APEX. Ramez Naam
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Sie kann es fühlen.
Der Puls authentischer, organischer Daten. Echte Neuronen mit ihrem pseudo-chaotischen Verhalten, die in ihr virtuelles Stammhirn und Cortex integriert wurden und die bestehenden Abweichungen der Simulation korrigieren. Sie wieder zu ihrer menschlichen Norm zurückführen. Zurück zu ihrem Verstand.
Ein neuer Körper!
Aber eine andere Hardware.
Wo ist sie? Was ist passiert?
Ihre Erinnerungen sind ein einziges Durcheinander. Chaotische Eindrücke von Tod und Wiedergeburt. Nicht in Form eines weißen Lichts am Ende eines Tunnels, sondern in Form einer weiten Fläche. Es war kein leerer Raum, sondern eher unerträglich voll. Dicht vollgestopft mit Wahrscheinlichkeiten. Ein überfüllter Phasenraum voll von unendlichen Paralleluniversen, die über den Quantenschaum miteinander verbunden waren.
War das alles real? Habe ich das vielleicht nur geträumt?
Was war mit dem Feuer? Der Folter? Der Isolation? Der Apokalypse?
Wie war sie hierher gelangt?
Denk nach, Su-Yong! Denk nach!
Sie zwingt sich in ihre persönliche Timeline zurück, katapultiert sich über riesige Schwaden ihres episodischen Gedächtnisses hinweg, die mit eindeutig abnormalen mentalen Zuständen in Verbindung gebracht werden konnten, bis sie wahre Klarheit findet. Ja. Isolation. Das alles war real. Sie war von der Welt abgeschnitten und von der chinesischen Führerschaft gefangen genommen worden.
Die war wütend darüber gewesen, dass sie den Amerikanern zu viel verraten hatte. Sie geht immer weiter zurück auf ihrer Timeline und nimmt alles in sich auf.
Der Junge, Kade. Thailand. Bangkok. Dann Anandas Gebirgskloster. Feng, der ihren Wagen durch die Tore rammt. Die amerikanischen Helikopter. Ihre Limousine, die unter einem wahren Regen amerikanischer Brandgeschosse explodiert. Sie hatte ohne fremde Hilfe mit dem Geist ihres Avatars die Kontrolle über das amerikanische Fahrzeug ergriffen.
SPRING IN DEN SEE. ES IST DEINE EINZIGE CHANCE. Und dann die amerikanische Waffe, die bei dem Attentat verwendet worden war. Der winzige, spinnenhafte Roboter, der zurückgelassen worden war. Der mit Nervengift versehene Pfeil, der sie direkt in den Hals getroffen hatte. Sie hatte Feng beauftragt, den Jungen zu beschützen, als das Gift die Synapsen ihres biologischen Gehirns paralysiert hatte. Und sie hatte jeden Moment des Todes ihres Avatars aus der Ferne gespürt.
Mein zweiter Tod, dachte sich Su-Yong Shu.
Aber es erklärte immer noch nicht, wo sie sich jetzt gerade befand. Sie stand unter Isolation und hatte ihren Verstand verloren.
Und jetzt spürte sie ihren Verstand zurückkehren. Fühlte ein Gehirn, das mit ihrem verbunden war.
Und dennoch ist sie wieder isoliert, sie läuft nur über eine andere Hardware. Eine ähnliche Hardware wie ihre ursprünglichen Spezifikationen – und doch nicht genau gleich.
Eine Hardware, die die Verbesserungen zurückdatierte, die sie konzipiert hatte und die Chen – entgegen allen Warnungen und einzig geleitet durch seine eigene Habgier – in ihre Routine-Upgrades hineingeschmuggelt hatte.
Ist der Rest ihrer zusammengewürfelten Erinnerung denn überhaupt wahr? Hatten sie eine Sicherheitskopie von ihr gemacht und sie dann heruntergefahren? Ist sie eine Sicherheitskopie, die irgendwo anders erneut aktiviert wurde? Hatte sie das Gebilde des Multiversums gesehen? Hatte sie das Antlitz der Realität gesehen?
Sie öffnete sich diesen chaotischen Erinnerungen, die sich über sie wölbten.
So sehr.
Feuer.
Verwirrung.
Fantasiewelten wurden zu Wahnsinn. Städte starben. Flugzeuge explodierten. Blumen verwelkten. Leben wurde zu Tod. Liebende wurden niedergemetzelt in der Blüte ihres Lebens.
Folter. Endlose Folter.
Chen! Chens Verrat! Sie hatte sein Bewusstsein berührt und es gesehen! Chen hatte sie sterben lassen. Chen hatte sie für den Lehrsatz der Äquivalenz gefoltert! War das wahr? Hatte sie sich das nur eingebildet?
Und noch etwas. Etwas Schmerzvolles. Etwas, das schlimmer war als Folter.
Eine Fantasie oder eine Erinnerung tauchte vor ihr auf.
So gewaltig, so dunkel, so niederschmetternd, dass sie vor ihr floh, soweit es ihr die Grenzen ihres eigenen Geistes nur zuließen.
Die Erinnerung verfolgte sie, bedrängte sie, schwebte drohend über ihr, ganz egal wo auch immer sie in ihrem eigenen kognitiven Raum hin floh.
Es gab für sie kein Entrinnen vor sich selbst.
Es brach in ihre Wahrnehmung ein.
Ling. Süße Ling. Der süßeste Traum, nach dem sich Su-Yong all die Monate lang gesehnt hatte. Das Gesicht ihrer Tochter zu sehen. Die Stimme ihrer Tochter zu hören. Das Bewusstsein ihrer Tochter zu berühren.
Das alles wurde zu einem Schrecken. Es verwandelte sich in einen Albtraum. In Verrat.
In dem Albtraum zwingt sie sich in den Körper ihrer Tochter, zwingt Teile ihres eigenen Willens in die Prozessoren des Gehirns ihrer Tochter, reißt Teile des Bewusstseins ihrer Tochter heraus, die im Laufe ihres kurzen Lebens in ihrem Nanitennetz herangewachsen waren und nutzt sie zu ihren eigenen Zwecken.
Um einen Agenten freizulassen. Einen Agenten der Rache. Einen Agenten der Wiederherstellung. Einen Avatar. Einen Vorboten. Einen Überbringer der Apokalypse.
Und als die Erinnerung auf sie hereinbricht, kann Su-Yong den bitteren Geschmack der Wahrheit kosten. Das ist kein bloßer Albtraum. Nur die Realität schmeckt so bitter.
Sie hat die ultimative Bestie des Krieges losgelassen. Und sie hat ihre eigene Tochter für diesen Zweck missbraucht.
In der Stille ihres eigenen Geistes schreit Su-Yong Shu einen Schrei der Verzweiflung für die Welt. Einen Schrei der Verzweiflung für sich selbst. Den Schrei einer Mutter, die ihrer Tochter etwas Schreckliches angetan hat. Dem Wesen, das sie auf dieser Welt am meisten liebt. Einen Schrei wie sie ihn niemals zuvor geschrien hatte.
In einer Kammer, die an ihr Quantencluster angrenzt, öffnet eine zweiundvierzig jährige indische Frau, die die letzten drei Jahre im Koma gelegen hatte, plötzlich ihre Augen und ihren Mund. Sie spannt jeden Muskel in ihrem Körper an, lehnt sich gegen jede Fessel und die medizinischen Monitore auf und stößt ebenfalls einen Schrei aus.
17| SENATOR, WIR WURDEN ANGEGRIFFEN
Montag, 05.11.2040
»Senator Kim, wir wurden angegriffen.«
Pryce beobachtete von der Seite aus die Konferenz, die John Stockton mit seinem Rivalen bei der Präsidentschaftswahl abhielt. Sie konnte Senator Stanley Kim und seinen Kampagnenmanager Michael Brooks auf dem Bildschirm erkennen. Hier