Norderende. Tim Herden

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Norderende - Tim Herden

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sie getrennt gelebt haben, scheint er ihr trotzdem nicht egal gewesen zu sein“, meinte Rieder zu Damp.

      „Man steckt nicht drin“, antwortete Damp lapidar. „Ich werde ihr anbieten, sie nach Hause zu fahren. Vielleicht besser, wenn man das hier so sieht.“ Dabei deutete er auf den Platz vor der Inselkirche. Dort hatte man alles genau beobachtet und ließ auch jetzt keinen Blick von der trauernden Witwe.

      Damp setzte wieder seine Mütze auf, straffte sich und ging zu Pfarrer Laube und Ulrike Stein.

      Jetzt trat Behm an die aufgebahrte Leiche. Möselbeck hatte sich über Stein gebeugt. „Das Hämatom an der Schläfe ist deutlich ausgeprägt. Es gibt für mich keinen Zweifel. Er wurde durch einen Schlag auf den Kopf getötet.“ Behm sah sich die Verletzung genauer an. „Kann man nicht von der Hand weisen. Ich würde aber trotzdem die Autopsie abwarten. Sie schließen einen natürlichen Tod definitiv aus?“, wandte er sich an den Inselarzt.

      „Definitiv!“

      „Okay, dann wollen wir mal.“ Behm zog den Reißverschluß des Leichensacks völlig auf. Er gab seinen Mitarbeitern ein paar Anweisungen. Die Hände des Toten wurden in Plastiktüten verpackt, damit keine DNA-Spuren vernichtet wurden. Außerdem wurden zahlreiche Fotos von dem Toten und der Wunde an der linken Schläfe gemacht.

      „Habt ihr die Kleidung schon untersucht?“, fragte er Rieder.

      „Nein. In der Dunkelheit gestern Abend hatte ich Angst, irgendetwas zu verlieren.“

      Behm begann die Hosentaschen zu durchstöbern. Eine Brieftasche kam zum Vorschein. Ein Schlüsselbund. Ein Fahrschein für die Fähre nach Schaprode. Eine Packung Papiertaschentücher. „Nicht gerade eine große Ausbeute. Kein Handy. Für einen Bauunternehmer ungewöhnlich.“

      Das sah Rieder auch so.

      „Hast du seine Handynummer?“ Rieder verneinte.

      „Ich kann sie Ihnen geben“, mischte sich der Arzt ein.

      „Dann mal los.“ Behm zog sein Diensthandy aus der Tasche, schaltete seine Rufnummernanzeige aus. Dann wählte er die Nummer, die ihm Möselbeck ansagte. Er nahm das Telefon ans Ohr. „Klingelt.“ Etwas später: „Mailbox.“

      Mit einer speziellen Software auf seinem Laptop versuchte er Steins Handy zu orten. „Es ist noch auf der Insel. Innerhalb der Funkzelle von Vitte.“

      „Vielleicht liegt es am Tatort.“

      Doch auch dort fand es sich nicht, als sie wenig später am Zeltkino eingetroffen waren. Behm wählte immer wieder die Nummer von Steins Mobiltelefon, ließ es klingeln, bis sich die Mailbox meldete, aber nirgendwo war ein Klingelton zu hören.

      „Wenn wir mit dem Kahn und dem Gelände drumherum fertig sind, durchforsten wir noch mal das Wäldchen hier“, kündigte Behm an.

      Damps Absperrung des Tatortes und des Weges vom Zeltkino war unversehrt.

      „Mensch, Rieder, was habt ihr hier für disziplinierte Urlauber und Einwohner. Hier herrscht wirklich Ordnung und Sicherheit“, meinte Behm ironisch. „Okay, das mit dem Mord ist vielleicht ein kleiner Wermutstropfen, aber wirklich nur ein kleiner. Damp und du, ihr scheint wirklich ein polizeiliches Dreamteam zu sein, wenn ich das hier so sehe.“ Er schlug Rieder auf die Schulter. „Ihr müsst das nur mehr zeigen. Nach außen, mein’ ich. Traut euch.“

      „Haha!“, blaffte Rieder. „Sehr witzig.“

      „Da fällt mir ein, ich muss Damp noch zu seiner Beförderung beglückwünschen“, stichelte er weiter. „Was hast du ihm denn geschenkt? Einen Kaktus? Nein. Ich weiß. Einen goldenen Bußgeld-Block.“

      Rieder winkte genervt ab.

      Dora Ekkehard kam aus der kleinen Baracke hinter dem Kino. Sie hatte die Polizisten belauscht.

      „Falsche Lorbeeren, mein Herr. Ich habe den ganzen Morgen wie ein Schießhund aufgepasst.“

      Rieder stellte Behm die Kinofrau vor. Der Beamte verneigte sich fast, als er Dora Ekkehard begrüßte. „Ich bin ein großer Fan Ihres Kinos. Schön, dass es noch so etwas gibt. Darf ich mal in Ihr Heiligstes schauen?“

      Die alte Dame öffnete die Tür zum Vorführraum. Staunend schlich Behm zwischen den Projektoren umher und blickte durch die kleinen Gucklöcher. Er drehte auch mal an der Kurbel, an der die Filmrollen zurück auf Anfang gerollt wurden. Fast zärtlich strich er über einen der Projektoren.

      „Wie alt sind die?“

      „Fast vierzig Jahre. In den siebziger Jahren gebaut.“ fügte sie hinzu. „Echte Ernemanns.“ Behm setzte seine Brille auf. Er studierte das kleine Metallschild. „Kinoton FP20“, las er vor. „Aus Kiel?“

      „Die habe ich nach der Wende gekauft. Vorher hatte ich Kofferprojektoren von Carl Zeiss. Die waren dann aber etwas schwach auf der Brust geworden. Gebaut in den fünfziger Jahren. Als ich hier 1964 angefangen habe, haben wir die aus einem Kino in Stralsund bekommen. Die wurden damals alle auf sowjetische und tschechische Geräte umgerüstet.“

      „Und wer repariert die? Das muss doch superteuer sein. Gibt’s da eigentlich noch Ersatzteile?“

      „Mach’ ich alles selbst“, erklärte Dora nicht ohne Stolz in der Stimme. „Ich hab’ das von der Pieke auf gelernt, richtig in Dresden in dem alten Ernemann-Werk. Heute ist es Museum. Fast wie ich.“

      Alle lachten.

      „Mensch, super. Früher gab es auf jedem Zeltplatz an der Ostsee ein Zeltkino. Nun sind Sie fast der letzte Mohikaner. Oh, Entschuldigung, natürlich die letzte Mohikanerin.“

      Dora Ekkehard nickte gerührt. Ihre Augen wurden feucht.

      So kannte Rieder seine Nachbarin gar nicht. Ob sie nun Kinokarten verkaufte, im Garten arbeitete oder mit dem Rad durch Vitte fuhr, sie wirkte immer etwas streng, lächelte selten.

      Holm Behm studierte inzwischen die vergilbten Kinoplakate an den Bretterwänden. „Paul und Paula“, „Lütt Matten und die weiße Muschel“. Und, wie passend: „Spiel mir das Lied vom Tod“. „Lohnt sich das noch mit dem Kino?“ Er rieb Daumen und Zeigefinger.

      „Es ernährt seinen Mann ...“, antwortete Dora Ekkehard.

      „Das habe ich heute schon mal gehört“, meinte Behm. „Die Hiddenseer scheinen genügsame Leute zu sein. Was läuft heute?“

      „Am Nachmittag in der Kindervorstellung, Alfons Zitterbacke‘, abends ‚Die Frau des Leuchtturmwärters‘ und in der Spätvorstellung, wenn genug kommen, ‚Sommer vorm Balkon‘.“

      „Interessantes Programm“, meinte Behm.

      „Die Leute mögen’s. Die Hiddensee-Urlauber wollen keine Blockbuster. Die meisten sind nicht die typischen Kinogänger. Sie wollen Filme sehen, die zur Insel passen, zu einem Urlaub auf Hiddensee. Keine Thriller. Eher was fürs Gehirn. Und dazu immer ein bisschen Ostalgie., Paul und Paula‘, ,Solo Sunny‘ und , Spur der Steine‘. Verstehen Sie?“

      Behm nickte. „Hiddensee – die Insel der anderen.“

      Dora Ekkehard wischte mit der Hand ein paar Krümel

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