Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt
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Allein die höchsten Meister der Plastik waren ja zunächst nur Banausen. Der historische Sokrates ging beständig in den Werkstätten aus und ein, um den Banausen zu beweisen, daß sie wirklich nichts als dies seien und nur nie einen Gedanken, ein Urteil wagen sollten, mit welchem ihre Sphäre überschritten würde, "ne sutor ultra crepidam". Der platonische Sokrates exemplifiziert wohl hie und da mit Künstlern, die er nennt107, aber nur in einer Reihe mit dem bekannten "Steuermann" u.a. äußerlichen Tätigkeiten, und geht nie auch nur von ferne auf ihre Kunst oder gar auf ihre individuellen Besonderheiten ein. Sodann war ganz eigentlich Feindschaft gesetzt zwischen Philosophie und Kunst: letztere verherrlichte den Mythus, von welchem erstere das griechische Bewußtsein frei zu machen bemüht war; der Gedanke war der Feind der schönen und überreichen Bildlichkeit, ja er mag sich als deren Konkurrenten gefühlt haben, und sein Stillschweigen war wohl zum Teil das des Neides. Im platonischen Staat gibt es bekanntlich weder Kunst noch Poesie, so wenig als irgend etwas, das auf individueller Entwicklung beruhen würde, etwa mit Ausnahme der Philosophen, welche diesen Staat beherrschen müßten. Aber beiläufig hat Plato über die Kunst deutlicher herausgeredet, namentlich im Buch "von den Gesetzen", welches dem "Staat" gegenüber seine spätere, gemäßigte Utopie entwickelte.
Nach seinem Geschmack ist des Bildwerks überhaupt zuviel auf der Welt, schon weil desA13 Kultus zuviel ist108. Vor allem müßte, nach dem in einem frühern Abschnitte109 erwähnten Gesetze, welches er postuliert, der ganze Hauskultus mit allen ihm entstammenden Stiftungen abgeschafft werden. Schon hiemit aber wäre der Kunst ein fast unermeßliches Gebiet entzogen gewesen. Denn, wie man aus Ciceros vierter Rede gegen Verres lernt, beherbergte das Haus des reichen Griechen eine Menge von Kunstschätzen, die diesem Kultus dienten, und zwar zum Teil Sachen von bedeutendem Metallwerte, und dazu kommen jene Figurinen aus Ton und Erz, deren Schönheit erst unser Jahrhundert wieder vollkommen beachtet; dieses alles wäre gar nicht entstanden, wenn es nach Platos Willen gegangen wäre.
Ferner ärgern ihn die Weihgeschenke, mit welchen denn freilich mancher heilige Raum völlig angefüllt war. Mäßige Menschen, wie er sich seine Normalbürger denkt, sollen auch nur mäßige Anatheme stiften110. Gold und Silber sind sowohl in Tempeln als im Privatbesitz eine giererweckende Sache; Elfenbein, weil einem toten Körper entnommen, kein geeigneter Stoff zum Weihen; Eisen und Erz sind Werkzeuge des Krieges. Von Holz, und zwar aus einem Stück, mag einer stiften, was er will, und ebenso von Stein in die gemeinsamen Tempel (also nicht auf den Hausaltar, nicht in die Feldkapelle). An Gewebe soll nicht mehr gestiftet werden, als was ein Weib in einem Monat weben kann, und zwar ziemt sich weiße Farbe für die Götter überhaupt, und insbesondere im Gewebe, Gefärbtes dagegen nur für Kriegszierden. Die göttlichsten Geschenke aber sind Vögel und Bilder, wie sie ein Maler in einem Tage vollenden kann (d.h. die ordinärsten Exvotos).
Hiemit würde die Kunst in ihrem äußern Bestand zur Ärmlichkeit verdammt und materiell heruntergebracht worden sein. Allein Plato hätte auch ihre innere Entwicklung mit Gewalt stillgelegt, wenn man ihn hätte machen lassen. Er verrät dies in seinem Lobe der ägyptischen Kunst111, als einer völlig stationären. Dort habe man von alters her das Was und das Wie festgesetzt und in den Tempeln verkündet und geoffenbart, und darüber hinaus habe kein Künstler etwas "neuern" (kainotomein) oder erdenken, sondern nur das "Vaterländische" wiedergeben dürfen. Noch jetzt werde es in Ägypten so gehalten, in bildender Kunst sowohl als in der Musik. Was vor zehntausend Jahren – und zwar im buchstäblichen Sinne gerechnet – gemalt oder gemeißelt worden, sei nicht schöner noch häßlicher, als was jetzt verfertigt werde; die Kunst sei völlig dieselbe. Das sei gesetzgeberisch, das sei im Sinne des Staates gehandelt112.
Als das Buch von den Gesetzen verfaßt wurde, war Skopas und vielleicht auch Praxiteles schon in voller Tätigkeit, und beide brauchten von Platos Ansichten keine Kenntnis zu nehmen, sonst würden sie ihn vielleicht darüber belehrt haben, was bei den Griechen "vaterländisch" sei, nämlich die höchste Ausbildung der Anlage des einzelnen. Und wie konservativ ist bei all diesem die griechische Kunst im ganzen geblieben!
Aristoteles beschweigt wenigstens die bildende Kunst. Bei der großen Menge, Ausdehnung und Vielseitigkeit seiner erhaltenen Schriften, unter welchen sich eine Poetik, eine Rhetorik und ein wichtiger Abschnitt über Musik113 befinden, bleibt dies doch immer sehr bemerkenswert. Daß er für die Betrachtung des Äußern als Ausdruck des Innern das höchste Verständnis hatte, zeigt seine Physiognomik (vgl. S. 22 f.), welche für den Künstler wie für den Kunstforscher noch heute lesenswert ist.
Die Stoa erging sich in ähnlichen blinden Raisonnements über die Kunst wie Plato. Eine Lehre des Zenon war: Heiligtümer der Götter seien nicht zu bauen; ein nicht sehr wertvolles Heiligtum sei nicht heilig (agion), kein Werk von Bauleuten und Banausen aber sei wertvoll. Plutarch114, der uns dies überliefert, hält sich dabei freilich über die Inkosequenz der Sekte auf; denn die Stoiker nähmen trotz dieser Lehre in Tempeln Weihen auf sich, stiegen auf die Akropolis, würfen sich vor den Götterbildern nieder und bekränzten die Tempel, welches doch Werke von Bauleuten und Banausen seien ... und opferten auf Altären und bei Heiligtümern, welche nach ihrer Meinung weder vorhanden sein, noch errichtet werden sollten. Man hätte freilich wohl warten müssen, bis die Philosophen selber Tempel und Statuen irgendwie, notabeneA14 ohne "banausische" Anstrengung hervorgebracht hätten.
Kennerschaft und periegetische Aufzeichnung der verschiedenen Kunstwerke beginnen erst in der alexandrinischen Zeit, und nicht bei den Philosophen; das meiste erfährt man aber erst von Römern oder von Griechen der römischen Zeit. Freilich auch jetzt interessiert sich z.B. ein Strabo für die einzelnen Städte, als Geburtsorte der obskursten Philosophen und Rhetoren, und nennt nur zur Seltenheit einen Künstler mit. Bei Dionys von Halikarnaß finden sich halsbrechende ästhetische Parallelen zwischen Phidias und Polyklet einerseits und Isokrates andererseits, worauf er dann noch den Lysias mit KalamisA15 und Kallimachos zusammenstellt115. Anderswo verficht er mit Kraft die Berechtigung des Laienurteils über Kunstwerke116. Bald kam dann die Zeit, da der Literat dem Künstler vorempfand, und letzterer auf gelehrte Programme hin umständliche Kompositionen arbeitete, wie z.B. Archelaos von Priene seine Apotheose Homers (im Britischen Museum). Bei Philostratos ist sicher anzunehmen, daß er an vielen Stellen Niegesehenes und Nichtvorhandenes schildert, und wenn vollends ein Rhetor des V. Jahrhunderts n. Chr., wie Nikolaos117, Statuen und Gruppen auf das prächtigste beschreibt, so wissen wir schon, wie der damaligen Plastik zumute gewesen sein würde, wenn man die wirkliche Beschaffung des Beschriebenen ernstlich von ihr verlangt hätte.
Die Kunst aber hatte den Philosophen ihre Abneigung von Anfang an nicht nachgetragen, sondern dieselben in Statuen, Büsten und gemalten Bildnissen auf das reichlichste verewigt, ja nächst den Herrschern am häufigsten. Die spätere antike Bildung hatte sich die Kenntnisnahme von allen philosophischen Systemen zu einer Art von Pflicht gemacht, und wo sich zu diesem Interesse der Reichtum hinzufand, wollte man auch die Porträts, wenigstens der Schulhäupter, nicht entbehren: wir haben sogar noch aus der christlichen Zeit, da von einer Büstensammlung nicht mehr die Rede sein konnte, für die konventionelle Abbildung der Philosophen ein ins Kurze gezogenes Rezept118.
Und die Nachwelt darf es – beim Lichte besehen – als das größte Glück für die bildende Kunst betrachten, daß sich die Literaten der voralexandrinischen oder vorrömischen Zeit nicht stärker mit ihr abgaben. Sie blieb so im ganzen und vollen unbesprochenen Besitz ihrer Naivität, was die Poesie nicht blieb; sowohl in ihren Gegenständen als in ihrer Auffassung hatte sie in einer Zeit, da sonst alles zerschwatzt wurde, den unendlichen Vorzug, frei von aller Gebundenheit an Theorien und Meinungen ganz nur ihre