Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Inzwischen hatte sich die Klinikchefin halbwegs von ihrem Schrecken erholt.
»Du warst schon immer stur. Daran scheint sich in all den Jahren nichts geändert zu haben«, erwiderte Jenny und kehrte schweren Herzens ans Bett ihrer Cousine zurück. Im schwachen Schein des Nachtlichts konnte sie ihre blassen Züge erkennen. »Außerdem hatte ich das Recht, dich zu behandeln. Immerhin gehöre ich zur Familie. Ob dir und mir das passt oder nicht.« Ihre Stimme war ruhig und besonnen. Und doch schwang ein Unterton mit, der Jennys Gefühle verriet.
Ein hämisches Grinsen verzog Nicole Zieglers Gesicht.
»Und du hast dich schon immer gut gefühlt, wenn du über andere bestimmen konntest«, beschuldigte sie ihre Cousine erbarmungslos. »Das, was andere wollen, hat dich nie interessiert. Und tut es offenbar immer noch nicht.«
Für diesen Kommentar hatte Jenny nur ein unwilliges Schnauben übrig.
»Das sagt genau die Richtige.« Sie stand an Nicoles Bett und blickte fassungslos auf ihre Cousine hinab. »Wer hat mir denn damals den Mann ohne Rücksicht auf Verluste ausgespannt?« Jenny verachtete sich dafür, dass ihre Stimme bebte. Und auch dafür, dass ihre Neugier siegte. »Seid … seid ihr immer noch zusammen?«
»Warum willst du das wissen?«, machte Nicole ihrem Unglauben lautstark Luft. »In Wahrheit interessiert dich das doch gar nicht. Sonst hättest du auf meine E-Mails und Telefonanrufe geantwortet«, sagte sie Jenny auf den Kopf zu.
Im Laufe der Jahre hatte die Klinikchefin viele Erfahrungen gesammelt. Es gab kaum etwas, was sie noch aus der Ruhe bringen konnte. Doch ausgerechnet Nicole schaffte das schier Unmögliche. Zitternd vor Wut stand Jenny am Bett. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte auf ihre Cousine hinunter.
»Willst du wissen, warum ich nicht geantwortet habe?«, fragte sie schließlich. »Weil ich wusste, dass du dich nicht geändert hast. Weil es sinnlos ist, mit dir zu reden. Damals wie heute. Das hast du mir gerade mehr als deutlich gezeigt.« Mit diesen bitteren Worten machte Jenny auf dem Absatz kehrt, um das Zimmer endgültig zu verlassen.
Nicole lag im Bett und sah ihrer Cousine nach. Diesmal machte sie keinen Versuch, sie zurückzuhalten. Sie wusste, dass es ein Wiedersehen geben würde, ob sie selbst das wollte oder nicht. Diesmal hatte das Schicksal für sie beide entschieden.
*
»Kann es sein, dass du manchmal ein bisschen zu frech zu deiner Chefin bist?«, erkundigte sich Fee Norden, als sie am nächsten Morgen neben ihrem Zweitältesten im Wagen saß und wie inzwischen jeden Morgen gemeinsam mit ihm in die Klinik fuhr. »Es könnte ja sein, dass Silvie Riemerschmidt deshalb so erbarmungslos ist, weil sie ein völlig falsches Bild von dir hat.« Als verantwortungsbewusster Mutter ließ sie das Verhältnis der Ergotherapeutin zu ihrem Sohn natürlich nicht kalt, und Felicitas dachte darüber nach, was in diesem Fall zu tun war.
Doch Felix schien die Sache wesentlich weniger zu beschäftigen, als sie gedacht hatte.
»Wie kommst du darauf?«, fragte er und grinste unbekümmert wie immer, während er in eines der Croissants biss, die seine Mutter noch schnell in der Bäckerei Bärwald gekauft hatte. Über Nacht hatte sich seine schlechte Laune in Luft aufgelöst und er strahlte wieder wie eh und je in die Welt. »Ich bin nicht frech. Höchstens verbal überlegen, aber dafür kann ich ja nichts. Das ist deine und Dads Schuld.«
»O je«, seufzte Fee und verdrehte die Augen. »Allmählich wundert mich gar nichts mehr.« Sie setzte den Blinker und fuhr wenig später auf den Mitarbeiter-Parkplatz der Behnisch-Klinik. »Bist du heute Abend zum Abendessen daheim?«, fragte sie noch, ehe sich ihre Wege trennten.
»Susa und ich gehen in die Therme«, verneinte Felix und drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. »Wir beide werden erst morgen früh wieder das Vergnügen miteinander haben. Aber ich freu mich jetzt schon auf dich.« Er schenkte Fee einen letzten strahlenden Blick und machte sich dann auf den Weg in die Neurologie, an die die Ergotherapie angeschlossen war.
Kopfschüttelnd sah Felicitas ihrem unbekümmerten Sohn nach, ehe sie von einer bekannten Stimme aus ihren Betrachtungen gerissen wurde.
»Frau Dr. Norden, Sie sind ja auch schon da!«, rief Lernschwester Carina über den Parkplatz und verfiel in Laufschritt, nachdem sie Mario Cornelius‘ Schwester entdeckt hatte. »Da können wir ja zusammen auf die Station gehen.«
Felicitas wusste, woher das Interesse der jungen Krankenschwester rührte. Doch es gab keinen Grund, nicht mit der sympathischen Carina zu gehen, auch wenn es keine Hoffnung mehr auf ein Happyend zwischen ihr und Mario gab.
»Pünktlich wie die Eisenbahn«, lobte Fee, als Carina sie erreicht hatte und atemlos nach Luft schnappte.
»Ob das heute noch ein Kompliment ist, sei mal dahingestellt«, lachte die Lernschwester.
Doch ihr Lachen erreichte ihre grünen Augen nicht. Fee ahnte, warum das so war. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass Mario Cornelius und die schöne Konditorin Marianne Hasselt Gefallen aneinander gefunden hatten. Auf dem Weg in die Pädiatrie hütete sich Felicitas Norden davor, dieses Thema gegenüber Carina anzuschneiden.
»Da haben Sie auch wieder recht«, gab sie ihr lächelnd recht und sah auf die Uhr. »Aber jetzt sollten wir uns beeilen, wenn wir rechtzeitig zum Schichtwechsel da sein wollen.«
»Ach, Mario ist nicht so streng«, war es Carina selbst, die die Sprache auf das Objekt ihrer Begierde brachte. Allmählich verfinsterte sich ihre Miene. »Zumindest nicht in letzter Zeit. Das wird wohl an dieser Bäckerei-Verkäuferin liegen«, bemerkte sie herablassend.
»Jeder Beruf verdient Anerkennung. Ob Verkäuferin, Krankenschwester oder Mathematikerin«, kam Felicitas nicht umhin, die junge Frau zurechtzuweisen. »Mal abgesehen davon, dass Marianne keine Verkäuferin, sondern Konditorin mit einer meisterlichen Begabung ist.«
»Puh, ist ja schon gut«, stöhnte Carina auf, wohlwissend, dass sie die Sache falsch angepackt hatte. Wenn sie die kluge Ärztin auf ihre Seite ziehen wollte, musste sie andere Mittel verwenden. »Aber finden Sie nicht auch, dass diese Frau viel zu alt für Dr. Cornelius ist?«
Nicht genug damit, dass auch diesmal die erhoffte Reaktion ausblieb, blieb Felicitas Norden mitten auf dem Flur stehen und sah die junge Lernschwester so ernst an, dass der das Herz in die Kniekehlen rutschte.
»Meine liebe Carina!« Fees Ton ließ keine Missverständnisse zu. »Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie Ihre Chance bei meinem Bruder und waren nicht in der Lage, sie wahrzunehmen«, erklärte sie scharf. »Wenn Sie darüber enttäuscht sind, ist das eine Sache. Eine andere ist es, Ihre Enttäuschung an anderen Menschen auszulassen. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg«, ließ sie keinen Zweifel an ihrer Meinung, und mit jedem Wort wurde die junge Lernschwester kleiner. »Glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der jeder Mensch frei in seinen Entscheidungen ist und lieben kann, wen er für richtig hält. Das ist eine große Errungenschaft, die man nicht genug schätzen kann, finden Sie nicht?« Fee schickte Carina einen eindringlichen Blick.
Die junge Schwester konnte nicht anders, als ihn zu erwidern und beschämt zu nicken.
»So war das nicht gemeint. Tut mir leid«, entschuldigte sie sich zerknirscht.
»Schon gut.« Fee hätte noch viel dazu sagen können, verzichtete aber darauf. Inzwischen hatte sie ihre Pläne geändert. »Ich muss noch schnell bei der Chefin vorbeischauen. Sagen Sie Mario bitte Bescheid, dass ich ein paar Minuten