Die Wiege des Windes. Ulrich Hefner
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Читать онлайн книгу Die Wiege des Windes - Ulrich Hefner страница 18
Zögernd ging Rike an Bord, immer darauf bedacht, dem Fremden keinen allzu auffälligen Blick zu schenken. Offenbar war der Mann sich sicher, dass ihn Rike nicht erkennen würde, denn er blieb direkt neben dem Zugang stehen. Ein lautes Hupen zerriss die Stille. Rike fuhr zusammen. Das Zeichen zum Ablegen. Noch bevor die Landungsbrücke zurückgezogen worden war, kam ein weiterer Passagier an Bord. Ein Mann um die vierzig, groß und mit einem dunklen Kinnbart. Er ging an ihr vorüber und nickte ihr dabei freundlich zu.
Rike wartete noch eine Weile, bevor sie unter Deck ging und inmitten der Sitzbänke einen Platz belegte. Der Mann mit der Brille folgte ihr und setzte sich am Eingang auf eine Holzbank. Einen Augenblick später erschien der Bärtige und ging wortlos an dem Mann mit der Brille vorbei, um sich am anderen Ende auf eine Bank zu setzen. Rike atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, die beiden Männer gehörten zusammen.
*
Martin Trevisan stand unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Der auf- und abschwellende Ton wollte kein Ende nehmen. Anscheinend war der Anruf dringend. Also drehte er den Wasserhahn zu, trocknete sich notdürftig mit einem Handtuch ab, griff zum Bademantel und spurtete in den Flur. »Trevisan«, krächzte er in den Hörer.
»Hier auch«, vernahm er Grits Stimme. »Du kommst heute wohl gar nicht aus den Federn. Na ja, jetzt bist du zumindest wach.«
»Ich stand unter der Dusche«, antwortete Trevisan entschuldigend, »ich muss noch ins Büro.«
»Das ist typisch. Du und dein Büro. Heute ist Weihnachten.«
Trevisan zerbiss einen Fluch. »Was willst du?«, fragte er verschnupft.
»Paula kommt am Sonntag zu dir«, entgegnete Grit. »Dörte wird sie bringen. Ich muss nach Stockholm und komme erst am 2. Januar zurück. Hol sie um 16.03 Uhr am Bahnhof ab. Sei pünktlich! Dörte muss den Anschlusszug nach Hannover kriegen.«
Trevisan war perplex. »Was ist?!«
»Ich habe einen Job bei der Scan-Line in Aussicht und muss mich dort vorstellen«, antwortete Grit. »Sei froh, dass ich arbeiten gehe. Sonst hättest du noch weniger im Geldbeutel.«
Trevisan trat ans Fenster. Sonnenstrahlen fingen sich im matten Lack des alterschwachen Opel Corsa. Den BMW hatte Grit mitgenommen. Als Ausgleichszahlung und dafür, dass er das Haus behalten konnte, hatte sie gesagt.
»Wie stellst du dir das vor?«, erwiderte Trevisan. »Ich habe einen Job und wir sind mitten in einem Mordfall.«
»Ihr seid immer mitten in irgendwas. Tante Klara ist doch auch noch da. Du bist schließlich Paulas Vater.«
»Aber ich …«
»Immer dieses Hin und Her mit dir«, schnauzte Grit. »Ich bin es leid. Es ist so, wie es ist. Kümmere dich um sie. Ich muss dringend weg.«
Trevisan überlegte. Mit Tante Klaras Hilfe, die ein Haus weiter wohnte, könnte es klappen. Paula war schon früher oft bei ihr und Onkel Hans zu Gast gewesen. »Gut, wann soll ich sie abholen?«
»Schreib es dir auf, sonst vergisst du es wieder, so wie du oft die Sachen vergisst, wenn es um die Familie geht.«
Trevisan riss sich zusammen und unterdrückte seine Wut. »Wie geht es euch?«, fragte er, um die Spannung aus dem Gespräch zu nehmen. Ein Fehler – Grit durchschaute sein Ablenkungsmanöver.
»Wie es uns geht?«, antwortete sie schnippisch. »Das hat dich doch noch nie interessiert. Aber ich kann dich beruhigen, deiner Tochter geht es gut. Und noch etwas: In den nächsten Tagen erhältst du Post von meinem Anwalt. Ich rate dir, ebenfalls schnell einen zu suchen. Ich will es endlich hinter mir haben, verstehst du?«
»Kann ich mit Paula reden?«, fragte Trevisan.
»Du hast bald genug Gelegenheit, mit ihr zu sprechen«, erhielt er zur Antwort. Dann beendete Grit das Gespräch.
Trevisan stand noch einen Augenblick mit dem Telefonhörer am Ohr tropfend und frierend im Flur. Dann legte er den Apparat auf den kleinen Tisch. Ein Kapitel seines Lebens neigte sich dem Ende zu. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
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