Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt
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Im ionischen Stil haben die Formen mehr Selbständigkeit und vom Ganzen unabhängige Schönheit der Einzelerscheinung; manches, was im dorischen nur aufgemalt wurde: die Blätter der Wellenprofile, die Wulste, Kehlen, Einreifungen usw., ist hier plastisch gegeben. Die Säule ruht – außer in Attika – auf einer quadratischen Platte; stets hat sie eine reiche Basis, auf die sie wie auf eine Art weichen Stoffes gebettet ist; die schönste Lösung hat für dieses Glied die attische Kunst gefunden, indem sie ihm eine Hohlkehle und zwei Wulste gibt. Der Schaft ist schlank, seine Höhe beträgt acht und einhalb bis neun und einhalb, der Abstand der Säulen zwei Diameter. Die Kanneluren (bis 24) haben Stege zwischen sich und sind tiefer ausgehöhlt als an der dorischen Säule. Der Echinus, der über einem Perlband ansetzt, zeigt den Eierstab. Darüber kommt das Doppelpolster mit seinen Voluten, aus deren Winkeln Blumen gegen den Echinus gehen97; der Abakus ist zierlich geschwungen und mit einem Wellenprofil versehen. Der aus drei Streifen bestehende Architrav schließt mit Perlband und Welle und ebenso der fortlaufende Fries. Darüber kommt die Hängplatte mit den Zahnschnitten (die in attischen Bauten fehlen) und über dieser die Traufrinne (Sima) mit geschweiftem Profil. Auch die Antenprofile sind reicher und bewegter als im dorischen Stil, und ebenso die Profile an den Wandflächen. Diese Formen haben, wie namentlich der dreiteilige, nur durch Aufeinandernieten von drei dünnen Holzstämmen zu erklärende Architrav und die aus den Lattenenden einer horizontalen Decke von sehr leichtem und dünnem Holz hervorgegangenen Zahnschnitte zu beweisen scheinen, ihr Prius nicht wie die Formen des dorischen Stils in einem Bau aus starken, z.B. eichenen Balken, sondern sie setzen Stämme von viel geringerem Durchmesser, ursprünglich etwa gar Palmen und dergl. voraus und weisen vielleicht nach Mesopotamien. Wann aber und durch welche Kraft hat sich der Peripteros mit ihnen verbündet und sie zu seinem Ausdruck erkoren, so gut wie die dorischen? Wir können nur sagen, daß Orient und Okzident hier zu einer unvergleichlich schönen Form mysteriös zusammengewirkt haben.
Wesentlich die Formen des ionischen hat der korinthische Stil; nur hat er das reichere Kapitäl aus Blättern und Voluten oder Ranken. Sowohl die Akanthusblätter als die Stengel wachsen, wie sie hier gegeben werden, weder im Garten noch im Felde, sie gehören einer höhern Form als irgendeiner Naturform an und sind nur Gleichnisse einer solchen. In der Dekoration (an Stelen, Dreifüßen usw.) mögen sie lange vorhanden gewesen sein, bevor eine korinthische Ordnung für uns nachweisbar ist, und zwar bereits in ihrer idealen Gestalt; der Akanthus war von frühe her das sich Umlegende, der Stengel das Strebende, der Kelch oder Korb ist wohl eine alte Form für Stützen verschiedener Art gewesen, schon in Ägypten kommt er auch bei Säulen vor. Noch die letzte griechische Zeit hat dann das prachtvolle korinthische Kranzgesimse geschaffen.
Die dorische und die ionische, ja alle drei Ordnungen wurden für das Äußere und die zwei Säulenreihen des Innern unbefangen nebeneinander gebraucht. Daß die Innensäulen, z.B. der athenischen Propyläen, ionisch sein mußten, hat seinen Grund darin, daß hier die größere Höhe die schlankere Form bedingte. Am Tempel der Athene Alea zu Tegea sind die äußern Säulen dorisch, die innern ionisch und korinthisch.
Innerhalb des Feststehenden finden wir nun bei dieser Architektur eine endlose Variation der Verhältnisse. Jeder Tempel ist in den Proportionen anders gestimmt als der andere, und daneben ist doch wieder die Gesetzmäßigkeit so groß und die Proportion so gleichmäßig gut, daß für das rohe Auge die höchste Blüte des dorischen Stils an den athenischen Bauten von der sizilischen Formenbildung und Proportion nicht zu unterscheiden ist. Und nun haben noch jene merkwürdigen Verhältnisse eine starke Wirkung auf unsere Empfindung, die uns A. Thiersch zum Bewußtsein gebracht hat98: das Innere der Cella des Hexastylos ist im Grundplan dem Säulenhaus analog, ihre Diagonalen sind identisch oder parallel; die Fronte der Cella bis an den untern Architrav und die Fronte des ganzen Tempels samt Stufen bilden zwei ähnliche Rechtecke, d.h. Kern und Hülle sind auch im Durchschnitt analog, und daher verlangen Tempel mit weitem Abstand der Säulen von der Cella, also mit relativ kleiner Cella, hohe Gebälke und Stufenunterbauten und umgekehrt; je zwei Triglyphen samt ihrer Metope und Gesimsstück bilden ein Analogon des Gesamtbaues; in einem kombinierten Bau, wie das Erechtheion, haben die drei Gebäude parallele Diagonalen usw. Wieweit sich daneben die von Penrose entdeckten Feinheiten als bewußt und beabsichtigt erweisen lassen, mag dahingestellt bleiben99. Wenn wirklich aus optischen Gründen die Säulen am Peripteros eine leise Neigung einwärts haben, die Ecksäulen etwas verstärkt und ihre Intervalle etwas schmaler sind, der Stufenbau und ebenso die große Horizontale des Gebälkes leise aufwärts geschwellt ist, so wäre hier ein Analogon zu den feinsten Künsten der griechischen Metrik gegeben, und es würde sich fast buchstäblich das Wort des Astrologen im zweiten Teil von Goethes Faust bewähren:
"Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,
Ich glaube gar, der ganze Tempel singt."
Bei den profanen Gebäuden zeigt sich eine vereinfachte Anwendung der nämlichen Formen. Schon mit den nur wenig einfachern Propyläen der Akropolis beginnt die leise Abstufung. Die Anlagen dieser Bauten bestehen bis auf die Diadochenzeit, welche reicher zu kombinieren begann, nur aus Sälen, Höfen, Hallen mit Säulen, Gebälk, Pfeilern und Mauern; ein neues struktives Prinzip tritt hier nicht in Tätigkeit.
III. Die Philosophen und Politiker und die Kunst
Davon, wie bei den Griechen selbst die größten Bildhauer und Architekten100 einer gewissen sozialen Mißachtung ausgesetzt waren, soll im Zusammenhange mit der Betrachtung der sonstigen antibanausischen Denkart der Nation in einem spätern Abschnitt dieses Werkes die Rede sein. Hier möge noch das Verhältnis der leitenden Persönlichkeiten in Literatur und Staat zur Bildnerei durch einige Tatsachen beleuchtet werden.
Unter den zahllosen Titeln von Schriften der Philosophen, welche uns Diogenes von Laerte aufbewahrt hat, handelt nichts von der Kunst. Höchstens, daß Demokrit, der allseitigste Denker seiner Zeit, auch einmal über die Malerei geschrieben und die Theorie des Wölbens ermittelt hat, von welcher indes die Griechen in der Kunst keinen Gebrauch machten. Auch die Sophisten, welche sonst von allem und jeglichem glaubten reden zu können, haben die Kunst in Ruhe gelassen, mit einziger Ausnahme des Hippias von Elis, "welcher auch über Malerei und Bildhauerkunst sprach101". Daneben halte man die Menge von Schriften der Philosophen über Musik, Poesie, Mathematik usw., und man wird in der Ausschließung der bildenden Kunst keinen bloßen Zufall mehr erkennen.
Daß eine Konversation über die Kunstwerke schon in der Blütezeit existierte, verrät mehrmals Euripides102, nicht nur im ersten Chorgesang des Ion103, sondern durch seine Vergleichungen, wenn Polyxena vor ihrer Opferung ihr Gewand zerreißt und ihre Brüste zeigt "wie die eines Götterbildes", oder wenn der Chor der Phönissen sich nach Delphi sehnt, um dort zu weilen "dienstbar dem Phöbos, goldnen Götterbildern gleich104". Aber im ganzen muß die Kunst merkwürdig unabhängig geblieben sein vom Wort, vom Gerede, von der Literatur und auch von der gleichzeitigen Poesie. Ihre großen Lebensquellen sind die Gestalten der Götter, der bewegte Mythus, der so häufig und erhaben dargestellte Kultus und die Agonistik, und dabei bedurfte sie keinerlei Vermittler. Hätte sie nicht hie und da Masken gemeißelt, so würden wir z.B. aus ihr kaum erfahren, daß es eine Tragödie gegeben hat105, denn ihre tragischen Darstellungen schöpfte sie unmittelbar aus dem Mythus und war dabei unendlich