Herrenfahrrad "Partizan". Dragan Aleksić

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Herrenfahrrad

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Kanal bei der Mühle, in der Nähe der ersten Brücke, etwa dreißig Deutsche erschossen worden. Darunter befand sich auch ein junger katholischer Priester.

      Die Deutschen stammten alle aus Karlsdorf, einem großen Dorf von Donauschwaben, etwa vierzig Kilometer entfernt. Diejenigen, die geschossen hatten, sagten auf dem Rückweg: „Das war für unsere Leute, die bei den Drei Kreuzen umgelegt wurden. Ja, das war für die Sache bei den Drei Kreuzen, für die hundertfünfzig von uns, die sie vor einem Jahr erschossen haben, verflucht sei ihre Schwabenmutter. Verflucht sei ihre volksdeutsche Mutter, sie gehören alle umgebracht, vertrieben, ihr Samen gehört vergraben. Kein einziger Schwabe soll je wieder im Banat umherstolzieren. Ihr Hitler soll sie ficken! Hoch lebe Genosse Tito! Hoch lebe Genosse Stalin!“

      Da lagen sie, die Leichen kräftiger, gesunder Bauern, Tischler, Schneider, Schmiede, eines Arztes und fünf Frauen – sie alle hatten ihr Land, ihre Häuser, ihr Vieh nicht verlassen können, um sich den anderen Donauschwaben anzuschließen, die im September nach Deutschland, in ihre ursprüngliche Heimat, geflüchtet waren. Die Leichen lagen auf einem Haufen in einer Grube, und einige Zigeuner schleppten auf Befehl der Partisanen nasse Kieselsteine herbei, ausgebuddelt aus dem Fluss Nera.

      Ein dreizehnjähriger Junge wurde nicht erschossen, man ließ ihn nach Hause gehen. Sein Vater flüsterte ihm auf Deutsch zu: „Hans, sie lassen dich gehen, geh nach Hause. Hinter dem Feld drüben sind die Eisenbahnschienen, wenn du ihnen folgst, bist du in ein paar Stunden in unserem Dorf.“ Der Junge schaute seinen Vater erschrocken an: „Und du? Ohne dich gehe ich nicht.“ Der Vater gab dem Jungen einen Kuss auf die Wange, dann auf den blonden Hinterkopf, und sagte: „Mein Sohn, geh nach Hause. Pass auf deine Mutter und deine Schwestern auf. Du bist jetzt der älteste Sonnleitner. Geh schon, beeil dich, bevor sie es sich noch anders überlegen.“

      Der Vater streichelte seinem Sohn über den Kopf, drückte ihm fest auf die Schulter, dann versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Rücken: „Geh schon, und dreh dich nicht um ...“

      Der Junge ging los, er drehte sich nicht um. Er gehorchte seinem Vater.

      Der Deutsche nickte zu dem Partisanen, der ihn aufgefordert hatte, seinen Sohn nach Hause zu schicken: „Du bist ein guter Mann. Ich danke dir. Du hast meinen Sohn gerettet.“

      Der Partisane sagte leise: „Du hast lange auf ihn gewartet. Du hast drei Töchter, sie sind älter als der Kleine.“

      „So ist es“, sagte der Gefangene überrascht. „Woher kennst du mich?“

      Der Partisane schaute den Deutschen an: „Ich weiß nicht, ob dein Kleiner Haus und Hof retten kann, die Zeiten sind schlimm, aber seinen Nachnamen wird er retten ... vor einigen Jahren war ich in deinem Dorf, auf der Durchreise. Es war im Winter. Kein Schnee, aber Frost. Ich hatte einen Platten am Fahrrad. Keine Hilfe, ich kannte niemanden dort. Du hattest mich gesehen und nahmst mich mit nach Hause. Vor deinem Haus hast du meinen Reifen geflickt. Du brachtest eine Flasche Wein aus dem Keller, damit ich vom Sandwein koste. Dem Kleinen sagtest du, er soll mir ein Glas aus der Küche bringen. Als ich weiterfuhr, gabst du mir die Flasche mit, damit der Wein mich unterwegs wärmte.“

      *

      Im Jahr 1970 ist der fünfundzwanzigjährige Slobodan Dakić einer von den vielen jugoslawischen Gastarbeitern in Westdeutschland. Er arbeitet bei Siemens und ist mit seiner Arbeit und seinem Gehalt zufrieden. Er wohnt in einer kleinen Wohnung mit zwei anderen Maurern und einem Schlosser. Sein Plan ist es, drei, vier Jahre zu arbeiten, viel Geld zu sparen, ein gutes gebrauchtes Auto zu kaufen sowie Werkzeug für eine Autowerkstatt, dann nach Hause zurückzukehren und in Vaters Hinterhof, wo es einen Zugang zur Straße gibt, eine Werkstatt aufzumachen.

      Eines Tages kommt in der Arbeit ein Ingenieur auf ihn zu:

      „Slobodan, du bist doch aus Jugoslawien. Aus welchem Ort?“

      „Aus Bela Crkva“, antwortet Slobodan, macht sein Arbeitsgerät aus und wundert sich, dass der relativ junge Ingenieur, zehn-fünfzehn Jahre älter als er selbst, ihn auf Serbisch anspricht, wenn auch mit einem starken deutschen Akzent. „Aus Bela Crkva im Banat.“

      „Beim Fluss Nera?“

      „Ja.“

      „Dort, beim Fluss Nera, wurde mein Vater erschossen. Er und weitere dreißig Bewohner aus Karlsdorf. Ich selbst war auch dort. Ich war damals dreizehn Jahre alt. Ein Partisan ließ mich nach Hause. Er sagte zu meinem Vater: Sag deinem Sohn, er soll nach Hause gehen.“

      „Du bist Hans Sonnleitner?“

      „Ja, woher weißt du das?“

      „Mein Vater war dieser Partisan. Er erzählte mir davon, es hatte sich am Ende des Krieges zugetragen. Mehrmals sprach er davon. Er wurde einige Monate vor der Befreiung als Partisan rekrutiert. Dabei hatte er nie zuvor gekämpft, nicht einmal einen Schuss abgegeben. Er war keiner von denen.“

      „Dein Vater hat mir das Leben gerettet und jetzt bist du da. Ein Wunder. Unsere Väter haben sich an der Nera getroffen und wir hier bei Siemens.“

      „Mein Vater hat dir das Leben gerettet und dann hat er deinen Vater getötet.“

      „Nein. Das glaube ich nicht. Er hat nicht auf meinen Vater geschossen.“

      „Doch, hat er.“

      „Nein, hat er nicht. Das kann nicht sein. Ich habe gesehen, wie er mit meinem Vater sprach. Er hat auch mich angeschaut ... er war es nicht.“

      „Doch. Obwohl er nicht wollte. Sein Plan war es, beim Befehl Zielen sein Gewehr zu heben und so wie alle anderen auf die Reihe der Deutschen zu zielen, und beim Befehl Feuer die Augen zuzumachen, mit der Mündung seines Gewehrs nach oben zu zielen und zu schießen, komme was wolle. Möglicherweise würde seine Patrone zwischen zwei Leuten hindurchfliegen, oder über ihre Köpfe hinweg ... aber dein Vater sagte zu ihm: Du hast meinen Sohn gerettet. Ich danke dir, Gott schütze dich. Du bist ein Mensch, ein guter, guter Mensch. Wenn du willst, rette auch mich. Schieß auf mich. Ziel gut und schieß mir ins Herz. So wird es am besten sein, so werde ich mich nicht plagen müssen. Die anderen könnten mich bloß verletzen, das tut dann weh, und dann kommt einer von ihnen zu mir und schießt mir direkt in den Kopf. Derjenige wird mich dann anschauen müssen, ich werde ihn anschauen müssen. Beim Befehl Zielen zielte mein Vater auf deinen Vater, und beim Befehl Feuer schoss mein Vater deinem Vater ins Herz.“

      Wie Vaso Mraović dem Tod zuvorkam

      Der Arzt hatte Vaso Mraović gesagt, er sei krank. Ernsthaft krank.

      Wie lange noch?

      Na ja, ein Jahr. Es tut mir leid.

      Meine Mutter ist sechzig geworden. Der Alte dreiundsechzig. Meine Frau war zweiundsechzig, als sie gestorben ist. Ein ganzes Jahr als Flüchtling. Hier im Krankenhaus. Die Ärzte sagten, es sei Leukämie. Aber ich glaube, sie ist vor Trauer krepiert. In der Nacht, in der sie starb, sagte sie der Nachtschwester: Ružica, ich bin dann mal weg.

      Wohin denn, Mütterchen?

      Zu meinem Miloš.

      Wer ist denn Miloš, mein Mütterchen?

      ... mein einziger Sohn ... mein Augenlicht.

      Sie ist vor Kummer gestorben. Wie so viele ... ich bin jetzt sechsundsechzig, und wenn ich dieses eine noch vollmache, von dem du da sprichst, dann sind es siebenundsechzig. Genug.

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