Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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»Weil du Mummy liebhast, Daddy?«
»So ist es, Daisy.«
»Ein Leben ohne unsere Mummy wäre auf die Dauer nicht schön«, meinte das Mädchen altklug.
»Es wäre unvorstellbar. So, nun laufe hinaus zu Jeremy. Ich fahre gleich los.«
Roy ging ins Schlafzimmer, um sich umzukleiden. Er war ein gutaussehender Mann mit leuchtend blauen Augen und mittelblonden Haaren. Sein Teint war tief gebräunt. Man sah ihm an, dass er den ganzen Tag in der frischen Luft verbrachte.
Als Roy sich rasierte, dachte er plötzlich an seine Eltern. Sein Vater war Beamter in Bristol gewesen, seine Mutter hatte eine Halbtagsstellung in einem Modegeschäft gehabt, um noch etwas dazuzuverdienen. Er und sein Bruder Jeremy hatten immer zur See gehen wollen. Sein Bruder hatte das schließlich auch getan. Er selbst aber hatte Mary kennengelernt. Bis zu dem Tag, als sie ihn auf die Farm mitgenommen hatte, hätte er nie geglaubt, dass er eines Tages den Wunsch haben würde, für immer auf dem Lande zu leben. Aber Mary hatte die Farm, die seit Generationen im Besitz ihrer Familie war, geerbt und erklärt, sie könne nur einen Mann heiraten, der Interesse für diese Farm habe.
Roy hatte keine Sekunde gezögert, sondern versichert, er liebe das Landleben. Keine Stunde hatte er seitdem bereut, seine Pläne aufgegeben zu haben.
Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ Roy das Haus. Bevor er ins Auto einstieg, umfasste sein Blick das hübsche Landhaus mit dem tiefgezogenen Dach und den hellbraunen Fensterläden. Daisy und Jeremy saßen auf der kleinen Treppe vor der Veranda und winkten ihm nach, als er abfuhr. Der Irish-Terrier Tommy lief noch ein Stückchen hinter dem Wagen her. Einige Hühner flatterten erschrocken auf, dann versperrte ihm eine Schar Gänse den Weg. Lachend hupte er mehrmals und fuhr dann weiter. Die Straße schlängelte sich durch grüne Hügel, auf denen Schafe weideten. Weiter unten, in den geschützten Tälern, wo Obstgärten und Felder das Landschaftbild bestimmten, lag Alvery. Er machte an diesem Tag einen Umweg nach dem Ort, um den herrlichen Blick von der Küstenstraße aus zu genießen. Genau wie sein Bruder Jeremy liebte er die Weite des Meeres. Er wäre zweifellos ebenfalls Seemann geworden, wäre er nicht Mary begegnet. Mary war sein Schicksal geworden. Er liebte sie mehr als alles andere auf der Welt.
Als Roy die Straße nach Alvery entlangfuhr, sah er deutlich das feine schmale Gesicht seiner Frau mit den verträumten braunen Augen und der kleinen geraden Nase vor sich. Mary hatte volle Lippen und wunderschöne Zähne. Ihr dichtes dunkles Haar war leicht gelockt und schwer zu frisieren. Aber er liebte es, wenn sich widerspenstige Löckchen aus ihrer Frisur lösten und sich an ihre Schläfen und ihren schmalen Hals schmiegten. Er fasste auch leidenschaftlich gern in ihre Haarfülle, um das leise Knistern zwischen seinen Fingern zu spüren.
»Mary, kleine Mary«, flüsterte er zärtlich. Dabei wurde ihm plötzlich sonderbar schwer ums Herz. Nun bereute er doch, dass er ihr erlaubt hatte, in die Schweiz zu fliegen. Aber Mary hatte sich von ihrer Freundin Rose zu dem Flug überreden lassen.
Roy kehrte mit seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück, aber die Unruhe in ihm blieb. Nachdem er seine Besorgungen erledigt hatte, kehrte er noch ins Gasthaus ein, um etwas zu trinken. Sofort fiel ihm die gedrückte Stimmung in der Gaststube auf. Als er die Männer, die er fast alle kannte, begrüßte, bekam er kaum eine Antwort. »Was ist denn mit euch los?«, fragte er, als er sich am Stammtisch niederließ.
»Ja, weißt du denn noch nichts von dem Flugzeugunglück? Eine Chartermaschine ist irgendwo in Mitteldeutschland abgestürzt. Nur zwanzig von den hundert Passagieren sollen das Unglück überlebt haben. Die meisten Frauen waren aus Alvery«, antwortete einer der Männer bedrückt.
»Abgestürzt? Eine Chartermaschine?«, fragte Roy erschüttert. Zugleich sagte er sich, dass es bestimmt nicht das Flugzeug gewesen sei, mit dem Mary geflogen war. Die meisten Frauen an Bord der Maschine sollen aber von hier gewesen sein, überlegte er danach mit Entsetzen.
Irgendjemand schob ihm die Tageszeitung über den Tisch zu. Als Roy den Artikel über die Flugzeugkatastrophe gelesen hatte, bestand für ihn kein Zweifel mehr, dass es die Chartermaschine gewesen war, mit der Mary in die Schweiz geflogen war.
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte er tonlos und sah sich wie hilfesuchend um. Sein Gesicht verfiel zusehends. »Nein, ich kann es nicht glauben. Ich kann es nicht!«
»Roy, zwanzig Personen sind gerettet. Sie sind zwar verletzt, aber sie werden durchkommen. Ganz bestimmt. An diese Hoffnung klammern sich fast alle Ehemänner bei uns. Du musst das auch tun, Roy«, redete sein Freund Ben Miles auf ihn ein.
»Du hast recht, Ben. Mary kann gar nicht tot sein. Sie ist gewiss nicht tot«, erwiderte Roy automatisch und verließ fast fluchtartig das Gasthaus.
Als er zu seinem Auto ging, schien hell die Sonne. Geblendet schloss er die Augen. Er hatte das Gefühl, sich in einem Labyrinth zu befinden, aus dem es keinen Ausweg gab. Alles um ihn herum schien seltsam verzerrt zu sein. Ich muss träumen, sagte er sich. Es ist nur ein Traum. Ein furchtbarer Albtraum.
Roy fuhr ganz langsam und zwang sich zur Ruhe. Seine Blicke wanderten über das Land, in dem Mary aufgewachsen war. Wieder sah er sie vor sich. So deutlich, dass er glaubte, sie müsste jeden Augenblick vor ihm auf der Straße auftauchen und ihm zuwinken.
Roy ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen und stieg aus. Er hörte aus der Ferne Glocken läuten. Eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Mary ist in dem Flugzeug gewesen, konnte er nur noch denken. Ob sie den Absturz wohl überlebt hatte?
Wieder hörte er die Glocken läuten. Dann erblickte er die Kapelle auf dem felsigen Hügel. Gewaltsam zog es ihn dort hinauf.
Möwen umkreisten das Kirchlein. Es war so alt und verwittert, dass es wie ein Teil des Felsens aussah.
Roy betrat die Kapelle. Zögernd schritt er zwischen den Holzbänken zum Altar hin, der mit Blumen geschmückt war. Dort kniete er nieder. »Herrgott im Himmel, du darfst nicht so grausam sein und mir das Liebste auf der Welt nehmen«, betete er inbrünstig.
Wie lange Roy auf den kalten Steinen gekniet hatte, wusste er später nicht zu sagen. Als er die Kapelle verließ und zu seinem Wagen zurückging, versank die Sonne bereits hinter den Hügeln. Die Zwiesprache mit Gott hatte ihm geholfen. Seine Zuversicht war gestärkt. Fast heiter stieg er vor seinem Haus aus dem Wagen.
Die alte Barbara trat aus dem Haus, gefolgt von den Kindern.
»Daddy, endlich!«, rief Daisy erleichtert. »Du bist so lange fortgeblieben. Sieh doch, die Sonne geht schon unter. Barbara ist schon am Nachmittag gekommen. Sie wollte mit dir sprechen.«
»Ja, das wollte ich, Roy«, erklärte die alte Frau. »Aber ich muss dich allein sprechen.«
Roy zuckte zusammen. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, den Kopf in den Sand zu stecken und der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen. »Daisy, sei doch so lieb und hole die Sachen aus dem Auto«, bat er bedrückt. »Jeremy wird dir helfen.«
»Ja, Daddy. Nicht wahr, du erzählst mir nachher, was Barbara dir gesagt hat?«, raunte sie ihm noch schnell zu. »Ich bin doch deine Große.«
Liebevoll fuhr er seiner Tochter über das blonde Haar. »Ja, Daisy«, erwiderte er und folgte dann der alten Barbara ins Haus.
Dort erfuhr er das, was er schon wusste.
»Ich