Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt
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Wollten wir nun noch die tönernen und ehernen Figurinen in größerem und kleinerem Maßstabe besprechen, in denen die Skulptur gewissermaßen ein zweites Leben lebt, wollten wir von der Reduktion des Reliefs in der Gemme, im Intaglio wie im Cameo und in der Münze handeln und dann auf die Gefäße und Geräte in edlem Metall, Erz, Marmor und Ton in ihren verschiedenen Metastasen und Umdeutungen, z.B. auf den Kandelaber und auf den Dreifuß in allen seinen Anwendungen kommen, so würden wir kein Ende finden. Man sieht in ein Kunstvermögen hinein, das keine Grenzen hat und oft das Trefflichste mit dem ersten Griffe trifft.
2. Die Malerei
Von der vorgriechischen Malerei sind nur die ägyptischen Überreste erhalten und hier meist nur Konventionelles und Geknechtetes, etwa mit Ausnahme der Darstellungen des gewöhnlichen Lebens in den Gräbern von Beni Hassan. Auch an Nachrichten über die Kunst des alten Orients fehlt es, von den figurierten Teppichen der mesopotamischen Wirkerei abgesehen, gänzlich. Von der griechischen Malerei dagegen haben sich, außer ihrer Nachwirkung auf den Vasen und in den Wandmalereien der Städte am Vesuv und einzelnen Gruftmalereien75, wenigstens noch zahlreiche Nachrichten erhalten, ja es ist von den berühmten Malern der Blütezeit, von Polygnot bis auf Apelles, in den Autoren mehr die Rede als von den Bildhauern. Athenäus (XI, 48) erwähnt eine an Antigonos gerichtete Schrift des Polemon "über die Maler" (peri zograpon), dergleichen es über die Bildhauer damals nicht gab. Jene müssen den Griechen individuell interessanter erschienen sein, was wir nur daraus zu erklären vermögen, das sie nicht auch, wie diese, für Banausen galten, wie denn auch das Zeichnen später in die regelmäßigen Erziehungsfächer für Freie aufgenommen wurde76.
Zunächst gab es nun in Stoen, Sälen, Hallen, Tempeln eine große monumentale Malerei im Dienste des Mythus und der politischen Ideen und Erinnerungen. Den Stil derselben77 mag man sich bei Polygnot etwa analog dem der Schule Giottos denken, bei den Späteren wohl noch vollendeter belebt. Von Polygnots Gemälden in der Lesche zu Delphi ist in diesem Werk früher die Rede gewesen78. In Athen befanden sich von ihm und seinen Nachfolgern, unter denen den größten Namen Protogenes und Euphranor haben, in der Stoa Basileios eine Darstellung der zwölf Götter, Theseus mit Demokratie und Demos, die Schlacht bei Mantineia und im anstoßenden Tempel der Apollon Patroos; im Buleuterion die Thesmotheten des Protogenes und ein spätes Feldherrnbild; in der Stoa Poikile, offenbar allmählich und von verschiedenen Meistern, frei von aller Zyklusknechtschaft entstanden, ein Schlachtenbild aus dem Peloponnesischen Kriege, eine Theseusschlacht gegen die Amazonen, eine Szene nach der Einnahme von Ilion und die Schlacht bei Marathon samt den hilfreichen Heroen; im Pompeion wahrscheinlich Prozessionsbilder, worin die einzelnen Köpfe, wie auf den florentinischen Fresken, bekannte Leute vorstellten79; in der Seitenhalle der Propyläen80 viele Szenen aus der Trojasage, zumal auch die beiden erlauchten Diebe: Diomedes mit dem Bogen des Philoktet und Odysseus mit dem Palladion, ferner die Gruppe Paralos und Hammonias des Protogenes und eine Anzahl von Bildnissen und Einzelfiguren: Alkibiades als nemeischer Sieger, Perseus, Musäos, auch die Genrefiguren eines Krugträgers und eines Ringers. – Schlachtenbilder gab es übrigens auch anderswo als in Athen. So besaß das Artemision von Ephesos eine Seeschlacht, worin auch eine Eris vorkam, und Pergamon einen Keltensieg81.
Leider ist nicht bekannt, welche Behörden in den öffentlichen Gebäuden, z.B. im Saale der Propyläen, darüber verfügt hatten, wer noch dort und was er hinzumalen habe. Jedenfalls nahm sich die Malerei des historisch Wirklichen mehr an als die Skulptur; es gab ziemlich viele politische Malereien.
Neben der Wandmalerei kam in der Blütezeit des Dramas die Skenographie, d.h. die Theatermalerei, auf, die zunächst zum phantastischen Schmuck der Bühne diente, hernach aber in Häuser und Paläste überging. Für diese scheint sie einmal plötzlich Mode geworden zu sein, so daß ein Alkibiades sie in seiner Wohnung augenblicklich auch haben wollte. Er soll dies in seinem Übermut dadurch erzwungen haben, daß er den Maler Agatharchos mit Gewalt packte und in seinem Hause gefangen hielt, bis er es ihm ausgemalt hatte. Auch König Archelaos von Makedonien drang den Zeuxis um vierhundert Minen zur Ausmalung seines Palastes82.
Wie weit findet sich nun von diesem allem ein Nachklang in Pompeji? Von der historisch-politischen Malerei läßt sich hier nur das Unikum der Alexanderschlacht83 nennen; eher wird von der mythologischen die Rede sein können, und gewiß von der skenographischen: Die Einzelfiguren, Schwebegruppen usw. sind zum Teil unzweifelhafte Reminiszenzen an das Herrlichste dieser Kunstgattung und so auch viele Genreszenen. Diese sind hier nicht wie in Beni-Hassan dargestellt, weil sie im Leben vorkamen, sondern weil sie anmutig waren; an die Stelle der täglichen und jährlichen Verrichtung ist der anmutige Moment: das leise Gespräch weniger, das Meditieren, die Toilette, die Spiele, die Theaterprobe usw. getreten. In Griechenland selbst hatten vielleicht einst, wie uns die Vasen verraten, mehr die agonalen und gymnastischen Szenen vorgeherrscht.
Außerdem aber zog die Tafelmalerei (Tempera, auch Enkaustik), deren größte Meister Zeuxis, Parrhasios, Apelles, Protogenes, Timomachos, Theon sind, weit die lebhafteste Bewunderung auf sich84. Bei dieser Gattung, die, wenn wir sie wieder erhielten, unsre konventionellen Anschauungen von der griechischen Kunst aufs stärkste umgestalten würde, galt die Illusion, und einstimmig wird das gelungene Streben darnach gerühmt; die Maler müssen sie durch Farbe, Modellierung und Licht, sowie auch durch Verkürzung (Pausias) und delikate Ausführung erzielt haben85. In der modernen Kunst werden sich hiezu als Parallele wohl besonders die italienischen Realisten des XV. Jahrhunderts bis auf Lionardo darbieten. Charakteristisch ist, daß neben einzelnen figurenreichen Kompositionen dieser Meister, wie dem Opfer der Iphigenia von Timanthes, dem Bilde der Verleumdung von Apelles, der Hochzeit Alexanders und Rhoxanes von Aëtion und dergl., vorherrschend Einzelfiguren oder Bilder genannt werden, auf welchen nur eine Hauptfigur mit wenigen Zutaten dargestellt war; so von Zeuxis eine Helena und eine Penelope; von Parrhasios der athenische Demos, der geheuchelte Wahnsinn des Odysseus, ein Philoktet; von Protogenes der Ialysos (an dem er sieben Jahre malte), von Timomachos ein Aias, eine opferbereite Iphigenia und eine Medea vor dem Augenblick des Mordes; von Theon ein Hoplit86.
Die moralische Stellung dieser Art Malerei ist schon eine ganz andere als die der Skulptur: sie entsteht wesentlich für den Privatbesitz und gerät nur zufällig und nachträglich als Anathem in diesen und jenen Tempel; für sie war auch das griechische Haus geeignet, in dem größere Marmorskulpturen nicht leicht konnten aufgestellt werden. Hiemit, sowie mit der Richtung dieser Kunst auf illusionäre Einzeldarstellung, hängt das Verhältnis des Studiums zu den Hetären87 zusammen; man wählte von verschiedenen das Schönste aus, ein Verfahren, von dem bei der Skulptur nicht die Rede zu sein pflegt.
Nur bei den berühmten Tafelmalereien ist auch von Preisen und Einnahmen die Rede. Wir erfahren, daß Zeuxis sich für das Besichtigen seiner Helena einen Eintrittspreis zahlen ließ. In der späteren Zeit kamen dann vollends die enormen Liebhaberpreise. So kaufte nach Plinius (H.N. VII, 39) Attalos eine Tafel des Aristides von Theben um hundert Talente, Cäsar zahlte für die Medea und den Aias des Timomachos, um sie in den Tempel der Venus Genetrix zu weihen, deren achtzig. Dahin gehört auch, daß Demetrios Poliorketes Rhodos nicht anzündete, um ein Gemälde des Protogenes nicht zu zerstören, das sich in dem von ihm gefährdeten Stadtteile befand. Wenn aber Kennerschaft, Liebhaberei und Erwerbung anders als bei der Plastik waren, so wird es uns nicht wundern dürfen, wenn hier, anders als dort (wo höchstens bei den Amazonenstatuen des Polyklet, Kresilas und Phidias von so etwas die Rede sein kann), ein förmlich agonaler Betrieb stattfand. Von dem Maler Panänos, dem Bruder oder Neffen des Phidias, wird berichtet88,