Tage und Nächte in Urwald und Sierra. Kurt Faber
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Da mochte ich es nicht mehr aushalten in der Höhle. Ich verstaute meinen Zeugsack in einer Ecke und ging an Deck, als eben der junge Tag aus dem Meere heraufgestiegen kam. Es war ein klarer, wolkenloser, glorreich schöner, aber auch ein recht stürmischer Tag mit einem steifen Nordost, der die Gischt der Brandung über das ganze Verdeck hinjagte. Vor dem Ruder stand ein stämmiger Mann mit einem Gesicht wie ein Hamburger Hafenlöwe, offenbar Hein Jürgens, der Schlosser. Wie er es machte, daß er aufrecht stehen konnte auf dem schiefen Verdeck, wußte ich nicht. Jedenfalls fand er dabei noch Zeit und Muße, sich eine Pfeife zu stopfen. Nicht im geringsten schien er erstaunt über meine Anwesenheit. »Da bist du ja!« sagte er gemütlich. »Es wird höchste Zeit. Wir haben schon lange keine Abwechslung mehr gehabt. Der letzte hat's drei Tage lang ausgehalten und das war schon ein Rekord unter fünfundzwanzig.«
Und wie lange denn die anderen dageblieben wären? fragte ich.
»Nun ja,« sagte er, »manche sind einen ganzen Tag geblieben, manche sogar zwei. Die meisten aber hatten schon mit drei oder vier Stunden genug. Denn wenn du hier arbeiten willst, so mußt du Schwimmhäute haben, und das ist nicht jedermanns Sache. Heute wird es überhaupt nichts werden mit der Arbeit, ehe nicht der Nordostwind abgeflaut hat, und das kann vierzehn Tage dauern.«
»Vierzehn Tage?«
»Und manchmal noch viel länger.«
Das war nun allerdings eine Offenbarung, die die Illusionen der vergangenen Nacht erheblich herabsetzte. Ganz so kurz wie ich mir ihn gedacht hatte, war der Weg denn doch nicht zum Kapitän und Reeder. Eine ganze Weile saß ich stumm auf der Luke, an die man sich fest anklammern mußte, um nicht hinunterzurutschen zur Leeward, über der die schäumende Gischt der Brandung brodelte. Ich schaute auf die Sturzseen, die polternd über die Back hereinbrachen, ich spürte den feinen Wasserstaub, der scharf und salzig in alle Poren drang. Je länger ich da saß, je kälter und frostiger wurde mir zumute. – Nein, es hatte wohl keinen Zweck. Ich ging hinunter zur Koje, holte meinen Seesack und verschwand ohne Abschied. Denn erstens war mir dieser Weg zum Reichtum zu lang und zu riskant, und zweitens hatte ich keine Schwimmhäute. –
Am hellen Nachmittag kam ich wieder in Callao an. Denselben Weg, den wir kurz zuvor gekommen waren, war ich wieder zurückgegangen, durch die stacheligen Baumwollfelder, durch die hohen Dünen mit ihren grausigen Reliquien, die jetzt am hellen Tage nicht mehr halb so unheimlich aussahen wie zuvor im Mondlicht, aber der Weg schien noch einmal so lang und der lose Sand noch einmal so tief in der Glut des heißen Tages. Endlich war ich wieder in der Stadt und wäre doch lieber wo anders gewesen. Es war keine schöne Gegend, durch die ich kam. Die Häuser waren schmutzig und die Leute nicht weniger. Schlampige Frauenspersonen standen frech an den Straßenecken. Betrunkene Matrosen schwankten schwer über die Gasse. Wo Matrosen verkehren, da ist es immer lebendig, denn immer ist irgendeine Schiffsmannschaft eben abbezahlt oder angemustert und immer muß irgendwo und irgendwie ein Theater aufgeführt werden, um sie zu angeln. Und immer ist da auch das Heer der Schmarotzer, das sich an ihre Rockschöße hängt, doch ganz so schlimm, wie der Laie es sich vorstellt, ist es nicht mit dem ach so dummen und gutmütigen, ewig ausgebeuteten Seemann.
Nicht einen Schritt mehr wollte ich weitergehen. Ich ging in die erste beste oder schlechteste Wirtschaft und setzte mich in die hinterste und dunkelste Ecke und schaute auf das wilde Leben, das die schrille Stimme eines Phonographen übertönte, ohne etwas anderes zu sehen als ein verworrenes Chaos, das vor meinen Augen flimmerte wie eine Fieberphantasie. Und das war kein Wunder, denn seit meiner Landung auf peruanischem Boden hatte ich kaum mehr geschlafen, und seither hatte ich doch schon allerlei erlebt. Und hungrig war ich auch. Ich fing an zu rechnen. Zu einem ordentlichen Nachtessen reichte es noch und für alles weitere würde wohl der gute, brave, stets hilfsbereite Schutzgeist der Vagabunden sorgen.
Es war schon lange nach Mitternacht, als der Wirt die Stühle auf den Tisch stellte und ich mich hinausschlich in die frostige Nacht.
Ach, das Leben ist immer nur ein Rechenexempel! Lange hatte ich es mir überlegt. Sollte ich die Nacht in einem Bett verbringen und morgens keinen Kaffee trinken? Oder sollte ich es nicht lieber umgekehrt machen? Ich entschied mich für letzteres. Ein knurrender Magen ist ein aufdringlicher Begleiter, aber für die müden Glieder findet sich immer noch ein Plätzchen in solch südlichem Lande, wo ohnehin jedermann die Gasse als eine Verlängerung seines Schlafzimmers ansieht.
Im spärlichen Licht der Laternen fand ich bald einen leeren Packwagen, der einladend auf den Schienen stand. Ich stieg hinein und schlief wie ein Sack bis zum dämmernden Morgen.
Mit steifen Gliedern machte ich mich auf den Weg nach einer Kaffeestube, deren hell erleuchtete Fenster durch das neblige Halbdunkel schimmerten. Gerade noch fünfzig Centavos hatte ich in der Tasche. Manch einer hat sich schon nach einem Strick umgesehen mit doppelt so viel. Aber das war sicher kein gelernter Wandersmann.
In dem kleinen Lokale, wo eilige Hafenarbeiter beim letzten Lichte der elektrischen Lampen ihren Imbiß einnahmen, gab ich, wie gesagt, meinen letzten Centavo aus für Kaffee und Kuchen und war nun wirklich neugierig, was weiter werden sollte. Ich klagte mein Leid einem neben mir sitzenden jungen französischen Matrosen, der, wie er mir gleich mitteilte, Francois mit Vornamen hieß. Seinen Familiennamen habe ich nie erfahren und bezweifle auch, ob er gleich den richtigen gefunden hätte, wenn man ihn danach fragte.
»Et toi un Al–sa–cien!« rief er aus in seinem sonderbaren Gemisch von Französisch und Spanisch. »Und dann kannst du hier keine Stelle finden?«
»Wie sollte ich denn?« sagte ich trostlos.
»Ich werde dir gleich den Weg dazu zeigen.«
Wir gingen nach dem Hafen, bis zum großen Gebäude der Verwaltung, von dessen Dach eine mächtige Trikolore wehte.
»Voila!« sagte Francois, »da sind wir. Gehe hinauf und frag' nach Monsieur Boursot.«
Einen Augenblick blieb ich stehen. Ich schaute hinauf zu dem blau-weiß-roten Tuche, das herausfordernd im Winde wehte. Ich dachte daran, daß ich es vor noch nicht allzu langer Zeit auf einer Rheinbrücke flattern sah, und es wurde mir unbehaglich zumute. Ich wandte mich zum Gehen, aber Francois faßte mich bei den Rockschößen.
»Ho la, la!« rief er entrüstet. »Bist du aber grün! Warte, ich gehe mit, wenn du willst, und mich haben sie doch schon mehr wie dreimal hinausgeworfen.«
»Wenn ich aber doch kein Franzose bin–«
»Als ob's darauf ankäme! Franzos, Deutscher, Engländer, Chinese, Cholo – qu'est ce qu´ca m'fiche! – Franzos!