Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band - Alfred Bekker страница 6
Roy Ortega setzte ein Pokerface auf.
Ich fragte mich, was dieser Mann für ein Motiv haben mochte, sich mit uns an einem Tisch zu setzen. Finanzielle Forderungen hatte er bislang nicht gestellt. Nach allem, was wir über Ortega wussten, war er auf die paar Dollar, die sich ein Informant bei uns verdienen konnte, auch nicht angewiesen. Es musste einen Grund dafür geben, dass dieser krumme Hund auf einmal seine Pflichten als gesetzestreuer Staatsbürger entdeckt hatte.
Entweder er saß selbst in der Klemme oder er wollte jemand anderem schaden.
"Sie wissen wie das in einem Club wie dem !VENGA! ist", erklärte er. "Da gehen viele Leute ein und aus, der Champagner, die Girls... Da redet der eine oder andere schonmal ein bisschen mehr, als er es unter normalen Umständen tun würde..."
"Verstehe", nickte ich. Im Klartext hieß das wahrscheinlich, dass Ortega jemanden abgehört hatte.
Zumindest lag diese Vermutung nahe.
"Ich möchte betonen, dass ich mit der Sache, um die es geht, nicht das Geringste zu tun habe und nur durch Zufall darauf gestoßen bin."
"Ich hoffe, es kommt noch etwas mehr als heiße Luft, sonst vertun wir hier nur unsere Zeit", warf Milo ein.
Für Wichtigtuer war uns die Zeit zu schade.
Ortega verzog das Gesicht.
"Da war ein Mann bei mir im Club, der über einen Deal sprach, bei dem es um sehr starke Mikrowellen-Sender ging. Caramba, ich hatte es nie so mit der Schule und hab' keine Scheiß-Ahnung von Physik oder solchem Zeug! Für's Leben reicht es doch, wenn man die Wörter GENTLEMEN und LADIES lesen kann, damit man die richtige Toilette findet!" Er kicherte dreckig. "Ich gehe natürlich dahin, wo LADIES steht..."
"Sehr witzig, Mister Ortega", erwiderte ich kühl.
Ortega beugte sich vor, sprach in gedämpftem Tonfall und schob den Cappuccino zur Seite.
"Ich bin erst stutzig geworden, als der Typ über die Wirkungsweise dieser Mikrowellensender schwadronierte. Er faselte etwas in der Art daher, dass die Impulse, die diese Dinger abgeben, alles stören, was irgendwie mit Computern zu tun hat. Wenn es einem gelingt so etwas in einen Flughafen hineinzubringen, dann lässt sich die Leitzentrale derart stören, dass ein Chaos entsteht. Kollisionen und Abstürze sind die Folge." Er kicherte erneut und fuhr fort: "Oder stellen Sie sich mal vor, die Rechner im Federal Building arbeiten nicht mehr und Sie können Ihre Fahndungsdateien nicht mehr zuverlässig abrufen!"
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo.
Alles heiße Luft, schien der Blick meines Kollegen zu sagen.
Ich war mir noch nicht sicher.
Es gab Leute, die sogar einen Mord gestanden, den sie nicht begangen hatten, um sich sich wichtig zu machen.
Aber in die Kategorie der Wichtigtuer gehörte Ortega für meine Begriffe nicht.
"Bis jetzt ist das alles etwas dünn, was Sie uns da präsentiert haben", erklärte ich. "Wie heißt der Typ?"
"Jacky Tasso."
"Sagt mir nichts."
"'Ne aufstrebende Nummer aus der Bronx. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er den Deal auch nur vermittelt und dafür Provision kassiert. Nehmen Sie ihn hops und fühlen Sie ihm auf den Zahn. Dann wissen Sie mehr."
"Der Besitz und Verkauf von derartigen Sendeaggregaten ist nicht strafbar", stellte ich klar.
"Nein, das nicht. Aber überlegen Sie mal, wer so etwas brauchen könnte! Ich habe mich ein bisschen informiert. Normalerweise versucht man die elektromagnetischen Abstrahlungen von elektronischen Geräten wie Computern oder Handys so gering wie möglich zu halten, damit sich die Dinger nicht gegenseitig stören. Aber wenn jemand sich ein Gerät zusammenbasteln lässt, dass genau das Gegenteil bewirkt, dann ist doch klar, was der will!"
"Was Sie nicht sagen..."
"Es gibt übrigens ein Video-Band, auf dem ein Teil des Gesprächs drauf ist."
"Habe ich es mir doch gedacht, Sie hören Ihre Gäste ab", sagte ich. "Erpressen Sie sie hinterher mit den Aufnahmen?"
"Die Aufnahmen entstehen nur aus Sicherheitsgründen."
"Darum sind die Kameras auch vermutlich so angebracht, dass man sie nicht sieht!"
"Nein, das hat ästhetische Gründe."
"Ach!"
"Hören Sie, Agent Trevellian, man kann das meiste, was die beiden Männer auf dem Video sagen nicht verstehen, aber Sie werden sicher über Spezialisten im Lippenlesen verfügen, so dass Sie noch mehr herausfinden könnten."
"Wo ist das Video?"
"An einem sicheren Ort."
"Und Sie geben es nur heraus, wenn wir auf Ihre Bedingungen eingehen."
"Jacky Tasso bringt mich um, wenn er davon erfährt. Und wenn es nicht möglich ist, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, dann muss ich eben verschwinden."
"Sie sprechen vom Zeugenschutzprogramm?"
"Ja."
Ich lehnte mich zurück. Dabei fragte ich mich, ob Ortega uns am Ende nur dazu missbrauchen wollte, ihm bei seinen Schwierigkeiten mit Jacky Tasso zu helfen, die im Hintergrund offenbar irgendeine Rolle spielten.
Eine Art roter Blitz zuckte durch die Luft. Der Strahl eines Laserpointers wurde durch die große Fensterscheibe gebrochen. Ich zuckte herum, instinktiv glitt die Hand zur Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P 226. Ich sah zum Fenster, hatte einen freien Blick auf die von zahllosen Passanten belebte Elizabeth Street.
Bevor ich irgendetwas tun konnte, durchschlug ein Projektil die Scheibe. Von einem daumennagelgroßen Loch aus verzweigten sich spinnennetzartig die Risse durch das Glas.
Die Kugel traf Roy Ortega mitten in die Brust.
Sein Körper zuckte zusammen.
Er öffnete den Mund, so als wolle er schreien.
Ein zweiter Schuss bohrte sich mitten zwischen die Augen.
Er sackte zu Boden.
Fast gleichzeitig brach aus der Reihe der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge ein Ford Maverick heraus und brauste mit quietschenden Reifen davon.
Ich sprang auf, zog die SIG und sprang mit der rechten Schulter voran durch das Fenster. Das durch die Einschüsse beschädigte und von langen Rissen durchzogene Glas setzte mir keinen Widerstand mehr entgegen. Ich schützte meine Augen mit dem Arm vor dem Scherbenregen. Hart kam ich auf dem Asphaltboden auf, rollte mich ab. Passanten stoben zur Seite, starrten mich an.
Ich rappelte mich auf, schüttelte mir notdürftig die Scherben aus den Haaren und sprintete los. Eine Phalanx aus parkenden Autos verhinderte, dass ich dem Ford Maverick auf der Stelle mit meiner SIG ein Loch in den Hinterreifen brennen konnte.
Mit