Gesicht des Zorns. Блейк Пирс
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Interessant. Ihr war nun klar, warum Maitland ihr die Akte dagelassen hatte. Das war genau die Art Fall, an dem sie früher gearbeitet hätte. Die Art Fall, von dem Shelley gehört und dann ihre Namen für die Ermittlungen ins Spiel gebracht hätte, wenn Maitland selbst noch nicht auf die Idee gekommen war. Zeichen und Symbole, Gleichungen, merkwürdige Hinweise, aus denen die meisten anderen Ermittler nicht schlau wurden. Das war genau ihr Ding.
Und in gewisser Weise war es nun sogar fast erfrischend, sich diese Akte anzusehen. Und damit dafür zu sorgen, dass die Zahlen diesmal an etwas arbeiteten, für das sie tatsächlich relevant waren – etwas, das sie zu ihrer Karriere gemacht hatte. Die Suche nach Verbindungen zwischen Hinweisen, um damit einen Mordfall zu lösen. Es fühlte sich gut an, von den Zahlen zur Abwechslung mit Informationen zu einem Fall überladen zu werden – und nicht bloß von den Maßen ihrer Wohnung und all der Dinge, die sich darin fanden. Es war eine Erleichterung.
Was nicht heißen sollte, dass sie den Fall tatsächlich annehmen würde – aber ihr Interesse war geweckt. Und zwar so sehr, dass sie mehr wissen wollte, selbst wenn sie dafür zu Maitland ins Büro gehen musste. Möglicherweise konnte sie die Zahlen dadurch noch ein wenig länger im Zaum halten, weil sie auf etwas anderes gelenkt werden würden. Und vielleicht würde sie sich dadurch für ein paar Minuten wieder wie sie selbst fühlen.
Aber erstmal gab es etwas noch viel Wichtigeres zu erledigen – sonst würde sie es gar nicht erst bis ins Hauptquartier schaffen.
KAPITEL VIER
Zoe sah starr geradeaus, konzentrierte sich ganz auf das Auto vor ihr. Es war bisher eine ziemlich anstrengende Fahrt gewesen. Es war kein Leichtes, sicher zu fahren, wenn man dabei nicht damit aufhören konnte, die Nummernschilder und Auspuffgase zu analysieren, die Anzahl der Fahrzeuge jeder erdenklichen Farbe und jeder Marke mitzuzählen und die Körpermaße jeder einzelnen Person, die man in einem der anderen Fahrzeuge erhaschte, zu ermitteln. Und doch hatte sie es irgendwie bis hierhin geschafft, teils dadurch, dass sie sich wie besessen darauf konzentrierte, während der ganzen Fahrt wann immer möglich die genau gleiche Geschwindigkeit beizubehalten.
Die Straße, in der sich nun befand, war ihr bestens bekannt. Zoe kannte die Gebäude hier, wusste, welche davon mehr Stockwerke hatten als die anderen, welche sich durch das Absinken des Fundamentes inzwischen um etwa fünf Grad geneigt hatten und konnte an dem Winkel, in dem das Sonnenlicht auf den Bürgersteig traf, die Uhrzeit ablesen. Sie war schon so oft hier gewesen, dass sie all diese Berechnungen schon mehrfach angestellt hatte. Und als all diese Zahlen nun erneut in ihrem Sichtfeld erschienen, war sie deshalb gerade so dazu imstande, sie zu verdrängen und sich stattdessen auf den eigentlichen Grund für ihr Herkommen zu konzentrieren.
Sie fand direkt davor einen Parkplatz, das allein war bereits ein Wunder. Zoe nahm sich einen kurzen Moment, um ihr Gesicht im Rückspiegel zu betrachten. Sie war zwar immer noch blass und hatte immer noch Augenringe, aber trotzdem sah sie immerhin ein bisschen besser aus, als noch vorhin. Zu duschen und sich etwas ordentlicher anzuziehen hatte, auf jeden Fall einen Unterschied gemacht, wenn auch nur rein äußerlich.
In ihrem Inneren sah es immer noch ganz anders aus. Das konnte man nicht mit einer einfachen Dusche wegspülen.
Irgendwie schaffte sie es, sich dazu zu motivieren, die Autotür zu öffnen und auszusteigen. Sie fokussierte ihren Blick dann voll und ganz auf das Bürogebäude, aufgrund dessen sie hergekommen war. Die Augen fest auf die Eingangstür gerichtet folgte sie den Dimensionen, die aus dem Nichts in ihr Sichtfeld drängten, ins Innere.
Dr. Lauren Monks Praxis war im zweiten Stock. Normalerweise empfing sie ihre Patienten dort nur zu im Voraus vereinbarten Terminen. Zoe hatte zwar keinen Termin ausgemacht, aber sie hatte angerufen, um sicherzugehen, dass Dr. Monk trotzdem Zeit haben würde.
Dr. Monk saß an ihrem Schreibtisch, mit der Tür zum Wartezimmer geöffnet, um zu signalisieren, dass gerade niemand bei ihr war. Zoe durchschritt das helle Wartezimmer, es war in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau gehalten, und ging direkt weiter in das Behandlungszimmer, wo ein altbekannter, abgenutzter Ledersessel sie erwartete. Zoe ignorierte den Sessel jedoch und blieb stehen – und mit einiger Mühe gelang es ihr, den Blick zu heben und Dr. Monk ins Gesicht zu sehen, die Zoes Blick erwiderte.
Auch wenn man an Dr. Monks Gesichtsausdruck vielleicht etwas hätte ablesen können, Zoe war dazu nicht in der Lage. Sie nahm nur die Dimensionen des Gesichtes wahr: den Abstand zwischen den Augen, den Winkel, in dem die Augenbrauen gebogen waren, die Länge jedes einzelnen Haares – von all diesen Eindrücken war Zoes Wahrnehmung so sehr überladen, dass sie keine Kapazität mehr dafür hatte, das darunter verborgene menschliche Gesicht ebenfalls zu erkennen. Sie wusste nur, dass Dr. Monk sich seit Zoes letztem regulären Termin hier – mit dem ihre Therapie geendet hatte, weil Dr. Monk keinen weiteren Bedarf mehr dafür gesehen hatte – rein äußerlich in keinster Weise verändert hatte. Sie war die Gleiche geblieben, mit ihrem dunklen Bob, der eine befriedigend gerade Kante hatte, und demselben Schönheitsmal einen Zentimeter oberhalb ihres rechten Mundwinkels.
„Es ist schön, Sie wiederzusehen, Zoe“, sagte Dr. Monk und erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl. Normalerweise nahm sie in den Therapiesitzungen gegenüber von dem schwarzen Ledersessel Platz, um ihren Patientinnen direkt gegenüber zu sitzen, ohne dass etwas zwischen ihnen stand. „Es ist ja schon einige Wochen her.“
„Ich wollte keinen weiteren Termin mehr ausmachen“, sagte Zoe und verschränkte dabei straff die Arme vor der Brust. „Sie hatten ja gesagt, dass es mir jetzt besser ginge.“
„Es ging Ihnen auch besser“, sagte Dr. Monk mit sanfter Stimme. Sie kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um Zoe unmittelbar gegenüberzustehen. „Aber ein Trauerfall kann auch nach einer äußerst erfolgreichen Therapie einen Rückfall auslösen. Unsere erlernten Bewältigungsmechanismen funktionieren danach eventuell nicht mehr – oder wir sehen einfach keinen Sinn mehr darin, sie überhaupt anzuwenden. Wenn jemand verstirbt, der einem sehr nahe stand, dann ist es ganz normal, noch ein wenig mehr Unterstützung zu brauchen.“
Zoe versuchte erneut, nicht nur die Zahlen wahrzunehmen, sondern Dr. Monks darunter verborgenen Gesichtsausdruck zu erkennen, aber es gelang ihr auch diesmal nicht. „Ich dachte, ich hätte das jetzt unter Kontrolle.“
Dr. Monks Körperhaltung entspannte sich, die Winkel ihrer Schultern flachten sich ab, wurden geschmeidiger. „Ich würde Sie bitten, einen neuen Termin auszumachen. Und zwar für die nahe Zukunft. Am besten so bald wie möglich.”
„Okay.“ Zoe atmete tief durch. „Aber deshalb bin ich nicht hergekommen.“
Dr. Monk nickte bedächtig. „Ich kann Ihnen ansehen, dass Sie eine ziemlich schwere Zeit durchmachen. Wie viel Schlaf kriegen Sie denn im Moment?“
„Nicht besonders viel.“ Zoe zuckte mit den Schultern. „Ich schlafe erst spät nachts ein und stehe spät wieder auf. Alkohol hilft. Aber dann bin ich am nächsten Tag müde, weshalb ich manchmal auch tagsüber schlafe.“
Dr. Monk nickte erneut, diesmal energischer. Viermal. „Ich vermute, dass Sie in einer schweren depressiven Episode stecken“, sagte sie. Zoe blieb nichts anderes übrig, als dem zuzustimmen; Dr. Monk kannte sie schließlich sehr gut. Sie wusste nichts über