Folgen einer Landpartie. Bernhard Spring

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Folgen einer Landpartie - Bernhard Spring

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hatte er bisher einen so positiven Eindruck von der Stadt bekommen. Mit heißer Schokolade und Kuchen hatte er sich nach dem unbequemen Ritt gestärkt, war anschließend durch die engen, gewundenen Gassen bis zu dem Domplatz gelangt, wo er mit Staunen diesen uralten Kirchbau betrachtet hatte. Solche Imposanz war in Halle nirgends oder höchstens vielleicht in der Marienkirche zu finden. Hier aber, im Dom zu Merseburg, hatte nicht nur Doktor Luther selbst von der reich verzierten Kanzel gepredigt, hier lag auch Kaiser Heinrich begraben, wie ihm ein gemieteter Führer versichert hatte. Zwischen all den teueren Reliquien der Heiligen, die in dem Dom ausgestellt worden waren, hatte ihn, den Fremden, nichts so sehr bewegt wie der katholische Altar, der die Reformation und das Ende des Bistums unbeschadet überstanden hatte. Dass er als Katholik in dieser protestantischen Region auf so alte Zeugnisse seines Glaubens gestoßen war, hatte einen Anflug von Heimweh in ihm aufkommen lassen. Doch im selben Moment schon hatte er über sich lächeln müssen, schließlich hatte er doch erst vor wenigen Wochen die Abgeschiedenheit des heimischen Schlosses Lubowitz gegen das wilde Studentenleben im unübersichtlichen, beengten Halle eingetauscht. Und wohnte er nicht Stube an Stube mit seinem Bruder Wilhelm, der sich auf so liebevolle Weise um den Jüngeren kümmerte, dass dieser ihm manchmal fast die größeren Lernerfolge verzieh? Heimweh, so dachte der junge Mann selbstkritisch, war mehr als unangebracht.

      Dann hatte er in den Schlossgarten hinabgesehen, wo die Frühblüher entlang der Brunnen das Grün des Rasens aufhellten. Er hatte auch den Salon am Ende des Gartens erblickt, und als er erfahren hatte, dass man an diesem Nachmittag den großen August Friedrich Ferdinand Kotzebue geben würde, hatte er einfach dabei sein müssen.

      Nun kämpfte er mit dem dringenden Wunsch, den Saal zu verlassen. Weder das Stück, noch das Publikum konnten ihn fesseln.

      Lauter eintönige, hinlänglich entzückte, aber nichts verstehende Gesichter. Hier und da ein Kommilitone, der wie er einen schöner gedachten Nachmittag nun in Merseburg verlor. Der Rest war eine austauschbare, einfältige Masse.

      Erst da erblickte er die Rothaarige. Ihre unter dem rüschenverzierten Kiepenhut hervorlugende griechische Frisur war der Mode um ein paar Jahre hinterher und auch ihre von der vor ihr Sitzenden verdeckte Kleidung würde ebenso wenig aktuell sein. Alles, was er davon sehen konnte, war der Kragen des Kleides, der verriet, dass sie dem städtischen Patriziat oder dem niederen Landadel des Umlandes angehörte. Dieser Stand pflegte seine althergebrachten Bräuche, die er sich nicht mehr leisten konnte. Politisch und wirtschaftlich hatte er längst ausgedient. Der junge Mann kannte die finanziellen Nöte des Landadels nur zu gut, schließlich entstammte auch er einer Familie mit solcherlei Sorgen.

      Was ihn nun an dieser Person, von der er wenig mehr als das Gesicht sehen konnte, faszinierte, waren vor allem ihre Augen, die trotz der gespielten Konzentration ihres Gesichts verrieten, dass sie das dargebotene Lustspiel ebenso langweilig fand wie er. In ihr mussten zwei Seelen ruhen: die eine, die sich zu verstellen wusste und dieses kulturelle Martyrium über sich ergehen ließ. Und eine zweite schließlich, die sich nur in ihren Augen offenbarte und voller Leidenschaft und Ironie zu sein schien. Erstere war für eine gewöhnliche, spärlich begüterte Adelige durchaus gewöhnlich und uninteressant. Letztere hingegen, in ihrer hemmungslosen Ehrlichkeit, würde dieselbe Person unmöglich machen und ihr einen obszönen Ausdruck verleihen. Nur die Verbindung des anständigen, erzogenen und des geheimen, heißeren Temperaments bildete das Besondere, das der junge Mann in ihrem Gesicht angedeutet zu finden glaubte.

      Aber er war tatsächlich jung, siebzehn Jahre zählte er erst, und abgesehen von einer gewissen Caroline Pitsch, seiner ersten, und zwei albernen Breslauer Gören nach ihr, die er sich mithilfe seiner Rhetorikstunden am katholischen Gymnasium hatte zu eigen machen können, war ihm das Wesen der Frauen nur aus romantischen Schmökereien bekannt. Vielleicht verfiel er aus diesem Grund der fixen Idee, jener Frau, die kaum älter als er sein dürfte, unbedingt vorgestellt werden zu müssen.

      Aber leider kannte er in Merseburg niemanden, der ihm diesen Gefallen hätte erweisen können, und so wendete sich der junge Mann seufzend von dem Anblick des Fräuleins ab. Es war tatsächlich ein Jammer.

      Vor dem Salon kündete eine über wolkenfreiem Himmel strahlende Sonne einen angenehmen Mainachmittag an, sodass es viele Besucher nach dem Stück, dem wenig Applaus beschieden war, in das nahe liegende Kaffeehaus zog. Der junge Mann hingegen stand unschlüssig zwischen den Säulen des klassizistischen Baus und wusste nicht recht, ob er sich dem allgemeinen Sog anschließen sollte oder nicht. Er könnte auch durch den Park schlendern, vielleicht am Ufer der Saale entlang, oder auf direktem Weg über Schkopau und all die kleinen Dörfer zurück nach Halle reiten. Aber keine der Möglichkeiten schien ihn wirklich zu überzeugen. Hätte ihn doch nur sein Bruder begleitet, dann würde er nun nicht so verlassen herumstehen. Aber Wilhelm war zu bequem gewesen, um Halle zu verlassen und an einem so frühlingshaften Tag über die staubige Landstraße bis nach Merseburg zu reiten.

      Inzwischen waren die meisten Theatergäste aus dem Salon getreten und hatten sich über den Park verstreut, führten Damen spazieren oder redeten bei Kuchen und leichtem Wein über das gesehene Schauspiel. Der junge Mann sah sich um und stellte fest, dass es einem anderen genauso ging wie ihm. Dieser Jemand, von strammer, wenn auch schlanker Statur, trat von einem Fuß auf den anderen und schien ganz offensichtlich auf jemanden zu warten. Als sich ihre Blicke kreuzten, nickte ihm der andere freundlich zu. Der junge Mann erwiderte den Gruß, und dadurch ermuntert, kam der Fremde auf ihn zu.

      »Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen so plump bekannt mache«, erklärte er ohne Umschweife und streckte dem jungen Mann die Hand entgegen. »Mein Name ist Heinrich von Botfeld.«

      Froh über eine willkommene Unterhaltung ergriff der junge Mann die ihm dargebotene Hand und nannte nun auch seinen Namen: »Joseph von Eichendorff.«

      »Verzeihen Sie, dass mir dieser Name nicht geläufig ist. Sie stammen nicht aus dieser Gegend?«

      Eichendorff nannte den oberschlesischen Ort Lubowitz bei Ratibor und fügte, da dieser Botfeld unbekannt war, hinzu: »Mich hat das Studium hierher verschlagen.«

      Damit war das Zauberwort gefallen, denn dort, wo sich junge Leute als Kommilitonen erkennen und noch dazu als solche derselben Fakultät, werden sie sich schnell vertrauter. So plauderten auch diese zwei Studenten bald ganz versonnen über den neuesten Roman August Heinrich Julius Lafontaines und den letzten Krawall in dem Gasthaus Drei Könige, wo sich ein Hallenser Bürger mit einem Studenten aus Stendal angelegt und ein blaues Auge kassiert hatte. Er hatte noch Glück gehabt, dass kein Degen gezogen worden war! Die Stadt Halle lag eindeutig in der Hand der Studenten, die aus aller Herren Länder hierher kamen, um zu lernen, vor allem aber auch, um fernab der Heimat in Ausgelassenheit und Freiheit zu leben. Die Bürger mochten sich über das haltlose Treiben der Studiosi mokieren, wie sie wollten. Zuletzt waren sie doch auf die jungen Herren angewiesen, denn seit dem schleppenden Niedergang der heimischen Wollfabriken und Spinnereien waren es die Studenten und Garnisonssoldaten, die das Geld in die Stadt brachten. Sie waren Mieter, Wirtshausgäste und Flaneure, die über Lust und Geld genug für allerlei Zeitvertreib verfügten. Und schließlich waren sie die Anwärter auf die attraktiven Posten in der preußischen Verwaltung, bei den Gerichten des Landes und in den Regierungsräten. Letztlich galt es bei all der Freilebigkeit doch, sich für eine behagliche Zukunft zu qualifizieren. So hatten auch die beiden jungen Herren mehrere Seminare der Jurisprudenz belegt und wunderten sich nun, dass sie sich noch nicht bei dem alten Professor Schmaltz begegnet waren, und amüsierten sich so sehr über dessen Schrulligkeiten, dass sie darüber glatt die Zeit vergaßen.

      Erst ein verhaltenes Räuspern und das kaum wahrnehmbare Rauschen eines Kleides brachten die beiden Männer von ihrem Gespräch ab. Da war sie wieder, diese märchenhafte Rothaarige, die Eichendorff im Theater aufgefallen war und die ihm nun als Botfelds Schwester Undine vorgestellt wurde. Er wollte ihr noch einmal so unverhohlen in die Augen sehen, doch auch als er sich zur Begrüßung

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