Gesicht des Zorns. Блейк Пирс
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„Hier ist es wohl“, sagte Flynn. Er hatte den Kopf nach vorne gebeugt, um besser sehen zu können. Sie fuhren vor einem Polizeirevier vor. Von einigen Streifenwagen und einem einzigen Reporter in einem dicken Mantel abgesehen, war es vor dem Gebäude ruhig.
Zoe atmete erleichtert durch, als sie den Sicherheitsgurt endlich loslassen konnte. Selbst als sie zum Stehen kamen, war der Druck des Gurts auf ihren Hals noch so groß, dass ihr davon übel wurde, bis sie sich abschnallte und den Gurt losließ. Wegen der Kombination aus Übelkeit, den immer noch am Rande ihres Bewusstseins nachklingenden Kopfschmerzen und den Zahlen, die sich in ihr Sichtfeld drangen, war Zoe erschöpft und unkonzentriert. Am liebsten wäre sie einfach sitzengeblieben und hätte sich ein wenig ausgeruht, vielleicht ein bisschen geschlafen – aber dazu gab es natürlich keine Gelegenheit.
Der Neue war bereits dabei, auszusteigen, also schloss Zoe sich ihm widerwillig an. Sie konnte es sich nicht leisten, ihm hinterherzuhinken, nicht hinter einem Partner, der noch gar nicht wusste, was er tat. Sie hatte in der Vergangenheit bereits häufiger Berufseinsteiger frisch aus der Ausbildung als Partner zugeteilt bekommen. Die wollten immer überhastet überall reinplatzen und sofort beweisen, was sie drauf hatten. Und gleichzeitig immer alles ganz genau nach Vorschrift machen. Unwillig, von den starren Strukturen abzuweichen, die ihnen beigebracht worden waren. Das bedeutete, dass es stressig für sie werden würde – und es viel zu diskutieren geben würde. Genau das, was ihr in ihrer jetzigen Lage noch gefehlt hatte.
Sie holte Flynn kurz vor der doppelten Schwingtür des niedrigen, grauen Polizeigebäudes wieder ein. Es wurde langsam spät; ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass es bereits kurz nach sieben war, die Sonne war zudem längst untergegangen. Das künstliche, gelbe Licht von der Sicherheitsbeleuchtung rund um das Gebäude sorgte dafür, dass es weiterhin gut sichtbar war, aber um die einzelnen Glühbirnen herum hatten sich winzige Fliegen und Motten versammelt, die im unwiderstehlichen Sog des Lichts hin und her tanzten. Der Reporter, der sich die Hände rieb und auf und ab sprang, um sich warm zu halten, hatte sie zwar bemerkt, sprach sie aber nicht an.
Eine Rezeptionistin in einer Fleecejacke sah zu ihnen auf, nachdem sie das Gebäude betreten hatten und nahm das Ende eines Stiftes aus dem Mund. „Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. Zoe bemerkte, dass sie in jedem Ohr drei Ohrringe trug und dass ihre Fingernägel fünf Zentimeter lang und aus mit einem aufwändigen, gefleckten Muster bemaltem Plastik waren.
Sie öffnete den Mund und wollte gerade antworten, stellte dann aber fest, dass eine andere Stimme aus ihrem Mund zu kommen schien. „Wir sind vom FBI“, sagte Flynn und zeigte zum Beweis seine Dienstmarke. „Wir haben einen Termin mit dem Sheriff.“
Die Rezeptionisten nickte desinteressiert und griff zu dem Telefon auf ihrem Tresen. Sie sprach einige Worte in den Hörer, Zoe war jedoch zu sehr damit beschäftigt, die Spiralen in dem Kabel daran zu zählen, um etwas zu hören. Nachdem sie aufgelegt hatte, nahm die Empfangsdame wieder ihren Stift in den Mund, ging dazu über, Flynn und Zoe zu ignorieren und begann, etwas zu lesen, dass sie knapp außer Sichtweite vor sich liegen hatte.
Als sie Schritte hörte, drehte sich Zoe ungeduldig um. Ein Stück weiter den Flur entlang öffnete sich eine Tür und eine Frau trat hindurch. Sie trug eine braune Sherriffsuniform mitsamt Funkgerät und Dienstwaffe am Gürtel. Sie war etwa fünfundfünfzig Jahre alt und hatte ihre bereits leicht ergrauten Haare scheinbar nachgefärbt, denn an den Wurzeln war ein etwa zweieinhalb Zentimeter langes Stück Grau nachgewachsen.
Zoe schätzte ihre Größe auf eins siebenundsechzig, womit sie zehn Zentimeter kleiner war, als Zoe selbst. Sie wog etwa achtundsechzig Kilo und hatte einen entschlossenen Gang – wenn auch leicht nach vorn gebeugt, mit leicht gekrümmtem Rücken.
„Sheriff Danielle Petrovski“, sagte sie mit starkem New Yorker Akzent und streckte eine Hand vor sich aus. Sie hielt die Hand zunächst Zoe hin, was eine angenehme Überraschung war, denn die meisten Menschen wären automatisch davon ausgegangen, dass der Mann der Vorgesetzte sein musste.
„Special Agent Zoe Prime“, sagte Zoe und schüttelte die ausgestreckte Hand, während sie mit ihrer anderen ihre Dienstmarke zeigte. Sie schüttelte die Hand mit einem kräftigen Händedruck und berechnete dabei, mit welchem Kraftaufwand Sheriff Petrovski den Händedruck erwiderte. „Das ist Special Agent Adrian Flynn.“
„Aiden“, korrigierte er sie, während er mit dem Händeschütteln an der Reihe war. Zoe zeigte keine Reaktion. Es wäre nicht angebracht, ihn merken zu lassen, dass sie diesen Fehler mit Absicht begangen hatte, um ihn im Zaum zu halten.
„Wollen Sie gleich loslegen oder wollen Sie sich erstmal ein Motelzimmer für die Nacht suchen?“, fragte Petrovski und sah erwartungsvoll zwischen den beiden hin und her.
„Wir legen gleich los“, sagte Zoe und ignorierte damit, was Flynn zu sagen hatte. Er war Anfänger. Wahrscheinlich hätte er sich schlafen legen wollen. „Wenn wir damit anfangen könnten, uns den Tatort anzusehen?“
„Selbstverständlich.“ Sheriff Petrovski nickte. Sie klopfte sich auf eine ihrer Taschen, womit sie klar machte, dass sich darin Schlüssel befanden. „Ich fahre Sie hin, sofern Ihnen das recht ist. Der Tatort ist etwa zehn Minuten entfernt.“
Zoe stimmte nickend zu, dann verfiel sie wieder in Schweigen, während sie sich umdrehten und wieder in Richtung Ausgang und Parkplatz liefen. Sie gestattete Flynn nun zu sprechen und Fragen zu stellen. Keine der Fragen und auch keine der Antworten, die er darauf erhielt, gaben ihnen irgendwelche Informationen, die über das hinausgingen, was bereits in der Akte gestanden hatte. Er war noch zu unerfahren, um sofort mit den Ermittlungen beginnen zu wollen. Er wollte zunächst die Informationen verifizieren, die man ihm gegeben hatte, so wie man es ihm beigebracht hatte. Er wusste noch nicht, wie man nach neuen Details bohrte.
Nicht, dass Zoe je besonders gut darin gewesen wäre, aus Menschen neue Informationen herauszupressen, aber sie fand die Antworten auf ihre Fragen anderswo.
Sie war damit einverstanden, sich auf die Rückbank des Wagens von Sheriff Petrovski zu setzen, auch wenn dort normalerweise nur Verbrecher saßen. Es war angenehm, von den Vordersitzen abgetrennt zu sein, das diente ihr als Vorwand, weiterhin nicht am Gespräch teilzunehmen. Stattdessen schaute sie aus dem Fenster und sah sich die vorbeiziehende Landschaft an: Die Bäume quollen bereits über vor orangen und braunen Blättern, die jetzt zu Boden segelten und kahle Äste und Zweige zurückließen. Die welken Blätter lagen in verwehten Haufen, wo sie vorher von irgendeinem Freiwilligen zusammengefegt worden waren, der wohl irgendwie der zynischen Einsicht entkommen war, dass morgen weitere Blätter fallen würden und dass ein einziger Windstoß seine ganze Arbeit zunichte machen konnte.
Die Straßen waren größtenteils leer; die klirrende Kälte sorgte dafür, dass sich die meisten Menschen drinnen aufhielten, wenn sie nicht unbedingt draußen sein mussten. Die Landschaft zwischen den einzelnen Gebäuden war zu dieser Jahreszeit grau und kahl, geradezu leblos. Zoe lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe und sah desinteressiert weiter nach draußen.
Als sie schließlich ankamen, das Gerede des Neuen für Zoe inzwischen wenig mehr als ein Rauschen im Hintergrund, war sie kurz davor, einzuschlafen – wenn da nicht die Zahlen gewesen wären. Und der damit verbundene Drang, immer weiter zu zählen.
Aus dem Auto ausgestiegen standen sie nun auf einem weiteren kalten Parkplatz, diesmal vor einem Gebäude mit Kuppeldach, das auf einer dramatischen Anhöhe des Stadtgebietes stand. Durch seine überdimensionale Architektur einschließlich prachtvoller Säulen zu beiden Seiten des