Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Aber wie schon das Gespräch mit Ria Stubler, hatte ihr auch die Begegnung mit Pfarrer Trenker gefallen. Sie hatte gleich das Gefühl, einen Menschen getroffen zu haben, mit dem sie über alles sprechen konnte, und schon am Tag darauf war sie wieder in die Kirche gekommen. Zu ihrer Freude schlug der Seelsorger den nächsten Morgen für ihre Tour vor.
Die Zimmerwirtin ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie sich darüber freute, daß Angela ihren Rat, die Kirche zu besichtigen, angenommen hatte. Als die junge Frau darum bat, sehr früh geweckt zu werden, weil sie mit Hochwürden eine Wanderung unternehmen wolle, wußte Ria Stubler, daß Angela sich über kurz oder lang sich Pfarrer Trenker anvertrauen würde.
»Bringen S’ aber keinen Proviant mit«, hatte Sebastian sie ermahnt. »Meine Haushälterin packt mir immer reichlich ein.«
Mit dem Auto des Geistlichen fuhren sie auf die andere Seite der Alm. Über den Wirtschaftsweg ging es weiter, und auf halber Höhe ließen sie den Wagen stehen und gingen zu Fuß weiter.
Angela stand am Rand des Weges und schaute ins Tal hinunter. Tief atmete sie die frische Luft ein.
»Herrlich!« rief sie ehrlich begeistert.
»Kommen Sie, Frau Holzer«, sagte Sebastian. »Von dort drüben haben S’ einen schöneren Blick.«
Sie wanderten über die Wiese, und der Bergpfarrer zeigte seiner Begleiterin, welche Sehenswürdigkeiten zu bewundern waren.
Zwischendurch erkundigte er sich immer wieder besorgt, ob ihr die Tour auch nicht zu anstrengend war. Aber es schien wie ein Wunder. Angela fühlte sich leicht und unbeschwert in der freien Natur. Fasziniert beobachtete sie die Tiere, die sich ab und zu aus ihren Verstecken heraus trauten, ließ sich die wunderschönen Pflanzen erklären, die zwischen den Felsen wucherten und freute sich über die wärmenden Strahlen der Sonne.
»Ich denk’, wir sollten jetzt eine Rast einlegen«, meinte Sebastian. »Immerhin sind wir schon eine gute Stunde unterwegs.«
Zwischen kleinen und größeren Felssteinen, die aus der Erde zu wachsen schienen, ließen sie sich nieder. Der Seelsorger packte den Rucksack aus, und bald dampfte der heiße Kaffee in den Bechern. Die Brote waren üppig mit Schinken und Käse belegt, und es schmeckte einfach herrlich in der freien Natur.
Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit aß Angela mehr, als nur eine halbe Semmel.
»Darf ich fragen, woher Sie kommen?« erkundigte sich Sebastian, der den Augenblick für günstig hielt, vorsichtig das Gespräch auf Angela Holzers Lebensumstände zu bringen.
Die junge Frau starrte einen Moment versonnen auf den Kaffeebecher in ihrer Hand.
»Ursprünglich bin ich aus Rosenheim«, antwortete sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.
»Rosenheim? Aber das ist ja gar net so weit von hier.«
»Ja. Allerdings hab’ ich dort nur bis zu meinem zwölften Lebensjahr gewohnt«, erzählte Angela. »Dann starben meine Eltern bei einem Verkehrsunfall, und ich kam zu meiner Tante. Eine Schwester meiner Mutter, die mit ihrem Mann in der Nähe von Passau lebte.«
Der gute Hirte von St. Johann schluckte unwillkürlich. So früh die Eltern zu verlieren, war ein hartes Schicksal.
»Möchten S’ darüber sprechen, wie es zu Ihrem Verkehrsunfall gekommen ist?« fragte er behutsam.
Seine Begleiterin hatte einen Grashalm ausgerupft und spielte damit.
»Da müßt’ ich wohl ein bissel weiter ausholen«, meinte sie.
Sebastian zuckte die Schulter.
»Es ist ein herrlicherTag«, erwiderte er, »und uns drängt nix. Wir haben alle Zeit der Welt. Wenn S’ darüber reden möchten – ich bin ein geduldiger Zuhörer.«
Angela Holzer überlegte.
Sollte sie sich wirklich einem, ihr im Grunde wildfremden Menschen, offenbaren. Sie hatte Pfarrer Trenker bisher nur zweimal gesehen.
Allerdings war da diese herzliche, offene Art, die es ihr leicht machte, aus sich herauszugehen. Sie hatte das Gefühl, diesem Mann ihr Herz ausschütten zu können, und vielleicht hatte er sogar einen Rat, wie es mit ihr weitergehen konnte.
Sie sah den Geistlichen einen Moment an, dann nickte sie.
»Ja, Hochwürden, ich glaub’, daß es mir ganz guttun würd’, mit Ihnen über alles zu sprechen«, antwortete sie. »Denn allein werd’ ich’s wohl net schaffen, mein Leben neu zu ordnen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, für Ihr Angebot.«
»Ich helf’ gern’, wenn ich kann«, sagte Sebastian. »Und dafür ist kein Dank notwendig.«
»Ich bin meiner Tante Luise heut’ noch dankbar, daß sie mich aufgenommen hat«, erzählte Angela. »Sie ließ mich das schlimme Geschehen um meine Eltern bald vergessen. Onkel Rolf, ihr Mann, und sie taten alles, um mir ein schönes Zuhause zu geben, und weil sie keine eigenen Kinder hatten, setzten sie mich später auch zu ihrer Erbin ein. Mit dem kleinen Vermögen, das meine Eltern mir hinterlassen hatten, war meine Zukunft gesichert. Ich besuchte die Schule, das Gymnasium und studierte später Literaturgeschichte. Es waren schöne und unbeschwerte Jahre. Und ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich durch Vermittlung eines meiner Professoren, die Stelle einer Hausdame in einem gräflichen Schloß bekam.
Dabei war es eigentlich gar nicht meine Aufgabe, als eine solche zu fungieren. Vielmehr sollte ich der Gräfin von Haldenstätten als Gesellschafterin die Zeit vertreiben, sie auf Reisen begleiten. Und die herrliche Bibliothek im Schloß barg Schätze der Literatur, die man woanders vergebens sucht.«
Sie betrachtete den Grashalm zwischen ihren Fingern, ehe sie fortfuhr.
»Schloß Haldenstätten liegt an der Grenze zu Tschechien, beinahe so nah’, wie Sankt Johann an Österreich. Es gehören ausgedehnte Wälder und Ländereien dazu. Chef des Hauses ist Alexander Graf von Haldenstätten, dem in jungen Jahren ein ähnliches Schicksal beschieden war, wie mir. Auch er verlor die Eltern früh, und Tante Annemarie, die alte Gräfin, übernahm bei ihm die Mutterstelle.«
Sebastian war der dunkle Zug um ihren Mund, bei dieser Schilderung nicht entgangen.
»Der junge Graf und Sie...?«
Angela Holzer sah ihn nicht an, als sie schluckte und nickte.
»Ja, wir waren ein Paar«, antwortete sie.
Pfarrer Trenker hatte schon lange geahnt, daß ein Mann noch eine wichtige Rolle in dieser Erzählung spielte. Er war gespannt darauf, wie es weitergehn würde.
*
Gleich an ihrem ersten Abend auf Schloß Haldenstätten machte Angela die Bekanntschft des jungen Grafen, der von einer Geschäftsreise heimkam.
Es hatte nicht lange gedauert, vom ersten Vorschlag des Professor Rathmann, sich um die Stelle der Gesellschafterin für Gräfin Annemarie zu bewerben, bis sie die Zusage erhielt. Ein paar Briefe wurden gewechselt, dann trafen sie und die Gräfin sich in dem Haus des Professors, um sich persönlich kennenzulernen, und beide Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. Die resolute Gräfin, die gerne Zigarillos rauchte und