Deutsche Geschichten. Группа авторов

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      Uns war es vorbehalten, wieder seit Jahrhunderten Kriege ohne Kriegserklärungen, Konzentrationslager, Folterungen, Massenberaubungen und Bombenangriffe auf wehrlose Städte zu sehen, Bestialitäten all dies, welche die letzten fünfzig Generationen nicht mehr gekannt haben und künftige hoffentlich nicht mehr erdulden werden. Aber paradoxerweise habe ich auch in ebenderselben Zeit, da unsere Welt im Moralischen zurückstürzte um ein Jahrtausend, dieselbe Menschheit im Technischen und Geistigen sich zu ungeahnten Taten erheben sehen, mit einem Flügelschlag alles in Millionen Jahren Geleistete überholend: die Eroberung des Äthers durch das Flugzeug, die Übermittlung des irdischen Worts in derselben Sekunde über den Erdball und damit die Besiegung des Weltraums, die Zerspaltung des Atoms, die Besiegung der heimtückischesten Krankheiten, die fast tägliche Ermöglichung des gestern noch Unmöglichen. Nie bis zu unserer Stunde hat sich die Menschheit als Gesamtheit teuflischer gebärdet und nie so Gottähnliches geleistet.

      Dies unser gespanntes, dramatisch überraschungsreiches Leben zu bezeugen, scheint mir Pflicht, denn – ich wiederhole – jeder war Zeuge dieser ungeheuren Verwandlungen, jeder war genötigt Zeuge zu sein. Für unsere Generation gab es kein Entweichen, kein Sich-abseits-Stellen, wie in den früheren; wir waren dank unserer neuen Organisation der Gleichzeitigkeit ständig einbezogen in die Zeit. Wenn Bomben in Shanghai die Häuser zerschmetterten, wußten wir es in Europa in unseren Zimmern, ehe die Verwundeten aus ihren Häusern getragen waren. Was tausend Meilen über dem Meer sich ereignete, sprang uns leibhaftig im Bilde an. Es gab keinen Schutz, keine Sicherung gegen das ständige Verständigtwerden und Mitgezogensein. Es gab kein Land, in das man flüchten, keine Stille, die man kaufen konnte, immer und überall griff uns die Hand des Schicksals und zerrte uns zurück in sein unersättliches Spiel.

      Ständig mußte man sich Forderungen des Staates unterordnen, der stupidesten Politik zur Beute hinwerfen, den phantastischsten Veränderungen anpassen, immer war man an das Gemeinsame gekettet, so erbittert man sich wehrte; es riß einen mit, unwiderstehlich. Wer immer durch diese Zeit ging oder vielmehr gejagt und gehetzt wurde – wir haben wenig Atempausen gekannt –, hat mehr Geschichte miterlebt als irgendeiner seiner Ahnen. Auch heute stehen wir abermals an einer Wende, an einem Abschluß und einem neuen Beginn. Ich handle darum durchaus nicht absichtslos, wenn ich diesen Rückblick auf mein Leben mit einem bestimmten Datum vorläufig enden lasse. Denn jener Septembertag 1939 zieht den endgültigen Schlußstrich unter die Epoche, die uns Sechzigjährige geformt und erzogen hat. Aber wenn wir mit unserem Zeugnis auch nur einen Splitter Wahrheit aus ihrem zerfallenen Gefüge der nächsten Generation übermitteln, so haben wir nicht ganz vergebens gewirkt.

      QUELLE: Stefan Zweig: Die Welt von Gestern, Verlag Bermann-Fischer, Stockholm 1944, S. 9 – 15

      

       Die preußisch-welfische Hochzeit von 1913

      Die Hochzeit zwischen dem jüngsten Sohn des Kronprinzen von Hannover, Erbprinz Ernst August von Hannover, mit Viktoria Luise, der einzigen Tochter von Kaiserin Auguste Viktoria und Kaiser Wilhelm II. am 24. Mai 1913 in Berlin war die letzte glanzvolle Begegnung des deutschen Kaisers, des russischen Zaren und des britischen Königs vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

      Eine Linie des ursprünglich fränkischen Adelsgeschlechts der Welfen, das seit dem 9. Jahrhundert bekannt ist, stieg 1692 zu Kurfürsten von Hannover auf. Sie erbte 1714 vom Haus Stuart den Thron des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland, den sie bis 1901 als Haus Hannover besetzte. Deshalb trug Erbprinz Ernst August von Hannover zugleich den Titel eines Herzogs von Cumberland. Prinzessin Viktoria Luise von Preußen trug den Namen Viktoria nach ihrer Großmutter, Kaiserin Viktoria, und ihrer Urgroßmutter Viktoria (1819 – 1901), Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland und Kaiserin von Indien, die dem Königshaus Hannover entstammte. Dieses führte mit der Thronbesteigung von Viktorias Sohn Eduard VII. den Namen Sachsen-Coburg und Gotha. Im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg änderte sein Sohn König Georg V. 1917 den deutschen Namen Sachsen-Coburg-Gotha in den jetzigen Namen Windsor.

       Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen wird am 27. Januar 1859 als ältester Sohn des Kronprinzen Friedrich III. (dem 99-Tage-Kaiser) und seiner Frau Viktoria geb. Prinzessin von Großbritannien und Irland in Berlin geboren.

       Nach dem Tod seines Vaters wird er 1888 Kaiser des Deutschen Reiches. Unter seiner als Wilhelminisches Zeitalter bezeichneten Regentschaft erfährt Deutschland eine Blütezeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, wird aber auch zunehmend vom Militär geprägt. Es entwickelt sich von einem Agrarstaat zu einem modernen Industriestaat mit einem breiten Wohlstand. 1911 wird die »Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften« gegründet – seit 1946 Max-Planck-Gesellschaft. Die Berliner Secession steht für die Moderne Kunstszene in Berlin mit Ausstellungen von Künstlern wie Paul Klee, Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Pablo Picasso. Deutschland wird neben Großbritannien zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt.

       Am 28. Juli 1914 löst der Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien den Ersten Weltkrieg aus. Am 9. November 1918 erklärt Reichskanzler Max von Baden den Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen, woraufhin Wilhelm II. als Kaiser abdankt und ins Exil nach Doorn in die Niederlande geht. 1921 stirbt seine erste Frau Auguste Viktoria geb. Prinzessin zu Schleswig-Holstein, 1922 heiratet er die verwitwete Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath geb. Prinzessin Reuß. Wilhelm II. stirbt am 4. Juni 1941 im Exil in Doorn.

       WILHELM II.

       EREIGNISSE UND GESTALTEN AUS DEN JAHREN 1878 – 1918

       DIE SCHULDFRAGE

      Die Geschichte kennt kein Beispiel, daß man mit dem Weltkriege 1914/​18 vergleichen könnte. Sie kennt aber auch kein Beispiel für die Verwirrung, die über die Ursachen entstanden ist, die zum Weltkriege führten. Das ist um so erstaunlicher, weil der große Krieg eine hochkultivierte, aufgeklärte, politisch geschulte Menschheit vorfand, und weil die Ursachen zum Weltkriege klar und offen liegen. Auch die scheinbare Kompliziertheit in der Julikrise 1914 kann darüber nicht hinwegtäuschen. Der damalige Telegrammwechsel zwischen den Kabinetten der Großmächte und den Herrschern, die Tätigkeit der Staatsmänner und hervorragender Privatmänner bei mündlichen Verhandlungen mit wichtigen Persönlichkeiten der Entente waren gewiß von größter Wichtigkeit durch die entscheidende Bedeutung, die nahezu jedem Worte zukam, das aus verantwortlichem Munde gesprochen, und jeder Zeile, die geschrieben oder gedrahtet wurde. Aber die große Linie der Kriegsursachen wird dadurch nicht geändert, sie liegt fest und man darf sich nicht scheuen, sie immer wieder mit Ruhe und Sachlichkeit von dem verwirrenden Beiwert der Vorgänge, die den Kriegsausbruch begleiteten, freizulegen.

      Die allgemeine Lage des Deutschen Reiches hatte sich in der Vorkriegszeit immer glänzender und infolgedessen außenpolitisch immer schwieriger gestaltet. Ein niemals dagewesener Aufschwung in Industrie, Handel und Weltverkehr hatte Deutschland wohlhabend gemacht. Die Kurve unserer Entwicklung blieb nach oben gerichtet. Die damit verbundene friedliche Eroberung eines namenhaften Teiles des Weltmarktes, auf den deutscher Fleiß und unserer Leistungen gerechten Anspruch hatten, konnte älteren Weltvölkern, vor allem England, nicht angenehm sein. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, dem nichts Verwunderliches anhaftet. Es macht niemandem Freude, wenn sich plötzlich ein Konkurrent etabliert und man zusehen muß, wie die alte Kundschaft zu ihm abwandert. Ich kann also aus der Verstimmung Englands

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