Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Er tat es und nahm den ihren, ohne zu fragen, mit einer heiteren Besitzermiene.
Sie wusste, dass er nun sprechen würde. Sie hatte ihn doch sehr, sehr gern.
Es kam ganz natürlich und war nicht so aufregend, wie sie sich vorgestellt hatte. Er sagte ihr einfach, dass er sie zu seiner kleinen Frau haben möchte, er brauchte gar keine romantischen Worte. Wie zwei gute Kameraden redeten sie davon.
Die Haustür war schon verschlossen. Er half ihr beim Öffnen, und als sie ihm entschlüpfen wollte, hielt er sie im Schatten des Eingangs fest und zog sie an sich.
»Agathe …!« bat er leise.
Ein Kuss – der erste Kuss auf ihre Lippen … Bebende Freude flog durch ihre Sinne … Doch ein Licht erhellte plötzlich den Flur, aus der Parterrewohnung drangen Stimmen und Tritte ihnen entgegen – Agathe fuhr zurück. Raikendorf gab sie frei und zuckte ungeduldig die Achseln. Er presste ihre Hand.
»Auf morgen, Agathe!«
»Auf morgen! Gute Nacht!«
Agathe lief die Treppen hinauf. Wie lieb sie den Mann jetzt hatte! Morgen –
Morgen wird er sie wieder so weich und fest in den Arm nehmen, und sie wird die Augen schließen …
»Mama – meine liebe, liebe Mama! Er kommt – morgen früh – zu Papa … Ach – mein Herzensmütterchen … Ich bin ja so froh! So froh! – Ich dachte ja gar nicht … Ach freust Du Dich auch? – Er ist lieb – nicht wahr? Weißt Du – er … Ich kann’s Dir nicht sagen … wie er zu mir ist – so gut!
Mama – er sprach von seinem Einkommen – ob es reichen würde für uns beide. Ich habe ihm gesagt Du hättest Vermögen … Das durfte ich doch? Du gibst mir doch davon, nicht wahr?«
»Mein Herzchen – was mein ist, ist doch auch Dein!«
»Ich will ja auch sparsam sein! Aber so sparsam! Ach Mama – glaubst Du …«
»Was denn, mein Kind?«
Agathe lachte leise.
»Nichts! Ich dachte nur … Nein – so weit will ich gar nicht denken, sonst werd’ ich noch närrisch vor Freude. Sag’ Du’s Papa. Er wird nichts dagegen haben? Nein – nicht wahr?«
»Was sollte er! Papa schätzt Raikendorf. Er soll höheren Ortes sehr gut angeschrieben sein. – Geh nun, schlaf, mein Liebchen, damit Du morgen hübsch frisch aussiehst! Ach, mein Kind, dass ich Dich hergeben soll!«
Dankbarkeit – tiefe, immer neu in ihrem Herzen quellende Dankbarkeit überflutete gleich einem breiten, stillen, sonnenglänzenden Strom die ganze Empfindungswelt des Mädchens. Dankbarkeit war nun ihre Liebe. Retter, Erlöser nannte sie den Mann in ihrer heimlichen Seele.
Nicht jauchzendes Hinwerfen ihres Selbst in allgewaltige Flammen – kein Aufglühen zu höchster erhobener Schönheit in trunkener Leidenschaft …
Nein – demütiges Empfangen, bescheiden-emsiges Hegen und Pflegen des Glücksgeschenkes – das war, was sie nun einzig begehrte.
Nie – nie wollte sie Raikendorf vergessen, dass er ihr den Abend – die Fülle von freundlichen Hoffnungen gegeben. Ihr ganzes Leben sollte ein Dienen dafür sein. Nicht genug konnte sie sich darin tun, ihn als ihren Herrn zu erhöhen und sich zu erniedrigen. War es möglich, dass es Augenblicke gegeben, in denen sie ihn verachtet – über ihn gehöhnt hatte? Ihn? Dem sie heut die Füße hätte küssen wollen, sie mit ihren Tränen baden und mit ihren duftenden Haaren trocknen?
In der Frühe, als sie das Wohnzimmer betrat, erinnerte sie sich plötzlich an den Abend, an dem ihr Martin Greffinger die sozialistischen Schriften gegeben hatte, um ihr zu helfen.
Du lieber Gott!
Sie musste wahrhaftig darüber lachen. Was ging das Volk sie wohl an! Es war ihr ganz gleichgültig! Eben so gleichgültig, wie es sie gelassen hätte, wenn sämtlichen Fürsten der Erde auf einmal die Köpfe abgeschlagen worden wären.
Und wonach sie verlangte – was sie brauchte – was ihr einzig die Welt bedeutete, das sollte sie auf dem Schoße halten dürfen in seiner hilflosen, weichen, entzückenden Kleinheit – ein Kind! Ein Kind!
Mein Gott – wenn man ihr gesagt hätte, sie müsse sich von Raikendorf schlagen – misshandeln lassen, mit diesen Hoffnungen beschäftigt, würde sie lächelnd und zerstreut geantwortet haben: »Ja – gerne!«
Ihr Vater saß hinter der Zeitung. Sein Gesicht, als er es flüchtig bei ihrem Morgengruß erhob, war ernst und sorgenvoll. Er antwortete ihr nicht.
Agathe ging ihrer Mutter nach.
»Was ist mit Papa? Freut er sich nicht?«
Ihre Mutter hatte geweint.
»Liebes Kind, Du kannst nicht von ihm verlangen, dass er Dich gern hergibt. Du bist doch unser Sonnenschein. Er ist … ich dachte … er äußerte sich immer so günstig über Herrn Raikendorf. Nun mit einem Mal … aber das wird sich schon geben! – Weißt Du, Agathe, es ist ihm sehr unangenehm, dass Du die Äußerung über mein Vermögen getan hast.«
»Ja aber – ich musste doch …«
»Ich habe mich nie um die Verwaltung bekümmert. Das versteht Papa ja viel besser. Aber Papa sagt, wir hätten Verluste gehabt. – Lass nur gut sein! Wir richten uns schon ein. Wir nehmen eine kleinere Wohnung, und wenn Du fort bist, brauchen wir auch nur ein Mädchen. Ich habe es Papa schon vorgerechnet. Dein Glück steht uns doch am höchsten.«
Die Unterredung zwischen dem Regierungsrat und Raikendorf dauerte sehr lange. Agathe konnte einen gereizten Ton in der Stimme ihres Vaters vernehmen. Worte verstand sie nicht. Wieder wurde hinter verschlossenen Türen über ihr Schicksal verhandelt – wie damals, als die Ärzte berieten, ob sie an einer langwierigen Krankheit zu Grunde gehen oder gesund werden würde. Und man erlaubte ihr nicht, mitzusprechen, zu fragen, das Für und Wieder zu hören. Geduldig musste sie sitzen, die Hände im Schoß, und warten, was über sie beschlossen wurde.
Mein