Sand und Asche. Peter Gerdes
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sand und Asche - Peter Gerdes страница 13
Zwei Fahrgastströme trafen sich am Fuß der Treppe. Das Gedrängel nahm zu, Kinder quengelten lauthals, während noch lautere Erwachsene sich hierhin und dorthin drehten und dabei pralle Rucksäcke gegen Körper und Köpfe der hinter ihnen Gehenden klatschen ließen. Mit Rücksicht auf ihre schmerzenden Verletzungen ließ Stephanie die Drängler vor. Die Schüler verschwanden vor ihr im Gewühl.
Mit den letzten Passagieren verließ sie die Fähre, durchquerte die große gläserne Abfertigungshalle und schlenderte auf die Inselbahn mit ihren quietschbunten Wagen zu. Die meisten Gepäckcontainer waren bereits auf flache Waggons verladen worden. Kaum hatte Stephanie im vordersten Wagen auf einer der unbequemen Holzbänke Platz genommen, ruckte der Zug auch schon an. Schön, nicht warten zu müssen, dachte sie und nahm sich vor, es hier auf Langeoog auch in den nächsten Tagen etwas langsamer angehen zu lassen.
Die Inselbahn schien diesen Vorsatz ebenfalls gefasst und umgesetzt zu haben. Gemächlich zuckelte sie zwischen Salzwiesen und Pferdeweiden, einzeln stehenden Gasthöfen und verstreut liegenden Häuschen dahin. Golfplatz und Flughafen kamen in Sicht und sackten langsam achteraus. Ein beschrankter Bahnübergang, an dem Radfahrer warteten und winkten, zeigte schließlich die Annäherung an den Ort an. Und dann waren sie da. Inselbahnhof Langeoog, Endstation. Lustig.
Nein, irgendwie doch nicht Endstation. Zwischenstation war besser. Von hier aus ging es schließlich auch zurück zum Fährhafen. Wann? Irgendwann. Aber bestimmt.
Wiederum ließ sich Stephanie Zeit mit dem Aussteigen. Die anderen Fahrgäste schienen sich auf jede Gepäckwagenreihe, die auf den überdachten Bahnsteig gerollt wurde, geradezu zu stürzen. Weiß bemütztes Personal beschränkte sich darauf, die seitlichen Schutzplanen zu lösen; danach traten die Männer grinsend beiseite und ließen die Meute wühlen. Sie kannten das schon. Irgendwann, wenn auch die Hotelangestellten mit den Bollerwagen die Koffer ihrer Gäste in Empfang genommen hatten, würden sich die Männer der verbliebenen Reste erbarmen und sie in die eigentliche Gepäckaufbewahrung schaffen. Bis dahin aber konnten die ungeduldigen Touristen die Arbeit auch gut alleine erledigen.
Stephanies Blick suchte nach dem Gepäckwagen mit der Nummer 42. Ehe der nicht auf dem Bahnsteig stand, konnte sie sich getrost zurückhalten. Und das war bisher noch nicht der Fall.
Nach und nach verlagerte sich das Urlaubergetümmel in Richtung Bahnhofsvorplatz. Dort boten Transporteure mit zwei- oder vierrädrigen Karren, ja sogar mit richtigen Pferdekutschen ihre Dienste an. Die meisten Touristen aber machten sich zu Fuß auf den Weg zu ihren Hotels, Pensionen und Wohnungen. Ein breiter Menschenstrom wälzte sich über Straße und Fußwege in Richtung Wasserturm, der sich markant hinter der Ortsmitte erhob. Ein vielstimmiges Gequietsche überforderter Rollkofferrädchen begleitete den Zug akustisch.
Als das Gewühl auf dem Bahnsteig weniger und das Quietschen allmählich leiser wurde, begann Stephanie sich zu wundern. Immer noch war kein Gepäckwagen mit der Nummer 42 aufgetaucht. Ob ausgerechnet dieser Wagen immer noch auf einem der offenen Pritschenwaggons stand?
Es sah nicht so aus, und während sie dies feststellte, ließ der Lokführer das Signalhorn ertönen, und die Inselbahn setzte sich langsam wieder in Bewegung, zurück Richtung Hafen. Damit wäre das geklärt, dachte Stephanie. Der Wagen muss also schon hier auf dem Bahnsteig stehen, und ich habe ihn bloß übersehen.
Ein wenig schneller aber klopfte ihr Herz doch, als sie die Reihe der offen dastehenden Gepäckwagen abschritt, an denen sich jetzt nur noch wenige Reisende zu schaffen machten. Natürlich hielt sie es prinzipiell für möglich, dass sie sich geirrt und den richtigen Wagen übersehen hatte. In Wirklichkeit aber glaubte sie nicht daran.
Und tatsächlich: keine Nummer 42. Auch beim zweiten Kontrolldurchgang nicht. Wie war das möglich? Hatte sie sich denn so getäuscht?
Da stand ein Gepäckwagen mit der Nummer 24. Vermutlich war das die Lösung. Sie hatte sich zwar die richtigen Ziffern, aber in der falschen Reihenfolge gemerkt. Erleichtert schritt sie auf den Wagen zu.
Aber zu früh gefreut. Drei schwarze Riesenkoffer, einer davon ohne Rollen, zwei verschnürte Kartons, ein Bündel Strandspielzeug – das war alles, was Nummer 24 noch enthielt. Wieder schlug Stephanies Herz schneller. Deutlich spürte sie die ersten Anzeichen von Panik.
Einige der weiß bemützten Männer standen noch herum, aber keiner von ihnen schaute zu ihr her. Absichtlich? Sie konnte ja hingehen und einen von ihnen fragen. Aber wie würde sie dann dastehen? Wie ein hysterisches Gänschen.
Es half nichts, sie musste die ganze Wagenreihe noch einmal abschreiten und genau in jeden Gepäckwagen hineinschauen. Immerhin lagen ja noch etliche Koffer darin. Ihrer musste einfach noch dabei sein. Wer klaute hier auf Langeoog schon Koffer? Das gab’s doch gar nicht.
Na ja, Dealer und kiffende Jugendliche gab es hier ja ebenfalls. Warum nicht auch Beschaffungskriminalität?
Stephanie zwang sich, langsam zu gehen und genau hinzuschauen. Ihr Koffer war relativ klein und schwarz, hatte einen herausziehbaren Bügel mit einer roten Arretierung. Ein gängiges Modell, nicht besonders auffällig. Hier aber waren die meisten Gepäckstücke größer, Familienformat eben. Und die kleineren Koffer sahen deutlich anders aus als ihrer. Mist, verdammter. Ihr Herz begann zu rasen, und die Panik war ganz nahe.
Und dann sah sie ihn doch, ihren kleinen schwarzen Rollkoffer mit dem Bügel und der roten Taste darunter. Zur Sicherheit schaute sie schnell auf ihren Gepäckschein. Ja, die Ziffern stimmten auch überein. Gott sei Dank, alles noch einmal gut gegangen. Sie war einfach etwas unaufmerksam gewesen. Und beinahe hysterisch.
Im Weggehen drehte sie sich noch einmal um. Gepäckwagen 35 war das. Warum nur war sie sich so sicher gewesen, dass sie ihren Koffer in die Nummer 42 geschoben hatte? Wie hatte sie sich denn so täuschen können?
Es musste alles mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun haben. Vermutlich war sie doch stärker angegriffen, als sie sich eingestehen wollte. Daddy hatte also recht gehabt, wieder einmal. Der Klinikaufenthalt würde ihr bestimmt guttun. Dumm von ihr, das nicht gleich eingesehen zu haben. Kopfschüttelnd trabte sie in Richtung Bahnhofsvorplatz, flüchtig den Gruß eines der weiß bemützten Männer erwidernd, die immer noch herumstanden.
Im Schatten der Bahnsteigüberdachung stand eine große, dunkle Gestalt ohne weiße Mütze und schaute ihr nach.
9.
Als seine Zielperson den Schritt verlangsamte, stoppte auch Mats Müller ab. Schnell drehte er sich seitwärts und baute seine gedrungene Gestalt vor einem Schaufenster auf, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, den Blick nur scheinbar auf die Auslage, tatsächlich aber aus den Augenwinkeln weiterhin auf das Objekt seiner Observation gerichtet, das gerade die Zeitschriftenständer eines Kiosks betrachtete. Bis jetzt hatte ihn der Mann nicht bemerkt. Tja, gelernt war eben gelernt! Hauptsache unauffällig, das war die Devise. Sehen, ohne gesehen zu werden. Davon verstand er etwas.
Zwei kräftig gebaute Frauen blieben neben ihm stehen, die eine rechts, die andere links von ihm. Beide warfen ihm merkwürdige Blicke zu, fragend die eine, empört die andere. Und die eine rümpfte sogar die Nase, als beide weitergingen. Was sollte das denn? Unauffällig senkte er den Kopf noch etwas weiter und schnupperte in Richtung Achselhöhle. Sicher, seit zwei Tagen war er jetzt schon nicht mehr aus den Kleidern herausgekommen, aber war das vielleicht seine Schuld? Und so stark roch er nun auch wieder nicht, dass man es