Fahlmann. Christopher Ecker
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Sie rannte an den riesigen Seetang-Gewächsen vorbei, sprang über fleischfressende Pflanzen und raste vor der kochendheißen Lava davon. Sie trug ein Negligé, das die Farbe dünnen Nebels hatte, und es rutschte ständig ihre Schenkel hoch, während sie lief, und ihre bloßen Beine leuchteten weiß im Sonnenlicht. Sie rannte sehr schnell, aber die Riesenaustern holten trotzdem auf.
Klack-klack machten die Austern. (…)
Ja, es sah so aus, als ob die Austern sie einholen würden. Sie war zwar der kochenden Lava entkommen, aber jetzt stand sie am Klippenrand, vor ihr lag das schreckliche Meer des Feuers. Sie saß in der Falle.
«Sowas liest man bestimmt in Spitzbergen!» – «Du machst das Buch sofort wieder zu!», sagte Susanne. Ich protestierte: «Aber jetzt gehts doch erst richtig los …»
Cherry schrie – das machte sie sehr schön.
Und hinter ihr kamen die Riesenaustern näher.
Cherry schrie wieder, jetzt eine halbe Oktave höher.
Klack-klack. «Iiiihhh.» Klack-klack. «Iiiiiihhhhh.» Klack-klack-klack! «Iiii aaaahhhhh!»
»Der Esel ist doch klasse!» – »Ganz große Klasse!», seufzte Susanne. Zwei Tage später, als ich wieder mit Heinz unterwegs war, wollte er natürlich wissen, ob es gut gewesen sei. «Was?», fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Er bot mir eine Gauloises an. Dankend lehnte ich ab. Klack-klack machten die Austern. Schwungvoll bog er in die Von-Boka-Straße. Cherry schrie – das machte sie sehr schön. Er warf den dritten Gang rein. Leise: «Buch. Das Buch. War das Buch gut?» – «Welches Buch?» – «Das Krimibuch, das ich dir», Räuspern, «zum Geburtstag, du weißt schon … vorgestern (vohrgieschder) … das Buch halt.» – «Ahhh, das Buch!» Ich mimte einen Anfall spontanen Erinnerns, aber die Riesenaustern holten trotzdem auf. «Das war Klasse.» Klack-klack. «Spannend.» Iiii aaaahhhhh! «Habs in einem Rutsch durchgelesen. Ich mag so Privatdetektivkram. War ne verdammt gute Idee von dir!»
Und Heinz saß glücklich hinter dem Steuer im Kommunionsanzug, saß da wie ein Junge, der seiner Mutter heimlich einen Kuchen zum Muttertag gebacken hat, aber weil ich leider kein guter Schauspieler bin, kein überzeugender Lügner, schien er doch was gemerkt zu haben, denn an meinem nächsten Geburtstag kehrte er wieder zu seinem Standardgeschenk (Flasche Cognac) zurück. Die Bienen aus dem Monsterfilm erhielten jedoch einen Ehrenplatz im Bücherregal, und oft erklärte ich Susanne, sie (die Bienen) wären das allerschönste Geschenk, das ich in meinem Leben bekommen hätte. Heinz fehlt mir, krakelige Schrift, unter meinen Schuhsohlen rumpelt die Métro und verführt die Espressotasse zu einem Scheppertänzchen auf dem Tellerchen, vielleicht (zurück, zurück!) sollte ich meinen Helden von Riesenaustern träumen lassen. Quatsch, wenn ich anfange zu klauen, bin ich keinen Deut besser als Winkler! Ich deckte die Schreibmaschine ab, kann Traumszenen in Büchern ohnehin nicht ausstehen, eine Wolke, die wie ein aufgequollener Wattehase aussah, schwamm durch das Himmelsrechteck in der schrägen Wand, unten klingelte das Telefon, hör auf zu arbeiten, klingelte es erlösend, hör auf zu arbeiten, mach heute Nacht weiter, hör auf, leg dich schlafen, gibs auf, aber flitz jetzt erst mal runter und heb meinen Hörer ab, du Depp! Ich hoffte natürlich, dass Inge es so hartnäckig läuten ließ. Wieso ruft sie mich erst jetzt wieder an? Aber allein, die Tatsache, dass sie wieder anruft …
Doch es war Struebing, der hilflose Buchhändler.
«Spreche ich mit Herrn Fahlmann?»
«Am Apparat!»
«Ihr Großvater ist wieder da.»
«Aha», sagte ich.
«So geht das nicht weiter!»
«So», sagte ich.
«Er kann doch nicht unentwegt … du liebe Güte!»
«Mein Großvater ist ein erwachsener Mann. Reden Sie mit ihm!»
«Würde ich ja gerne, aber er hört mir nicht zu!»
«Herr Struebing. Eine Frage. Was habe ich mit der Sache zu tun? Ich kann meinen Großvater nicht an die Leine legen.»
«So etwas würde ich nie von Ihnen verlangen. Gott bewahre! Aber es geht nicht an, dass er …»
«Geben Sie ihn mir! Ich rede mit ihm.»
Ich setzte mich auf den Boden, den Rücken am Schuhschrank, das Telefon auf dem Schoß. Om wischte durch die Katzentür, sah mich, erstarrte eine Schrecksekunde lang, gähnte dann gelangweilt, warf sich auf den Fußabstreifer und reinigte eine affektiert abgespreizte Vorderpfote. Bisweilen hielt er inne, um mich anzustaunen; ich staunte schonungslos zurück.
«Georg?», fragte der Telefonhörer.
«Wer sonst?»
«Hat er dich schon wieder angerufen?»
«Natürlich.»
«Ich habe eben dein Buch verkauft!»
«Nett von dir. Danke!»
«Na ja, man muss was tun. Wie gehts deinem Roman?»
«Mittelprächtig. Er will nicht so, wie ich es will.»
«Du solltest mal eine Schreibpause einlegen. Das tut dir und damit dem Text bestimmt gut … Moment!» In den Raum hinein: «Ich helfe Ihnen sofort!» Zu mir: «Hast du heute Nachmittag Zeit? Ja? Sechzehn Uhr? Gut, dann bis später! Tschüss, Georg!»
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