennungszwecken mitgebrachte Rose soll beim ersten Treffen einen kleinen Augenblick mit ausgestrecktem Arm gehalten werden, damit wir noch vor dem ersten „Hallo“ schon mal einen kleinen kinesiologischen Test durchführen können. Damit eventuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht unerkannt bleiben, wenn ein gemeinsames Abendessen im Terminkalender steht.

      Wir wissen ja heute, wie wichtig das Zellgedächtnis ist. Da reden vor allem unsere Ahnen mit. Also ganz wichtig: Erst seine Oma besuchen fahren, bevor es ins Kino geht. Nicht, dass da jemand im Krieg irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht hat und die sich am Ende noch vererbt haben!

      Bei der Frage „Wenn du ein Gemälde wärst, welches wärst du?“ tragen wir als Antwort „Ein großes Blutbild“ ein.

      Da sich seit Kurzem der glückliche Zufall ergeben hat, ein Biofeedback-Gerät nutzen zu können, wird dieses auch gleich – ich will jetzt nicht „zweckentfremdet“ sagen, sondern eher „höheren Zielen dienend“ – eingesetzt.

      Knochendichte, Peristaltikfunktion des Dünndarms, Leberfettwerte sowie die Nierenfunktion können ganz ausschlaggebend bei der Partnerwahl sein. Man stelle sich nur mal vor, die Werte liegen bei der Austestung mehr im roten statt im grünen Bereich! So was gibt nur Probleme später!

      „Und du meinst wirklich, dass die Knochendichte einen Einfluss auf die Partnerschaft haben kann?“, will meine Freundin wissen. „Natürlich! Noch nie was vom Penis-Knochenbruch gehört? Ach nee, so was kommt ja nur beim Dachs vor.“

      Meine Freundin schaut erst mich, dann wieder ihr Profil an. Wir schicken alles ab und warten. Und warten. Und warten. Normalerweise dauert es maximal 120 Sekunden, bis der erste Bewerber eine Nachricht geschickt hat. Aber nach über einer Stunde ist immer noch kein Mann im Postfach. Wir warten ungeduldig weiter. Nach vier Stunden immer noch kein Kontakt. Wir haben das Profil wohl zu wählerisch gestaltet.

      „Das muss am Profilbild liegen“, analysiert meine Freundin. Ja, das kann natürlich sein. Zu junges Aussehen für ein Dating-Portal. Ab morgen werden die Vitalstoffe auf die Hälfte reduziert.

       Parshit, Teil 5

      „Und bei ihm fühle ich mich so sicher!“, erzählt mir meine Freundin von ihrem letzten Date, während wir unseren täglichen Spaziergang durch den Wald machen.

      Irgendetwas irritiert mich an dem Satz. Aber ich weiß nicht, was. Vielleicht bin ich auch nicht ganz mit der Aufmerksamkeit bei ihr. Schließlich gilt es den Seniorennachmittag vorzubereiten und ich bin im Geiste mit der Gestaltung der Kastanienmännchen und der Auswahl der Weihnachtslieder beschäftigt. Ein Vortrag über offene Beine würde mir sehr viel leichter fallen.

      „Und er arbeitet im Darknet“, plappert sie weiter. Sind die Kastanien überhaupt schon reif? Darknet – was um Himmels willen ist das Darknet?

      „Das ist ein Teil des Internets, wo sich Leute verabreden können, um sich gegenseitig aufzuessen“, erklärt sie mir. WAAAAS??? „Als Polizist jagt er die Verbrecher, die im Darknet ihr Unwesen treiben“, fügt meine Freundin hinzu.

      Wie viele Streichholzschächtelchen brauche ich wohl für dreihundert Kastanienmännchen? „Und wenn du mal ’nen Profikiller brauchen solltest, dann kriegt man den auch da“, fährt sie fort. Darauf komme ich eventuell zurück.

      Ich kann kein einziges Weihnachtsgedicht, könnte aber etwas über Dekubitus-Prophylaxe vortragen.

      „Hörst du mir überhaupt zu?“, will sie wissen und schaut mich auffordernd an. „Natürlich tu ich das!“, antworte ich geistesgegenwärtig. Also so geistesgegenwärtig, wie es mir möglich ist. Viel ist da momentan

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