Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max Weber

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Seine Schriften zur Wissenschaftslehre - Max Weber

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der »höhere« Begriff des Philosophen »Ursache« des niederen, d.h. seines Gedachtwerdens im Begriffssysteme sei, so könne der Historiker dies auf die reale Welt nicht übertragen, denn jede »philosophische« Erklärung sei Definition, jede historische aber Schilderung33. Die philosophische Wahrheit und Notwendigkeit stehe der dichterischen gleich, sie habe ihre Geltung »im luftleeren Raum«34, sie müsse ebenso notwendig verlieren, wenn sie in die Sphäre des Geschichtlichen hinabsteige, wie die Geschichte, wenn sie philosophische Begriffsentwicklungen in sich aufnehmen wolle: konkrete historische Institutionen und Ereignisse können keinen Teil eines Begriffssystems ausmachen35. Nicht ein oberster Begriff, sondern eine »Gesamtanschauung« ist es, welche die Werke der Historiker – und der Dichter – zusammenhält36. Diese »Gesamtidee« ist aber nicht adäquat in eine Fomel oder einen definierten Begriff zu fassen. Die Geschichte will wie die Poesie das volle Leben erfassen37, das Aufsuchen von Analogien ist Mittel zu diesem Zweck, und zwar ein Werkzeug, »mit dem sich der Ungeschicktere leicht verletzen kann« und welches »auch dem Geschickten niemals große Dienste leisten« wird38. – Gleichviel wie man die Formulierung dieser Sätze im einzelnen beurteilt, – es scheint danach zunächst, daß Roscher das Wesen der geschichtlichen Irrationalität zutreffend erkannt habe. Allein schon manche Aeußerungen in derselben Schrift Roschers zeigen, daß ihm ihre Tragweite trotzdem nicht zum Bewußtsein gekommen ist.

      Denn alle diese Ausführungen wollen nur die Hegelsche Dialektik39 ablehnen und die Geschichte auf den ihr mit den Naturwissenschaften gemeinsamen Boden der Erfahrung stellen. Einen Gegensatz in der Begriffsbildung aber zwischen der exakten Naturwissenschaft einerseits und der Geschichte andererseits kennt Roscher nicht. Sie verhalten sich nach ihm zueinander wie Plastik und Poesie in Lessings Laokoon40: die Unterschiede, welche bestehen, ergeben sich aus dem Stoffe, den sie bearbeiten, nicht aus dem logischen Wesen der Erkenntnis, die sie erstreben. Und mit der »Philosophie« – in Roschers Sinn des Wortes – teilt die Geschichte die »Seligkeit«, das »scheinbar Regellose nach allgemeinen Grundsätzen anzuordnen«41.

      Da die Geschichte42 die Aufhellung der kausalen Bedingtheit der Kulturerscheinungen (im weitesten Sinn des Wortes) bezweckt, so können diese »Grundsätze« nur solche der kausalen Verknüpfung sein. Und hier findet sich nun bei Roscher der eigentümliche Satz43, daß es Gepflogenheit der Wissenschaft – und zwar jeder Wissenschaft – sei, bei kausaler Verknüpfung mehrerer Objekte »das Wichtiger-Scheinende die Ursache des minder Wichtigen zu nennen«. Der Satz, dessen emanatistische Provenienz ihm an der Stirn geschrieben steht, wird nur verständlich, wenn man unterstellt, daß Roscher mit dem Ausdruck »wichtiger« einerseits dasselbe gemeint hat, was Hegel unter »allgemein« verstand, andererseits aber das gattungsmäßig-»allgemeine« davon nicht schied. Daß dies in der Tat der Fall ist, wird sich uns im weiteren Verlauf der Betrachtung von Roschers Methode immer wieder zeigen. Roscher identifizierte die Begriffe: gattungsmäßig allgemein (generell) und: inhaltlich umfassend miteinander. Außerdem aber schied er auch nicht zwischen der mit dem universellen Zusammenhang identifizierten generellen Geltung der Begriffe und der universellen Bedeutung des Begriffenen: das »Gesetzmäßige« ist, wie wir sahen, das »Wesentliche« der Erscheinung44. Und es versteht sich ihm endlich – wie so vielen noch heute – von selbst, daß, weil man die generellen Begriffe durch Abstraktion von der Wirklichkeit aufsteigend gebildet habe, so auch umgekehrt die Wirklichkeit aus diesen generellen Begriffen – deren richtige Bildung vorausgesetzt – absteigend wieder müsse deduziert werden können. Er bezieht sich in seinem »System« gelegentlich45 ausdrücklich auf die Analogie der Mathematik und die Möglichkeit, gewisse Theoreme der Nationalökonomie in mathematische Formeln zu kleiden, und fürchtet lediglich, daß die Formeln infolge des Reichtums der Wirklichkeit zu »verwickelt« werden könnten, um praktisch brauchbar zu sein. Einen Gegensatz begrifflicher und anschaulicher Erkenntnis kennt er nicht, die mathematischen Formeln hält er für Abstraktionen nach Art der Gattungsbegriffe. Alle Begriffe sind ihm vorstellungsmäßige Abbilder der Wirklichkeit46, die »Gesetze« aber objektive Normen, denen gegenüber sich die »Natur« in einem ähnlichen Verhältnis befindet, wie das »Volk« gegenüber den staatlichen Gesetzen. Die ganze Art seiner Begriffsbildung zeigt, daß er von dem Hegelschen Standpunkt zwar prinzipiell geschieden bleibt, trotzdem aber mit metaphysischen Vorstellungen arbeitet, welche sich nur dem Hegelschen Emanatismus konsequent einfügen lassen würden. Die Methode der Parallelismenbildung ist ihm zwar die spezifische Form des Fortschritts kausal-geschichtlicher Erkenntnis47: sie führt aber nie zum Ende, und deshalb kann nie wirklich die ganze Wirklichkeit aus den so gewonnenen Begriffen deduziert werden, – wie es nach Roschers Meinung der Fall wäre, wenn wir bis zu den letzten und höchsten »Gesetzen« alles Geschehens aufgestiegen wären: es fehlt dem geschichtlichen Geschehen, wie wir es erkennen, die Notwendigkeit48, es bleibt notwendig ein »unerklärbarer Hintergrund«, und zwar ist es eben dieser, der allein den Zusammenhang des Ganzen herstellt49, offenbar: weil aus ihm die Wirklichkeit emaniert. Aber ihn denkend zu erfassen und zu formulieren – eben das, was Hegel wollte –, ist uns nicht gegeben. Ob man diesen Hintergrund »Lebenskraft oder Gattungstypus oder Gedanken Gottes« nenne – man beachte die eigentümliche Mischung modern-biologischer mit platonisierender und scholastischer Terminologie –, das, meint Roscher, sei gleichgültig. Aufgabe der Forschung sei es, ihn »immer weiter zurückzuschieben«. Also die Hegelschen Allgemeinbegriffe sind als metaphysische Realitäten vorhanden, aber wir vermögen sie, eben dieses ihres Charakters wegen, nicht denkend zu erfassen.

      Fragen wir uns, wo denn für Roscher das prinzipielle Hindernis lag, die Hegelsche Form der Ueberwindung der im diskursiven Erkennen liegenden Schranke zu akzeptieren, obwohl er doch im Prinzip das Verhältnis zwischen Begriff und Wirklichkeit ähnlich denkt, so ist wohl in erster Linie sein religiöser Standpunkt in Betracht zu ziehen. Für ihn sind eben in der Tat die letzten und höchsten – im Hegelschen Sinn: »allgemeinsten« – Gesetze des Geschehens »Gedanken Gottes«, die Naturgesetze seine Verfügungen50, und sein Agnostizismus in bezug auf die Rationalität der Wirklichkeit ruht auf dem religiösen Gedanken der Begrenztheit des endlichen, menschlichen, im Gegensatz zum unendlichen göttlichen Geist, trotz der qualitativen Verwandtschaft beider. Philosophische Spekulationen – meint er (Thukydides, S. 37) ganz charakteristisch – sind Produkte ihres Zeitalters; ihre »Ideen« sind unsere Geschöpfe; wir aber bedürfen, wie Jacobi sagt, »einer Wahrheit, deren Geschöpfe wir sind«. Alle in der Geschichte wirksamen Triebfedern, führt er ebenda S. 188 aus, gehören in eine der drei Kategorien: »menschliche Handlungen, materielle Verhältnisse, übermenschliche Ratschlüsse«. Nur wenn er die letzteren zu durchschauen vermöchte, könnte der Historiker wirklich von Notwendigkeit sprechen, denn die (begriffliche) Freiheit des Willens gestattet die Anwendung dieser Kategorie für die empirische Forschung nur da, wo Zwang durch die »reale Ueberlegenheit eines fremden Willens« eintritt. Die Geschichte zerlegt aber nach Roscher wie nach Thukydides und Ranke alles in menschliche, irdische, verständliche Motive, die aus dem Charakter des Handelnden folgen: sie denkt nicht daran, »Gott in der Geschichte« finden zu wollen; und auf die Frage, was denn danach der t??? des Thukydides (und der göttlichen Vorsehung Roschers) noch zu tun bleibe, antwortet Roscher (das. S. 195) mit dem Hinweis auf die prästabilierende Schöpfung der Persönlichkeiten durch Gott: die metaphysische Einheit der »Persönlichkeit«, der wir später bei Knies wieder begegnen werden und deren Emanation ihr Handeln ist, ruht bei Roscher auf seinem Vorsehungsglauben. Die Schranken des diskursiven Erkennens erschienen ihm danach als natürlich, weil aus dem begrifflichen Wesen der Endlichkeit folgend und gottgewollt; man kann sagen, neben der Nüchternheit des gewissenhaften Forschers hat sein religiöser Glaube ihn – ähnlich wie schon seinen Lehrer Ranke – gegen Hegels panlogistisches Bedürfnis, welches den persönlichen Gott im traditionellen Sinn in einer für ihn bedenklichen Weise verflüchtigte, immunisiert51. Wenn der Vergleich erlaubt ist, so darf man sich die Rolle, welche der Glaube an Gott im wissenschaftlichen Betrieb Rankes und Roschers gespielt hat, vielleicht durch die Analogie der Rolle des Monarchen

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