Ardistan und Dschinnistan. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschinnistan - Karl May страница 39
»Ich? Eine wissenschaftliche Frage? Das wäre das erstemal in meinem ganzen Leben! Wie lautet diese Frage?«
»Es ist die Frage, was im Innern eines Menschen vorgeht, der in Ohnmacht gefallen ist.«
»Ohnmacht? Willst Du behaupten, daß ich bewußtlos gewesen bin?«
»Ja.«
»Warum?«
»Infolge des Sturzes.«
»Aber ich bin doch sofort wieder aufgesprungen!«
»So schnell, wie Du denkst, wohl nicht. Ich bin Dir nachgeritten und habe, nachdem ich Dich hier liegen fand, mich zu Dir hergesetzt und eine ziemlich lange Zeit gewartet, bis Dir das Bewußtsein zurückkehrte und Du wieder aufstehen konntest.«
»Das Bewußtsein? Sihdi, sei aufrichtig! Behauptest Du wirklich, daß mir das Bewußtsein zurückgekehrt ist?«
»Allerdings. Es war doch weg, und jetzt ist es wieder da!«
»Nein! Das ist falsch! Es war nicht weg! Du hast es nur nicht sehen können! Es war da! Aber nur bei mir! Nämlich nicht hier außen, sondern drin, im Innern! Da hat es sich das, was außen geschehen ist, noch einmal innerlich betrachtet!«
»Aha! Oberbewußtsein und Unterbewußtsein!« nickte ich mit wichtiger Miene.
Da sah er mich mit bedenklichem Gesichtsausdrucke an und fragte:
»Ober und Unter? Also ein Bewußtsein, das oben und ein Bewußtsein, das unten ist? Was soll das sein?«
»Das sind wissenschaftliche Ausdrücke aus der Müdschewwedet, die Du nicht begreifen kannst.«
Da lachte er laut auf und antwortete:
»Nicht begreifen? Ich? Bilde Dir das ja nicht ein, Sihdi! Wann hätte ich denn einmal etwas nicht begriffen! Ich bin Hadschi Halef Omar, der hochberühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, und begreife alles, unbedingt alles! Über Eure sogenannte Müdschewwedet lache ich! Und ebenso über Eure ganze Wissenschaft! Hörst Du?«
»Ja,« nickte ich.
»Soll ich es Dir erklären?«
»Ich bitte darum.«
»So höre: Mein Bewußtsein, das bist doch nicht Du, sondern das bin ich. Wenn ich mit meinem Bewußtsein hoch oben auf dem Pferde sitze, so ist dies mein Oberbewußtsein. Und wann das Pferd mich mit samt meinem Bewußtsein herunterwirft, so daß ich die Besinnung, den Verstand und alles Höhere verliere, so stürze ich in das Unterbewußtsein, wohin mir kein Pferd, kein Sihdi, kein Effendi, kein Gelehrter und keine Müdschewwedet zu folgen vermag. Wo ich da bin, und was ich da tue, das weiß keiner von Euch, denn niemand hat es bisher entdecken können. Aber wenn es Dir Vergnügen macht, es zu erfahren, so will ich gern mein Möglichstes für Dich und Deine Wissenschaften tun. Ich brauche nur zu warten, bis ich wieder einmal mit einem durchgehenden Pferde aus dem Oberbewußtsein in das Unterbewußtsein stürze und - - - Allah w’ Allah! Schau, Sihdi! Siehst Du es?«
Indem er seine Rede unterbrach, deutete er nach drei Reitern, die plötzlich in einiger Entfernung auftauchten und jetzt anhielten. Es ist nötig, einen Blick auf die Örtlichkeit zu werfen, wo der Vorgang, den ich erzähle, sich abspielte.
Wir befanden uns noch immer auf dem schmalen, von Schmetterlingspflanzen bewachsenen Strich, auf dem ich den Scheik der Ussul gejagt und gefangen genommen hatte. Dieser Strich glich einer früher künstlich angelegten, dann aber verwilderten Schneuße, welche zu beiden Seiten sehr dicht von Bäumen eingefaßt wurde. Hinter uns hatten wir das Lager der Ussul, aber so weit entfernt, daß ein guter Fußgänger wohl über eine Stunde gebraucht hätte, um es zu erreichen, denn unser Ritt war zwar nur ein kurzer, aber außerordentlich schneller gewesen. Vor uns ging dieser schmale Weg nur noch eine Strecke fort, um sich dann, wie es den Anschein hatte, in eine freie Lichtung zu verlaufen. Er wirkte für unsere Augen fast wie ein Fernrohr. Seine Richtung war hier schnurgerade. Das Dunkel der Baumreihen hüben und drüben hielt die Lichtstrahlen fest und klar zusammen. Die Perspektive ließ dieses Rohr scheinbar immer enger werden. Und grad an dem Punkte, wo es da draußen auf die freie Lichtung führte, hielten die drei Reiter wie vor einer Linse, welche ihre Gestalten, ihre Umrisse und Bewegungen außerordentlich bestimmt und deutlich erscheinen ließ. Sie waren aus der Lichtung nach dem schmalen Weg gekommen, sahen in diesen langen Weg hinein und berieten, ob sie ihm folgen sollten oder nicht. Das merkte man aus ihren Bewegungen. Sie kannten also diese Gegend nicht, es waren demnach wahrscheinlich Ussul, die noch nie Gelegenheit gehabt hatten, in diese Gegend zu kommen. Doch durfte ich auch den Fall nicht ausschließen, daß sie überhaupt keine Ussul waren.
Als ihre Beratungen zu Ende waren, setzten sie sich in Bewegung, und zwar auf uns zu. Dies geschah in einer auffälligen Weise. Sie vermieden nämlich die Mitte des Weges, wo sie weit gesehen werden konnten, und hielten sich vielmehr, zwei hüben und der dritte drüben, so nahe an die Bäume des Waldes, daß sie für den Fernblick ganz verschwanden.
»Das sind keine Ussul!« behauptete Halef, als er das sah.
»Auch keine Freunde von ihnen,« fügte ich hinzu. »Sie wollen nicht gesehen werden, kommen also in feindlicher Absicht.«
»Verstecken wir uns?« fragte er.
»Nein. Es ist zu spät dazu. Sie sind zwar noch ziemlich fern, aber sie würden doch wahrscheinlich sehen, daß jemand sich hier bewegt. Setze Dich her zu mir, und unsere Pferde mögen sich legen!«
Er nahm an meiner Seite Platz. Für die zwei wohlgeschulten Rappen bedurfte es nur eines kurzen Befehles, so legten sie sich grad da, wo sie standen, mitten ins Gesträuch. Diese ginsterhohen und ginsterfarbigen Pflanzen verdeckten uns so, daß wir nur aus der nächsten Nähe entdeckt werden konnten.
Die Fremden näherten sich langsam. Wir hatten also genug Zeit, sie genau zu betrachten, noch ehe sie uns erreichten. Es waren zwei bärtige Männer im höheren Alter, doch noch nicht weißhaarig, und ein Jüngling, oder vielmehr ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Ihre Pferde waren nicht so massig wie der famose Smihk oder Nazik, aber doch von einem so schweren, hohen und knochigen Schlage, daß man sie in Deutschland selbst für die Artillerie noch zu ungelenk befunden hätte. Sattel und Zaumzeug waren sehr einfach, von ungefärbtem Naturleder. Von Waffen sah ich Pfeil und Bogen und Messer. Jeder führte Lanze und Flinte, letztere, wie es schien, nach alter, unvorsichtiger Beduinenart, nämlich in ihren Eisenteilen leicht, dünn und unzuverlässig und dabei für so rohes Pulver, daß ein Schuß dem Schützen leicht gefährlicher werden konnte als dem Wilde oder Feinde. Gekleidet waren sie in schreiend gefärbte Stoffe, wie Steppenbewohner sie gern zu tragen pflegen, Hose, Weste, Jacke, einen mantelähnlichen Umhang, Turban, lederne Halbstiefel mit fürchterlichen Sporen, deren blutige Spuren die armen Pferde an ihren Flanken trugen. Die beiden älteren Männer sahen sehr ernst und grämlich aus. Der jüngere, dessen Bart seine ersten Kräuselversuche zu machen schien, hatte ein offeneres Gesicht, in dem ich leider aber später auch die Spuren der Grausamkeit und Hinterlist entdeckte. Seine Begleiter schienen geschorene Köpfe zu haben, unter seinem Turban aber hingen zwei wohlgeflochtene Zöpfe hervor,