Tage und Nächte in Urwald und Sierra. Kurt Faber
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tage und Nächte in Urwald und Sierra - Kurt Faber страница 6
Das Argument war einleuchtend. Noch einen Augenblick blieb ich stehen, mit den Händen tief in den leeren Taschen. Dann ging ich schnell die Treppe hinauf.
In dem großen, sehr anspruchsvoll aufgemachten Privatkontor, wo das Bild des pere de la victoire (Clemenceau)neben dem der Jungfrau von Orleans von den Wänden herabschaute, saßen drei Herren am grünen Tisch. Der eine – ein dicker Mann mit braunem Vollbart – war ein Belgier. Man konnte ihm den Antiboche schon von den Augen ablesen. Der andere war ein kleiner, quecksilberiger Südfranzose, und schließlich saß da noch ein großer, stattlicher Herr mit dem roten Band der Ehrenlegion im Knopfloch. Man brauchte nicht erst zu fragen, um zu wissen, daß er Monsieur le directeur general und französischer Konsul war.
»Eh bien,« sagte er mit einem ungeduldigen Blick auf die große Wanduhr. Ich gab meinem Herzen einen Stoß und fing an, ihm den Fall auseinanderzusetzen.
»Parfaitement,« meinte der Belgier, aber Monsieur mit der Ehrenlegion war nicht so schnell zufriedengestellt. Ganz unangenehm wurde er mit seinen Fragen über Stand und Herkommen und über meine wirkliche und vermeintliche Tätigkeit vor, während und nach dem Kriege. Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. Fragend schaute er die beiden anderen an, und da sie beide zustimmend nickten, war die Sache bald perfekt. So kam ich zu einer Stelle als employe der Großen Nation. Es war nicht gerade eine ruhmreiche Geschichte, aber wer noch nie hungrig und arbeitslos in fremden Straßen gelegen, der sitze darüber zu Gericht. –
Die Stelle, die ich mir auf solche Weise erschlichen hatte, war recht angenehm. Die Arbeit bestand im wesentlichen im Spazierengehen. Freilich war das Honorar auch dementsprechend. Mit meinen vier Soles pro Tag konnte ich mich gerade über Wasser halten, bis eines Tages meine Aussichten sprunghaft zu steigen begannen wie eine Valutaaktie bei uns zu Hause. Unvermutet wurde ich zum Portier ernannt über das Tor eines großen Hofes im Arsenal, wo ein Neubau aufgeführt wurde. Von allen den vielen Berufen, die ich je ausgeübt habe, ist der eines Portiers derjenige, für den ich mich am wenigsten eignete. Denn erstens, zweitens, und überhaupt – Pünktlichkeit war meine starke Seite nie, und auch sonst fehlen mir – wie ich auch heute noch glaube – verschiedene grundlegende Eigenschaften zum Ritter ohne Furcht und Tadel vor einem Hoftor. Zudem war das Tor eine Illusion. Denn die Mauer war voller Löcher, durch die es aus- und einging wie in einem Taubenschlag. Wenn man einen hinausjagte, kamen drei andere zu einem anderen Loch wieder herein. Schließlich gab ich es auf in Verzweiflung und zog mich grollend zurück in den Schatten meiner Amtsstube. Schwer litt ich unter meiner Machtlosigkeit. Ich kann es nunmehr begreifen, warum Portiers fast immer Menschenfeinde sind. Ich selbst war auf dem besten Wege dazu. Stundenlang konnte ich auf demselben Flecke sitzen und in den hellen Hof hineinstarren. Nicht weit von meiner Hütte stand ein stattlicher Baum mit kleinen, birnenartigen Früchten, die man dort Guayavas nennt. Diese hatten die Aufmerksamkeit der ganzen Nachbarschaft auf sich gezogen. Alle Augenblicke erschien in irgendeiner Mauerlücke ein dunkles Chologesicht und verdrehte die großen, lackglänzenden Augen, derweilen der Mund vor Lüsternheit wässerte.
»Mistah!«
Ich warf ihn hinaus. Schon kam ein anderer.
»Mistah! All right.«
Dieser kam mit einem Zehncentavosstück. Da wußte ich Bescheid. Einmal wenigstens zeigte ich mich auf der Höhe der Situation. Das Leben, das eben noch so fade und zwecklos erschienen war, hatte auf einmal wieder Inhalt bekommen. Ich stieg auf den Baum und schüttelte einen ganzen Vorrat, den ich neben meiner Behausung aufstapelte und noch am selben Abend schlank verkaufte an die Arbeiter, die nach Feierabend durch das Tor kamen. An jenem Abend und an noch verschiedenen anderen, die meine Taschen überquellen ließen mit Centavosstücken. Nur wenig litt ich unter Gewissensbissen über diesen Mißbrauch meiner Amtsgewalt, und das Wenige, was übriggeblieben war, zerstreute Francois, der nur bedauerte, daß er nicht dabei sein konnte.
»Das da,« sagte er, »das werden sie alles aufs Reparationskonto schreiben.«
Mehr als fünf oder zehn Centavos pro Mann waren jedoch aus keinem herauszubekommen. Denn woher nehmen und nicht stehlen? In diesem an Naturschätzen so reichen Lande Peru herrscht die Armut wie in kaum einem anderen Lande. Kein unterwürfigeres, bedürfnisloseres Geschöpf kann man sich denken, als den dortigen Mann aus dem Volke, den Cholo, eine seltsame Mischung von weißem, Neger- und Indianerblut, mit einer ganz kleinen Beimischung aus dem himmlischen Reiche. Gewiß, der Arbeitsmann des benachbarten Chile ist auch kein Millionär. Zumeist nennt er kein ganzes Hemd sein eigen, und wenn er es besäße, so würde er es so schnell wie möglich in vino tinto umsetzen. Aber er ist trotz allem stolz und unbändig, von wildem Freiheitsdrang und heißer Vaterlandsliebe, ein stets auf Erlebnisse bedachter Abenteurer, der einem aus einer Tasche den Geldbeutel stiehlt und ihn wieder in die andere hineinsteckt, aus purer Lust am Schenken. Und vor allem: er ist über die Maßen selbstbewußt und stolz auf seine Klasse.
»Soy roto chileno!«
Wie anders der Cholo! Eine müde Resignation liegt über ihm und seinem Lande. Ein Zug von Pessimismus und Unterwürfigkeit, deren Ursprung zurückführen mag in die Jahrhunderte, da die Inkas als Herren über Leben und Tod jedes Einzelnen geboten. Dieses Volk hat nie die Freiheit gekannt; nicht unter den Inkas, nicht unter Pizarro und am allerwenigsten in der heutigen Republik, wo sich eine dünne Oberschicht von reichen Familien der Staatsmaschine bemächtigt hat. Denn die hohen Staatsgeschäfte werden dort seit über hundert Jahren en famille ausgeübt. Von einigen Notabeln. In diesem in der Theorie und nach dem Wortlaut der Verfassung so überaus demokratischen Lande ist der Begriff der menschlichen Gesellschaft sehr eng gezogen. Es gibt nur eine »Gesellschaft«, die mit ihren Wünschen und Ansprüchen für die Öffentlichkeit allein vorhanden ist und über deren Tun und Lassen alle Zeitungen in langen Spalten endlos berichten in blumenreichster Sprache. Man lese zum Beispiel nur diese Mitteilung aus der in Lima erscheinenden Zeitung »La Prensa«:
»Vermählung. – Die tugendhafte und engelgleiche Senorita Fulano hat sich heute für immer mit dem perfekten Gentleman Sutano vereinigt. In Anbetracht der hohen Qualitäten eines so sympathischen Paares kann es nicht ausbleiben, daß über ihrem Herde alle Tage der Stern des Glückes strahle, umweht von dem christlichen Hauche einer reinen und jungfräulichen Liebe im Herzen der geistreichen Frau. Daß diese Sonne des Glückes immer scheinen möge aus dem blauen Himmel über ihr, ist der heißeste Wunsch derer, die sich voll Freuden und Entzücken unterzeichnen als ihre Freunde.«
In jedem anderen, nicht südamerikanischen Lande hätte das Papier revoltiert gegen solchen Schwulst. Nicht so in Peru. So etwas steht so und ähnlich seitenlang in der Zeitung an jedem neuen Tage. Und was das sonderbarste ist: es wird auch gelesen! Freilich nicht von dem Cholo, denn das Lesen und Schreiben ist dessen starke Seite nicht.
Doch das sind alles Betrachtungen, die mich weit abführen von dem Gange meiner kleinen Erlebnisse. –
Nach einigen Wochen nahm meine Beamtentätigkeit ein plötzliches und wenig erfreuliches Ende, und schuld daran war wieder einmal die hohe Politik. Das große »Centennario«, die Jahrhundertfeier der Peruanischen Republik, war in nächste Nähe gerückt, und schon zeigten sich auf der Reede die Kriegsschiffe der fremden Nationen, die von den Enden der Erde gekommen waren, um ihre Aufwartung zu machen. Einer nach dem anderen kamen die grauen Kolosse und ankerten im Hafen. Landfeine Matrosen aus fremden Ländern begannen über die Straßen zu steigen, und den Gastwirten, Heuerbasen und sonstigen Hafenratten lief das Wasser im Munde zusammen, wenn sie den Rebbach errechneten, der hier zu machen war. In allen Arten war hier die Beute vertreten. Englische Tommies mit unwahrscheinlich weiten Hosen, amerikanische