Sand und Asche. Peter Gerdes
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sand und Asche - Peter Gerdes страница 15
»Aber warum versteckt sie sich? Hat sie Angst vor einer Konfrontation?«
»Streit mag sie nicht, sie ist eher der ausgleichende Typ«, antwortete Müller. »Ob das aber der alleinige Grund ist, weiß ich nicht. Vielleicht muss sie sich auch selber erst noch über einiges klarwerden.«
»Wer ist dieser Typ, wie heißt er, wo wohnt er?« Stahnke fand, dass es Zeit für ein paar Fakten war.
»Vorname Lennert, Nachname unbekannt. Alter jenseits der zwanzig. Fährt einen getunten Golf, Wittmunder Nummer. Die kann ich Ihnen geben. Mehr weiß ich nicht.«
»Mehr wissen Sie nicht? Mann, machen Sie keine Hausaufgaben? Wofür bekommen Sie denn eigentlich Ihr Geld?«
»Dafür«, sagte Müller ruhig, »habe ich mein Geld nicht von Vater Venema bekommen. Sondern von der Tochter.« Er wich Stahnkes Blick nicht aus. »Was soll’s, Sie erfahren es ja sowieso. Damit spare ich Ihnen etwas Zeit. Natürlich können Sie mich jetzt bei Venema hochgehen lassen.« Mit einer schnellen Bewegung seiner Zungenspitze schleckte er sich den Kaffeetropfen aus dem Mundwinkel, so zielsicher, als hätte er die ganze Zeit um seine Existenz gewusst. »Aber überlegen Sie sich gut, wen und was Sie damit außerdem hochgehen lassen.«
Ratte bleibt Ratte, dachte Stahnke, während Müller die Wittmunder Autonummer auf ein Stück Serviette kritzelte. Nimmt Stephanies Beziehungs- und Familienglück als Geisel, gegen mich, und ich kann gar nichts machen. Drecksack. Aber egal, ein bisschen was haben wir wenigstens.
Er zückte sein Handy. Kramer war sofort dran.
»Münzberger ist jetzt im Erotischen Kaufhaus«, berichtete der Oberkommissar. »Gleich gegenüber vom Parteibüro der Grünen.«
Ich weiß, wo das ist, wollte Stahnke sagen, biss sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. »Müller kommt jetzt«, sagte er knapp.
»Ist auch besser. Sonst habe ich nur noch die Wahl zwischen Lackstiefeln und Gesundheitslatschen«, sagte Kramer.
»Eins will ich mal klarstellen«, sagte Stahnke, nachdem er Mats Müller mit einer Handbewegung entlassen hatte. »Ehe du nicht über meine Witze lachst, lache ich auch nicht über deine.«
10.
Die schlanke junge Frau kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber er konnte sie nicht richtig einordnen. Sie ihn offenbar auch nicht, denn sie hatte seinen Gruß nur flüchtig erwidert. Vielleicht hatte sie ihn sogar mit einem der Kofferträger verwechselt, die trugen ja auch weiße Mützen. Sogar mit mehr Recht als er, denn die Polizei war inzwischen längst mit dunkelblauen Uniformen und Kopfbedeckungen ausgestattet, so dunkelblau, dass sie schon schwarz aussahen. Dass der Oberkommissar seinen weißen Deckel einfach beibehalten hatte, war genau genommen eine Dienstpflichtverletzung. Aber wo kein Kläger, da kein Richter, und bisher hatte sich niemand beschwert.
Nachdenklich schaute Lüppo Buss der hochgewachsenen Gestalt nach. Dann kam er drauf, an wen sie ihn erinnerte. Obwohl die Haarfarbe anders war. Vorletztes Jahr hatte er mit genau solch einer Schönheit zu tun gehabt, allerdings einer blonden.
Und die, so stand es heute in der Zeitung, war jetzt tot. Kaum zu fassen.
Das hübsche Mädchen damals war fast noch ein Kind gewesen, und Lüppo Buss hatte sich ein bisschen dafür geschämt, dass er sie attraktiv fand. Aber er stand nun einmal auf große Blondinen. Solche wie seine Nicole.
Er nahm die Mütze ab und strich sich durch die Haare. Natürlich war er nicht zum Inselbahnhof gekommen, um nach Frauen Ausschau zu halten. Da würde Nicole ihm auch schön etwas erzählen. Nein, Lüppo Buss war der Schüler wegen hier. Heute war letzter Schultag, da kamen die Festlandsschüler und Internatszöglinge aus dem Exil zurück, und abendliche Feten waren schon Tradition. Feten mit viel Alkohol und gelegentlich auch mit anderen Stimmungsmachern. Und ordentlich Randale und Bambule.
Im Amtsdeutsch hieß das Ruhestörung, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Tendenz alljährlich zunehmend. Lüppo Buss kannte seine Pappenheimer, die Rädelsführer ebenso wie die Mitläufer. Und so, wie es aussah, waren sie allesamt wieder da. Beste Voraussetzungen für eine unruhige Nacht.
Ein lautes Pfeifen kündigte die erneute Ankunft der Inselbahn an. Was, schon wieder? Der Oberkommissar schaute zur Uhr: Gerade zwanzig Minuten waren vergangen, seit der Zug seine Fahrgäste auf den Bahnsteig gespieen hatte. Dann kam er drauf: Klar, die Reederei hatte eine Vorfähre eingesetzt, weil zum Ferienbeginn in Niedersachsen mit besonderem Ansturm zu rechnen war. Dieses Schiff war einige Minuten vor dem eigentlichen Termin gefahren, was den Fahrgästen sicherlich gar nicht aufgefallen war. Der nächste Schwung Menschen, der jetzt gerade eintraf, bestand aus den Passagieren der regulären Fähre.
Eigentlich hatte Lüppo Buss genügend zu tun, trotzdem gönnte er sich noch ein paar Minuten, um das Touristengewühl an den Gepäckwagen und die Schlacht um die Koffer noch einmal zu genießen. Niemand schien bereit zu sein, zum Auftakt eines vermutlich mehrwöchigen Urlaubs auch nur fünf Minuten zu warten. Ellbogen wurden eingesetzt wie Rammböcke. Menschen, dachte Lüppo Buss, waren doch faszinierend. Jeder einzelne für sich war vernünftig und intelligent, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Aber Menschen in Massen waren schlimmer als eine Herde Rinder. Alles Rationale und Kultivierte fiel von ihnen ab wie eine dünne Lackschicht, die in großen Placken zu blättern beginnt, sobald der Untergrund in Bewegung kommt. Irgendwie peinlich für jeden Angehörigen dieser Gattung, aber auch immer wieder spannend.
Die Tatsache, dass beim Verladen des Gepäcks natürlich nicht zwischen Fähre und Vorfähre unterschieden worden war, verstärkte das Getümmel noch. Jedes der beiden Schiffe hatte seinen Anteil der Containerwagen an Bord genommen, ohne Rücksicht darauf, ob der Inhalt nun zu den jeweiligen Passagieren gehörte oder nicht. So hatte manch einer die scheinbar gewonnenen Minuten mit Warten auf seine Koffer verbracht. Andere dürften in dem Glauben, ihr Gepäck sei verloren gegangen, ganz hübsch in Panik geraten sein.
Natürlich hatte sich kein Reedereimitarbeiter die Mühe gemacht, die Passagiere über diese Möglichkeit aufzuklären. Die wollten vermutlich auch ihren Spaß haben, dachte Lüppo Buss.
Wenigstens kamen jetzt, da alle Containerwagen eingetroffen waren, alle Passagiere zu ihren Koffern. Auch die, die ihr Gepäck schon verloren geglaubt hatten. Und diejenigen, die sich bereits zu ihren Unterkünften aufgemacht hatten, nicht ohne schon von unterwegs per Handy Verlustmeldungen auf den Anrufbeantworter des Polizeibüros An der Kaapdüne zu sprechen, würden ihre Koffer nachgeliefert bekommen. Die Hoteliers und Vermieter kannten sich schließlich aus.
Ein hochgewachsener junger Mann in schwarzer Lederjacke schien sein Glück, doch noch zu seinem Koffer gekommen zu sein, gar nicht glauben zu können. Noch auf dem Bahnsteig öffnete er das Gepäckstück, um den Inhalt zu inspizieren. Er nahm sich richtig viel Zeit dafür, fand Lüppo Buss. Schließlich stapfte er dann doch noch in Richtung Ortsmitte davon, den Rollkoffer hinter sich herziehend.
Seufzend schloss sich der Oberkommissar ihm an. Erst mal zur Polizeistation gleich beim Wasserturm, die gegenstandslosen Kofferklau-Meldungen vom Anrufbeantworter löschen, und dann weiter im Text in Sachen Angela Adelmund. Bisher war jede einzelne Überprüfung im Sande verlaufen. Die Mutter der Toten war vor zwei Jahren verstorben, und einen Vater schien es nie gegeben zu haben. Blieb der angebliche Bruder – und von dem wusste überhaupt niemand irgendetwas. Angela, so hieß es, sei ein Einzelkind gewesen, und genau das stand auch in der Einwohnermeldekartei. Eine