Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max Weber

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Seine Schriften zur Wissenschaftslehre - Max Weber

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anzusehen, betont vielmehr, daß er jenen Begriff nur als »den kürzesten gemeinsamen Ausdruck vieler Probleme« verwenden wolle; allein das eine geht aus diesen Aeußerungen jedenfalls hervor, daß ihm die rein rationalistische Betrachtung des »Volks« als der jeweiligen Gesamtheit der politisch geeinten Staatsbürger nicht genügt. An Stelle dieses durch Abstraktion gewonnenen Gattungsbegriffs trat ihm vielmehr die anschauliche Totalität eines als Kulturträger bedeutungsvollen Gesamtwesens entgegen.

      Die logische Bearbeitung dieser unendlich mannigfaltigen Totalitäten müßte nun, um historische, nicht durch Abstraktion entleerte Begriffe zu bilden, aus ihnen die für den konkreten Zusammenhang, der jeweils zur Erörterung steht, bedeutungsvollen Bestandteile herausheben. Roscher war sich des prinzipiellen Wesens dieser Aufgabe wohl bewußt: ihm ist das logische Wesen der historischen Begriffsbildung keineswegs fremd gewesen. Er weiß, daß eine Auslese aus der Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen in der Richtung nicht des Gattungsmäßigen, sondern des »historisch« Wesentlichen ihre Voraussetzung ist20. Aber hier tritt nun die »organische« Gesellschaftstheorie21 mit ihren unvermeidlichen biologischen Analogien dazwischen und erzeugt bei ihm – wie bei so vielen modernen »Soziologen« – die Vorstellung, daß beides notwenig identisch sei, und also das Wiederkehrende in der Geschichte als solches das allein Bedeutungsvolle sein könne22. Roscher ist daher der Meinung, mit der anschaulichen Mannigfaltigkeit der »Völker« ohne weitere Aufhellung des Begriffes »Volk« so umgehen zu können wie die Biologen mit der anschaulichen Mannigfaltigkeit etwa der »Elefanten« eines bestimmten Typus23. Die »Völker« sind zwar – meint er – in der Wirklichkeit untereinander ebenso verschieden wie die menschlichen Individuen, – aber wie diese Verschiedenheit die Anatomen und Physiologen nicht hindert, von den individuellen Differenzen bei ihrer Beobachtung zu abstrahieren, so verbietet die individuelle Eigenart der Nationen dem Geschichtstheoretiker nicht, sie als Exemplare ihrer Gattung zu behandeln und in ihrer Entwickelung untereinander zu vergleichen, um Parallelismen derselben zu finden, die – so meint Roscher – durch stetige Vervollkommnung der Beobachtung schließlich zum logischen Range von »Naturgesetzen« erhoben werden können, welche für die Gattung »Volk« gelten. – Nun liegt es auf der Hand, daß ein Komplex von auf diesem Wege etwa gefundenen Regelmäßigkeiten, so erheblich ihr provisorischer heuristischer Wert im einzelnen Falle sein kann, nimmermehr als endgültiges Erkenntnisziel irgend einer Wissenschaft – sei sie »Natur«- oder »Geistes«-Wissenschaft, »Gesetzes«-oder »Geschichts«-Wissenschaft24 – in Betracht kommen könnte. Es würde ihr, wenn wir einmal annehmen, es sei die Auffindung massenhafter »empirischer« Gesetze im geschichtlichen Ablauf gelungen, vor allem jede Form der kausalen Durchsichtigkeit noch abgehen, und die wissenschaftliche Bearbeitung, die nun erst zu beginnen hätte, und für die jene Parallelismen nur das Material bilden würden, müßte sich dann vor allem über die erstrebte Art der Erkenntnis entscheiden. Entweder würde exakte Erkenntnis im naturwissenschaftlichen Sinn gesucht. Dann müßte die logische Bearbeitung sich auf zunehmende Eliminierung des noch verbliebenen Individuellen und zunehmende Unterordnung der gefundenen »Gesetze« unter noch allgemeinere als deren – unter relativ individuellen Voraussetzungen Platz greifender – Spezialfall, damit aber auf zunehmende Entleerung der zu bildenden Allgemeinbegriffe und zunehmende Entfernung von der empirisch-verständlichen Wirklichkeit richten, – das logische Ideal würde ein System absolut allgemeingültiger Formeln bilden, welche das Gemeinsame alles historischen Geschehens abstrakt darstellen würden. Die historische Wirklichkeit, auch ihre für uns noch so bedeutsamen »welthistorischen« Vorgänge und Kulturerscheinungen, würde selbstverständlich aus diesen Formeln niemals deduziert werden können25. Die kausale »Erklärung« würde lediglich in der Bildung allgemeinerer Relationsbegriffe bestehen, mit dem Bestreben, möglichst alle Kulturerscheinungen auf reine Quantitätskategorien irgendwelcher Art, z.B. »Intensitäts«-Verhältnisse möglichst weniger, möglichst einfacher psychischer »Faktoren«, zu reduzieren. Die Frage, ob eine erhöhte empirische »Verständlichkeit« des Ablaufs der uns umgebenden Wirklichkeit in ihrem konkreten kausalen Zusammenhang erzielt würde, wäre dabei notwendigerweise methodisch gleichgültig.

      Würde dagegen geistiges Verständnis jener uns umgebenden Wirklichkeit in ihrem notwendig individuell bedingten Gewordensein und ihrem notwendigen individuellen Zusammenhang erstrebt, dann müßte die notwendige Bearbeitung jener Parallelismen unter den alleinigen Zweckgesichtspunkt gestellt werden, die charakteristische Bedeutung einzelner konkreter Kulturelemente in ihren konkreten, der »inneren Erfahrung«26 verständlichen Ursachen und Wirkungen bewußt werden zu lassen. Die Parallelismen selbst könnten dann lediglich Mittel sein zum Zweck des Vergleichs mehrerer historischer Erscheinungen miteinander in ihrer vollen Individualität zur Entwickelung dessen, was an einer jeden einzelnen von ihnen das Charakteristische ist. Sie wären ein Umweg von der unübersehbaren und deshalb ungenügend verständlichen individuellen Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen zu einem nicht minder individuellen, aber infolge der Heraushebung der für uns bedeutsamen Elemente übersehbaren und deshalb verständlichen Bilde derselben. Sie wären mit anderen Worten eins von vielen möglichen Mitteln zur Bildung individueller Begriffe. Ob und wann die Parallelismen aber ein geeignetes Mittel zu diesem Zweck sein könnten, wäre durchaus problematisch und nur für den einzelnen Fall zu entscheiden. Denn dafür, daß gerade das Bedeutsame und in den konkreten Zusammenhängen Wesentliche in dem gattungsmäßig in den Parallelismen Erfaßbaren enthalten wäre, ist natürlich a priori nicht die geringste Wahrscheinlichkeit gegeben. Würde dies verkannt, dann könnten die Parallelismen zu den ärgsten Verirrungen der Forschung Anlaß geben und haben dies tatsächlich nur zu oft getan. Und vollends davon, daß als letzter Zweck der Begriffsbildung die Unterordnung der mit Hilfe der Parallelismen zu gewinnenden Begriffe und Gesetze unter solche von immer generellerem Geltungsbereich (und also immer abstrakterem Inhalt) zu denken sei, könnte dann selbstverständlich keine Rede sein.

      Eine dritte Möglichkeit neben den beiden besprochenen: entweder Auslese des Gattungsmäßigen als des Erkenntniswerten und Unterordnung desselben unter generell geltende abstrakte Formeln, oder: Auslese des individuell Bedeutsamen und Einordnung in universale – aber individuelle – Zusammenhänge27, gäbe es für die Erscheinungen der historischen Kulturentwickelung offenbar dann, wenn man sich auf den Boden der Hegelschen Begriffslehre stellte und den »hiatus irrationalis« zwischen Begriff und Wirklichkeit zu überwinden suchte durch »Allgemein«-Begriffe, welche als metaphysische Realitäten die Einzeldinge und -Vorgänge als ihre Verwirklichungsfälle umfassen und aus sich hervorgehen lassen. Bei dieser »emanatistischen« Auffassung des Wesens und der Geltung der »höchsten« Begriffe ist es dann logisch zulässig, das Verhältnis der Begriffe zur Wirklichkeit einerseits streng rational zu denken, d.h. derart, daß die Wirklichkeit aus den Allgemeinbegriffen absteigend deduzierbar ist, und damit andererseits zugleich durchaus anschaulich zu erfassen, d.h. derart, daß die Wirklichkeit beim Aufsteigen zu den Begriffen von ihrem anschaulichen Gehalt nichts verliert. Inhalt und Umfang der Begriffe verhalten sich dann in ihrer Größe nicht zueinander entgegengesetzt, sondern decken sich, da das »Einzelne« nicht nur Exemplar der Gattung, sondern auch Teil des Ganzen ist, welches der Begriff repräsentiert. Der »allgemeinste« Begriff, aus dem alles deduzierbar sein müßte, würde dann zugleich der inhaltreichste sein. Zugänglich aber wäre eine begriffliche Erkenntnis dieser Art, von der uns unser analytisch-diskursives Erkennen fortgesetzt entfernt, indem es die Wirklichkeit durch Abstraktion ihrer vollen Realität entkleidet, nur einem Erkennen, welches analog (aber nicht gleichartig) dem mathematischen28 sein müßte29. Und metaphysische Voraussetzungen des Wahrheitsgehalts dieser Erkenntnis wäre, daß die Begriffsinhalte als metaphysische Realitäten hinter der Wirklichkeit stehen und diese in ähnlicher Art notwendig aus ihnen hervorgeht, wie die mathematischen Lehrsätze auseinander »folgen«. – Was nun Roscher anlangt, so war ihm das Problem, um welches es sich handelt, keineswegs unbekannt.

      Sein Verhältnis zu Hegel30 war durch den Einfluß seiner Lehrer Ranke, Gervinus und Ritter31 bestimmt. Er formuliert

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