Der Sohn des Apothekers. Ulrich Hefner
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Читать онлайн книгу Der Sohn des Apothekers - Ulrich Hefner страница 9
»Was machst du gerade?«, fragte Trevisan.
»Spur Nummer 64«, murmelte sie. »Antragungsspuren am Fahrrad des Opfers Sommerlath, bestehend aus Torf und feuchter Erde, Lage Pedal rechts, unten.«
»Ich sehe, du hast dich mit dem Programm schon angefreundet«, scherzte Trevisan.
»Es fehlen drei Ordner.«
Trevisan trat neben sie und stellte die Ordner auf dem langen Konferenztisch ab. »Ich frage mich, wieso die Täter die Räder neben einem Waldweg sichtbar liegen ließen. Sie hätten sie doch einfach nur in eine Torfgrube werfen müssen. Und wenn sie überhaupt keine Spuren hinterlassen wollten, dann wäre es doch auch möglich gewesen, sie einfach mitzunehmen.«
»Mitzunehmen?«, wiederholte Lisa ungläubig.
»Es ist eine Sache, jemanden umzubringen und die Leiche abzutransportieren – auch zwei Leichen lassen sich gut in einem Kofferraum unterbringen. Aber wenn ich zwei Menschen entführen will, die sich das bestimmt nicht gefallen lassen, dann muss ich ausreichend Manpower und Platz haben.«
Lisa dachte angestrengt nach. »Zwei Täter und ein Bus, ein Transporter oder so ähnlich«, folgerte sie nach einem Moment.
»Das wäre eine Möglichkeit und da könnte ich auch die Räder entsorgen und müsste sie nicht auf einem Waldweg in Tatortnähe liegen lassen.«
»Woher willst du wissen, dass die Räder in Tatortnähe lagen?«, fragte Lisa.
»Das Kettchen eines der Mädchen«, antwortete Trevisan. »Der debile Sohn des Apothekers hat die damaligen Ermittler an eine Stelle geführt, die an einer kleinen Lichtung liegt, Luftlinie etwa dreihundert Meter südlich des Bannsees. Und in der Nähe lagen auch die Räder in einem Gebüsch neben einem unwegsamen Waldweg, den man nur mit einem Schlepper befahren kann und wo sie ein Landwirt fand.«
»Das ist doch einfach. Es waren zwei Täter. Einer bleibt beim Wagen und bewacht die Opfer und der andere bringt die Räder weg.«
»Wie oft bist du schon Rad gefahren?«, fragte Trevisan.
»Als Kind sehr oft.«
»Es ist nicht leicht für eine einzelne Person, zwei Räder über unwegsames Gelände zu schieben«, antwortete Trevisan. »Es war noch nicht dunkel und ganz in der Nähe ist ein Campingplatz, der damals gut belegt war. Das ist ein hohes Risiko, wenn man jemanden entführen will.«
»Woher weißt du, dass es hell gewesen ist?«, fragte Lisa, während Trevisan die graue Stellwand zurechtrückte und darauf eine topographische Karte von der Gegend um den Bannsee hängte.
»Der Bauer sagte aus, dass er die Räder bei Anbruch der Dämmerung fand«, erklärte Trevisan. »Gestartet sind die Mädchen an diesem Tag gegen elf Uhr in Neustadt, das liegt hier.« Er zeigte auf die Karte. »Knapp acht Kilometer, das schafft man innerhalb einer halben Stunde. Also gehen wir davon aus, dass sie etwa um 11.30 Uhr in der Nähe von Tennweide waren. Nienburg war ihr nächstes Etappenziel, bis dahin braucht man mit einem Rad etwa drei Stunden. Sie hatten für alle ihre Unterkünfte Abendessen gegen sieben Uhr vereinbart, so war es in Hagenburg im Hotel Schneevoigt und auch in Neustadt im Maro. Auch für den Posthof galt diese Vereinbarung, aber dort sind sie nie angekommen.«
»Wahrscheinlich waren sie am Steinhuder Meer baden, schließlich war das eine Vergnügungstour«, warf Lisa ein.
»Das glaube ich auch. Sie hatten Badeanzüge dabei und eine Bedienstete vom Maro in Neustadt hat ausgesagt, dass sie nach einem Trockenraum gefragt haben. Ich glaube sogar, dass sie darüber die Zeit vergessen hatten und deshalb über die Waldwege in Richtung Nienburg fuhren.«
»Wie kommst du zu der Annahme?«
»Man hätte auch über Tennweide und Mardorf nach Nienburg fahren können. Die Strecke ist gut fünf Kilometer weiter. Aber sie fuhren durch den Wald, obwohl man sich dort auch gut verirren kann. Ich denke, sie hatten es eilig, nach Nienburg zu kommen, deswegen wählten sie die kürzere Route. Das könnte bedeuten, dass sie zwischen 16 und 18 Uhr auf ihre Entführer trafen.«
»Das mag schon sein, aber wie bringt uns das weiter?«, fragte Lisa mit verwirrtem Blick.
Trevisan lächelte. »Die Tatzeit einzugrenzen, ist sehr wichtig. Denn wenn wir einen Verdächtigen haben, dann ist so ein Zeitfenster für die weiteren Ermittlungen von Bedeutung.«
Lisa schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ja, sicher, das Alibi.«
»Das Alibi!«, bestätigte Trevisan und griff nach einem Edding-Stift. 16-18 Uhr schrieb er neben die Karte auf die Tafel.
Lisa wandte sich wieder dem Computer zu.
»Wie weit bist du?«
»Es fehlen noch 264 Spuren«, antwortete sie.
»Heute Mittag ist Zeit dazu. Wir treffen uns in einer halben Stunde mit einem Pensionär und ich hätte dich gerne dabei.«
Lisa sprang von ihrem Stuhl auf. »Gerne. Ich war noch nie im Außendienst.«
*
Justin Belfort hatte lange geschlafen und beinahe das Frühstück verpasst. Nach mehren Tassen Kaffee, Buttertoast und Marmelade verschwand er wieder auf sein Zimmer. Er überspielte die Fotos des gestrigen Tages auf seinen Laptop und fasste stichwortartig die Aussagen von Bauer Tjaden in einem Script zusammen. Anschließend suchte er in seinem Notizbuch nach der Adresse der Klosterapotheke in Mardorf, die Rudolf Thiele leitete. Er hatte sich vorgenommen, heute das Gespräch mit dem Mann zu suchen und wusste, dass es nicht leicht werden würde. Svens Vater hatte bislang alle Gespräche mit Journalisten abgeblockt. Justin hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, in der er Sven die Opferrolle zudachte und das damalige Fehlverhalten der Polizei in den Vordergrund rückte. Es musste ihm einfach gelingen, den Apotheker zu überzeugen, denn ohne dessen Einverständnis würde er nicht einmal in Svens Nähe kommen. Also bereitete er sich akribisch auf das Gespräch mit Rudolf Thiele vor und ging noch einmal alle Fakten durch, die ihm hilfreich erschienen.
Kurz nach elf schnappte er sich seinen Fotoapparat und das kleine Aufnahmegerät und gab an der Rezeption seinen Schlüssel ab. Diesmal stand eine Angestellte hinter dem Empfangspult, der er bislang noch nicht begegnet war.
»Einen schönen Tag«, rief ihm die junge Frau hinterher, als er den Klosterkrug verließ und zu seinem Auto ging.
Bereits von Weitem bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Der Wagen neigte sich nach links. Als er näher kam, erkannte er den Grund dafür. Der vordere Reifen war luftleer. Er fluchte. Vielleicht war er gestern auf dem Waldweg in einen Nagel gefahren? Er umrundete das Auto und blieb verdutzt stehen. Auch im hinteren Reifen fehlte Luft.
»So eine verfluchte Scheiße!«, brüllte er. Deutlich waren die Einstiche in der Wandung des Reifens zu erkennen.
»Etwas nicht in Ordnung?«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
Justin Belfort fuhr herum und schaute in das fragende Gesicht des Polizisten, der ihn am Vortag kontrolliert hatte. Er zeigte auf den Reifen. »Finden Sie das etwa in Ordnung?«
»Das kommt davon, wenn man gesperrte Wege fährt …«
»Hören