Wir sind wie Stunden. Michael Thumser
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Schon den Kronprinzen umschwärmte eine Aristokratin als „le grand Frédéric“. Und Voltaire, lebendes Monument der französischen Aufklärung, erkannte in „Frédéric le Grand“ einen „fürstlichen Philosophen“, umrahmt von „Grazien und Grenadieren“. Mit den Siegesfeiern nach dem zweiten der Schlesischen Kriege setzte sich sein Ehrentitel „der Große“ vollends durch. In offiziellen Urkunden allerdings erscheint er nie.
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Friedrich war ein harter Mann. Unerwartet stark prägte ihn, der sich zunächst als Pazifist bekannte, das Erbgut des brutalen Erzeugers. Eingestandenermaßen stachelte den Geltungssüchtigen die Begierde an, vor der Mit- und Nachwelt zu glänzen: Ihn packte „die Glut der Leidenschaft, der Ruhmesdurst“. Im Blutbad scheute er kein Risiko. Als Hasardeur war er menschenverachtend bereit, auch auf eine schwache Karte alles zu setzen. „Racker, wollt ihr denn ewig leben?“, soll er einmal seinen fliehenden Kriegern nachgeschrien haben. Nachweislich bis zu 400 000 Soldaten und Zivilisten opferte er dem „Phantom, Ruhm genannt“.
„Gott ist immer mit den stärksten Bataillonen“, glaubte Friedrich, der aufgeklärt absolutistisch, mithin von Gottes Gnaden regierte, wiewohl er sich um den Himmel und dessen Herrn sonst wenig scherte. Dennoch galt gerade für ihn die Weisheit des biblischen Predigers Salomo, wonach „ein jedes seine Zeit“ habe: „Krieg hat seine Zeit, und Frieden hat seine Zeit.“ Bis zur Nüchternheit unfromm, verordnete er doch, dass in Preußen keine Religion „der anderen Abbruch tue, denn hier muss ein jeder nach seiner Façon selig werden“. Neben solche geistliche Toleranz stellte er eine publizistische: „Gazetten dürfen, so sie delektieren [unterhalten] sollen, nicht genieret [unter Druck gesetzt] werden“ - womit er die Pressezensur wenigstens zeitweilig lockerte. Schulwesen, Verwaltung und Justiz reformierte er gründlich und verbot die Folter, allerdings per Geheimbefehl: Paradoxerweise durfte sie den angstvollen Beschuldigten weiter angedroht werden.
Der Friedensbrecher als Friedensfürst – als „erster Diener des Staates“: Mit jener Formel beschrieb er selbst seine Rolle. Indem er Sumpfgebiete an Oder und Warthe, Netze und Dosse trockenlegen ließ, eroberte Friedrich „im Frieden eine neue Provinz, ohne einen Mann zu verlieren“. Für 60 000 Siedler entstanden neunhundert Dörfer. Um sie zu ernähren, förderte er den Anbau einer noch wenig verbreiteten, indes nahrhaften Knollenpflanze: Friedrich, der Kartoffelkönig.
Und: Friedrich, der Feingeist. Oder: Friedrich, der Banause? So lange seine Zähne hielten, pflegte er, neben dem Spiel mit den Hunden, das Spiel auf der Flöte. Letzteres hatte dem – auch in der Komposition – begabten Kronprinzen der als Bläser begnadete Johann Joachim Quantz beigebracht, den Friedrich 1741 mit der Stelle seines Hofkomponisten bestallte; als Einziger durfte er es sich erlauben, seinen Gebieter beim Musizieren zurechtzuweisen. Mit hellen Köpfen tauschte Friedrich sich aus, mit Voltaire zumal – bevor er ihn abschätzig wie den „Spaßmacher eines großen Herrn“ verabschiedete; nicht ohne Grund: Zuträger hatten den König wissen lassen, der funkensprühende Denker habe erklärt, er wolle den Gönner wie eine Zitrone auspressen und die trockene Schale auf den Müll werfen; überdies wäre Friedrichs eigene literarische Produktion nicht mehr wert als schmutzige Wäsche, wenn er, Voltaire, sich nicht der Mühe unterzöge, sie reinzuwaschen. Geister, nicht Menschen sammelte der König um sich; Frauen, die ihm angetraute zuallererst, waren ihm egal. Auch galt ihm, der beharrlich französisch parlierte, alles Deutsche wenig: Einheimische Dichtung verhöhnte er, das Genie Johann Sebastian Bachs, der sich ihm vorstellte, übersah er ganz.
Dabei lässt sich ihm Geschmack nicht absprechen. Dem feinen Berlin schenkte er ein Opernhaus. Und im leichten, lebens- und liebenswerten Schloss Sanssouci zu Potsdam spiegelte er, unterstützt vom Baumeister Georg von Knobelsdorff und, nach dessen verärgertem Rückzug, von Johann Boumann, die angenehmen Seiten seines janusköpfigen Charakters. Bei allem Hochkomfort dachte er sich hier, über einer weinbergartigen Terrassenanlage, ein prunkloses Privatissimum im Rokokostil als Rückzugsort einzurichten. Die fünf Räume des Ostflügels mit Bibliothek und Musikzimmer bewohnte er selbst; der dazu symmetrische Westtrakt diente Besuchern zur feudalen Unterkunft. Die Königin übrigens weilte hier nur ein einziges Mal als Gast und war nicht einmal zur Einweihung 1747 geladen worden. In der Gruft, die Friedrich sich vorausschauend vor den Fenstern seines Arbeitszimmers graben ließ, wollte er dereinst, wie er sagte, sans souci ausruhen, ohne Sorge. Jenem Diktum verdankt das „Lusthaus auf dem Weinberg“ seinen bis heute gültigen Namen.
Das Neue Palais hingegen, im selben Park protzend, hat mit Friedrichs Wesen nichts zu tun. In seiner stattlichen Kühle steht es resolut als Residenz da. Als „Fanfaronade“, pure Angeberei, galt das dreiflügelige, überkuppelte Prestigebauwerk aus Back- und Sandstein dem König selbst. Er liebte es nicht; am ehesten als Symbol ließ er die – gleichfalls von Knobelsdorff unter seiner eigenen maßgeblichen Mitwirkung entworfene – Repräsentationsarchitektur mit ihren über 200 kostspielig ausgestatteten Räumen gelten: Nach dem verlustreichen und auszehrenden Siebenjährigen Krieg sollte es aufzeigen, dass mehr als eine Beinahekatastrophe nötig sei, um Preußen das Genick zu brechen.
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Zum „alten Fritz“ war Friedrich schon mit 51 Jahren ergraut: Eingeschrumpft, vertrocknet, krumm und schmuddelig hatten seine drei Schlesischen Kriege, erst recht der letzte, ihn zurückgelassen. Davon wollte die Nachwelt nicht viel wissen. Im 19. Jahrhundert setzten sich, besonders durch die eleganten Malereien und Grafiken Adolph von Menzels, gemütvollvolkstümliche Erinnerungen durch; und mehr noch eine heroisierende Überhöhung. Fürs zweite deutsche Kaiserreich legten Militär- und Historienmaler wie Wilhelm Camphausen und Georg Schöbel die Friedrich-Ikonografie maßgeblich fest: Der König als Held, scharfe Weitsicht in den hellwachen Zügen – so entwarfen sie Andachtsbilder, denen sie trutzige Losungen beigaben: „Ich, vom Schiffbruch rings umdroht, / Trotzen muss ich dem Verderben, / Muss als König denken, leben, sterben.“
Doch nicht erst jene nachgeborene Nationalprophetie, sondern schon er selbst hat begründet, was dem Namen Preußen heute seinen problematischen Klang verleiht: Vormachtstreben und Bereitschaft zu rücksichtsloser Besitzstandswahrung und -vermehrung; den Primat des Militärs und seiner Tugenden; die Feier der Ordnung als Unterordnung, des Dienstes als duldenden Gehorsam. Er selbst, der Frei- und Feingeist von einst, hielt sich während der zweiten, freudlosfleißigen Hälfte seiner Regentschaft daran. Indem er die Waffen ruhen ließ, schien der Ex-Kriegsherr verspätet das Friedensideal wahr machen zu wollen, das der Ex-Vertraute Voltaire vom guten König entwarf: „Ich nenne“, bekundete der, „große Männer alle, die sich durch Nützliches oder Angenehmes ausgezeichnet haben. Die Verwüster von Provinzen sind nur Helden.“
Die anspruchslose letzte Ruhestätte, die Friedrich sich ausgebeten hatte, wurde ihm 205 Jahre nach seinem Tod zuteil. Seinen Sarg, den es auf die hohenzollernsche Stammburg nach Hechingen verschlagen hatte, holte einer nach Sanssouci zurück, dem manche Beschreiber der jüngsten Geschichte gleichfalls „Größe“ zusprechen wollen: Helmut Kohl, der „Kanzler der Einheit“, veranlasste Friedrichs Umbettung immerhin halbwegs im Sinn des Königs. Zwar ließ das Staatsbegräbnis am 17. August 1991 mit seinem militärischen und medialen Aufwand nichts erkennen von „kleinstem Gefolge“ und dem „Schein einer Laterne“; doch liegt der König seither unter einer denkbar schlichten Platte, die nur seinen Namen und den Ehrentitel, kein Kreuz und kein Dekor sonst trägt, ganz in der Nähe seiner toten Hunde, die ihm zeitlebens näher standen als die Menschen.
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