Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band. Alfred Bekker
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"Das gilt auch für uns", mischte sich Clive Caravaggio ein, der Mister McKees Stellvertreter im Field Office New York war.
Mister McKee nickte. "Richtig. Es kann natürlich sein, dass gar nichts dahintersteckt, aber das Risiko müssen wir eingehen."
"Nach dem Mord an Roy Ortega glaube ich das ehrlich gesagt nicht mehr", erklärte Milo.
Mister McKee hob leicht die Schultern. "Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Personen, bei denen sich ein Grund denken lässt, Ortega aus dem Weg zu räumen." Er wandte sich an Agent Max Carter aus unserer Fahndungsabteilung.
"Kennen wir inzwischen die Identität des Killers?"
Max nickte.
"Der Mann hieß Braden E. Thomas, hat für ein paar üble Leute in Spanish Harlem und der Bronx gearbeitet."
"Besteht eine Verbindung zu Jacky Tasso?", hakte Mister McKee nach.
Max bestätigte das. "Die beiden waren mal angeklagt, in einem Club Feuer gelegt zu haben. Sie arbeiteten damals für Benny Jordan. Seit Jordan den Kollegen der DEA in die Arme gelaufen ist und die nächsten dreißig Jahre auf Riker's Island verbringen wird, sind Jacky Tasso und Braden F. Thomas wohl eigene Wege gegangen."
"Der Kontakt scheint offenbar nicht abgebrochen zu sein", stellte ich fest und genehmigte mir einen Schluck aus meinem Kaffeebecher.
Mister McKee stellte seinen Kaffeebecher auf den Tisch.
Er wandte sich an Craig E. Smith. "Versuchen Sie herauszufinden, ob es in letzter Zeit irgendwelche Vorkommnisse gibt, die sich auf die Wirkung von starken Mikrowellen-Sendeaggregaten zurückführen lassen." Er wandte den Kopf in Clives Richtung. "Sie nehmen sich das !VENGA! vor. So hieß doch Ortegas Club."
"Ja", bestätigte Clive.
"Machen Sie eine große Aktion draus. Dieses Videoband muss ja irgendwo stecken. Und dem Mitbesitzer des !VENGA! müssen wir auch auf den Zahn fühlen. Jesse?"
"Ja, Sir?"
Mister McKee sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an und meinte: "Nehmen Sie sich Ortegas Privatwohnung vor!"
"Und was ist mit Jacky Tasso?", fragte ich.
Max Carter meldete sich an Stelle unseres Chef zu Wort.
"Tasso ist extrem misstrauisch. Er hat mehrere Nester über den ganzen Big Apple verteilt, wo er untertauchen kann. Wohnungen, die unter falschem Namen angemietet wurden. Aber die Fahndung nach ihm läuft."
5
"Ich habe dich bereits erwartet, Rob", sagte der Mann mit den hart geschnittenen Zügen. Das Kaminfeuer prasselte und ließ Schatten auf seinem Gesicht tanzen. Der schwarze Vollbart und die starken, in der Mitte zusammenwachsenden Augenbrauen gaben ihm ein düsteres Aussehen.
Rob Davis näherte sich vorsichtig.
Er hatte gewaltigen Respekt vor John Nathanael Broxon, dem Mann, der von einer kleinen Schar von Anhängern als leibhaftiger Heiliger angesehen wurde.
Broxon deutete auf den zweiten Sessel in der Nähe des Kamins.
"Setz dich, mein Sohn."
"Ja."
Davis' Stimme klang heiser und fast tonlos.
Er setzte sich zögernd.
Broxon warf ihm eine Zeitung hin.
"Sieh dir an, was die Diener des Heidentums und der Sünde über uns schreiben, mein Sohn!"
Davis faltete die Zeitung auseinander. SKANDAL IM ST.MARY's HOSPITAL titelte das Blatt. DREI PATIENTINNEN STARBEN DURCH TECHNISCHE FEHLFUNKTIONEN IM OP. GIBT ES NOCH MEHR OPFER? SCHLAMPEREI BEI DER GERÄTE-WARTUNG NICHT AUSGESCHLOSSEN.
Davis schluckte.
Die zehn Gebote waren immer die moralische Grundlage seines Lebens gewesen. Wichtiger noch als selbst die Worte des neuen Heiligen John Nathanael Broxon, der gegen das auf dem Boden Manhattans wiedererstandene Babylon wetterte. Und gegen eines dieser Gebote hatte er verstoßen. 'Du sollst nicht töten...' So gut es ging versuchte Davis, diesen Gedanken zu verscheuchen.
"Das Beste steht auf der nächsten Seite", sagte John N. Broxon. Ein zufriedenes, triumphierendes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. "Dutzende von Operationsterminen Abtreibungen zumeist, mein Sohn! - sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden! Die Klinikleitung steht vor einem Rätsel. Von elektromagnetischer Wechselwirkung ist die Rede, aber natürlich gibt es da Dutzende von Möglichkeiten. Stört der Wehenschreiber das EKG-Gerät oder umgekehrt? Sie wissen nicht woran es liegt. Und natürlich fürchten sie sich vor den Regressansprüchen von Hinterbliebenen und Geschädigten..." Der selbsternannte Heilige lachte auf. Er beugte sich vor. Der intensive Blick seiner sehr suggestiv wirkenden dunklen Augen schien Rob Davis geradezu durchbohren zu wollen. "Drei Kliniken haben wir in den letzten Wochen auf diese Weise lahmlegen können, Rob! Drei Orte der Sünde, Orte an denen unschuldige Seelen dem Moloch geopfert werden sollten! Die Angst geht unter den Sünderinnen um. Auch wenn es nicht die Furcht vor dem Herrn ist, sondern nur die Angst vor dem Versagen medizinischer Geräte. Es ist eine heilsame Angst, sage ich dir! Wahrlich heilsam für diese verlorenen Seelen..."
"Die Frauen werden in andere Kliniken gehen, um abtreiben zu lassen", gab Rob Davis zu bedenken.
"Ja, viele von ihnen werden das tun. Aber dadurch wird unser Kampf gegen das Böse nicht sinnlos. Oder zweifelst du daran?"
"Nein", murmelte Rob Davis. "Aber..." Er stockte.
"Aber was?"
Rob Davis zögerte, ehe er weiter sprach. Er wusste, dass es sinnlos war, dem Heiligen seine Zweifel verbergen zu wollen.
"Nicht alle verstorbenen Patientinnen wollten eine Abtreibung vornehmen."
"Der Kampf gegen das Böse erfordert bedauerlicherweise Opfer, mein Sohn."
"Ja, ich weiß."
"Diese Kliniken sind Orte der Sünde, Rob! Nicht allein der Abtreibungen wegen. Sie nehmen dort Bluttransfusionen vor. Auch das ist gegen den Willen des Herrn, denn das Blut ist der Sitz der Seele..."
"Ja."