Berufung. Timothy Keller
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Künstler, aber auch Unternehmer werden sich leicht mit Niggle identifizieren können. Sie gehen in ihrer Arbeit von oft sehr großen Visionen aus – Visionen einer Welt, die nur sie sich richtig vorstellen können. Nur wenigen von ihnen gelingt es, auch nur einen nennenswerten Teil ihrer Vision umzusetzen, und kaum einer erreicht das Ziel ganz. Und auch all die unter uns, die, wie Tolkien, zu Perfektionismus und Pedanterie neigen, können sich gut mit Niggle identifizieren.
Aber eigentlich ist jeder Niggle. Wir alle möchten so gerne etwas Großes schaffen – und bringen es nicht fertig. Jeder möchte lieber erfolgreich als vergessen sein, jeder möchte die Welt verändern. Aber das haben wir nicht in der Hand, und wenn dieses irdische Leben alles ist, dann wird irgendwann alles zusammen mit der sterbenden Sonne verbrennen und es wird niemanden mehr geben, der sich noch an irgendetwas erinnern kann. Alles wird vergessen sein, und all unser Tun, selbst das beste und edelste, wird umsonst gewesen sein.
Außer es gibt Gott. Wenn der Gott der Bibel existiert und es somit unter und hinter dieser Realität eine echte, ewige Realität gibt und dieses Leben nicht das Einzige ist, dann kann jede Arbeit, selbst die einfachste, die wir als von Gott Berufene tun, die Welt für immer verändern. Das ist ja die Verheißung des christlichen Glaubens: „Nichts ist vergeblich, was ihr für ihn [den Herrn] tut“, schreibt Paulus in 1. Korinther 15,58. Er spricht hier von der Arbeit in der Gemeinde, aber Tolkiens Geschichte zeigt uns, dass dieser Satz letztlich für jede Arbeit gültig ist. Der Christ Tolkien hatte sich darauf eingestellt, jemand zu sein, der in den Augen dieser Welt wenig geleistet hatte. (Ironischerweise schuf er dann ein geniales literarisches Werk, das zu einem der größten Bestseller aller Zeiten wurde.)
Wie ist das mit Ihnen? Nehmen wir an, Sie studieren als junger Mensch Stadtplanung. Warum? Sie mögen große Städte, und Sie haben eine Vision, wie eine „richtige“ Stadt auszusehen hat. Doch Sie werden enttäuscht werden, denn wahrscheinlich werden Sie in Ihrem ganzen Leben nicht mehr als ein „Blatt“ oder allenfalls einen „Zweig“ schaffen. Aber es gibt wirklich ein Neues Jerusalem, eine himmlische Stadt, die einst wie eine geschmückte Braut auf die Erde herabkommen wird (Offenbarung 21–22).
Oder Sie sind Jurist geworden – weil Sie eine Vision von einer Gesellschaft haben, in der Gerechtigkeit, Fairness und Friede herrschen. In zehn Jahren werden Sie ihre Illusionen über Bord geworfen haben, weil Sie sich so sehr für wirklich wichtige Dinge einsetzen möchten, aber das allermeiste von dem, was Sie tun, ist juristischer Kleinkram. Vielleicht werden Sie nur ein- oder zweimal im Leben das Gefühl haben, wirklich etwas Entscheidendes bewirkt zu haben.
Was auch Ihr Beruf ist: Den Baum gibt es wirklich! Was Sie auch suchen in Ihrer Arbeit – die Stadt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen, die Welt der Schönheit, die große Geschichte, die neue Ordnung, die Heilung – es ist wirklich da! Es gibt einen Gott, und es gibt eine neue, heil gewordene Welt, die er schaffen wird, und durch Ihre Arbeit zeigen Sie Ihren Mitmenschen ein Stück davon. Selbst an Ihren allerbesten Tagen wird Ihre Arbeit für diese neue Welt nur Stückwerk sein, aber der ganze große Baum, den Sie suchen – die Schönheit, Harmonie, Gerechtigkeit, Freude und Gemeinschaft –, er wird einmal wahr werden. Und wenn Sie dies wissen, werden Sie nicht verzweifeln, weil Sie in diesem Leben nur ein, zwei Blätter fertigbringen. Sie werden mit Befriedigung und Freude arbeiten. Ihre Erfolge werden Ihnen nicht zu Kopf steigen, an Ihren Niederlagen werden sie nicht zerbrechen.
Ich habe gerade gesagt: „Wenn Sie dies wissen.“ Wenn Sie so arbeiten wollen, wenn Sie in Ihrer Arbeit den gleichen Trost und die gleiche Freiheit erfahren wollen, die Tolkien durch seinen christlichen Glauben bekam, müssen Sie die Antworten der Bibel auf drei Fragen kennen.
Erstens: Warum wollen wir arbeiten? (Warum brauchen wir Arbeit, um ein erfülltes Leben zu haben?) Zweitens: Warum ist das Arbeiten so schwer? (Warum kommt es uns oft so fruchtlos, sinnlos und schwierig vor?) Und drittens: Wie können wir mit den Schwierigkeiten fertigwerden und durch das Evangelium Befriedigung in unserer Arbeit bekommen? Der Rest dieses Buches versucht, Antworten auf diese drei Fragen zu geben, und ist entsprechend in drei Teile gegliedert.
Kapitel 1
Zum Arbeiten geschaffen
So waren nun Himmel und Erde erschaffen, und nichts fehlte mehr. Am siebten Tag hatte Gott sein Werk vollendet und ruhte von seiner Arbeit aus. Darum segnete er den siebten Tag und sagte: „Dies ist ein ganz besonderer, heiliger Tag! Er gehört mir.“ … Gott, der Herr, setzte den Menschen in den Garten von Eden. Er gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und zu schützen. (1. Mose 2,1-15)
Am Anfang war die Arbeit
Gleich auf den allerersten Seiten äußert sich die Bibel zum Thema „Arbeit“ – so wichtig und fundamental ist das Arbeiten. Der Verfasser der Genesis (1. Buch Mose) beschreibt das gewaltige Projekt der Erschaffung der Welt durch Gott als Arbeit,20 und zwar eine Arbeit, die sich innerhalb einer normalen Arbeitswoche von sieben Tagen vollzieht.21 Und dann zeigt er uns die Menschen im Paradies – wie sie arbeiten. Diese Sicht der Arbeit – die Verbindung der Arbeit mit der Erschaffung der Welt durch Gott und dem Sinn des menschlichen Lebens – ist unter den großen Religionen und Glaubenssystemen der Welt einmalig.
Der ganze Schöpfungsbericht der Genesis ist einzigartig unter den antiken Schöpfungsgeschichten. Viele alte Kulturen haben Geschichten, die den Anfang der Welt und der Menschheitsgeschichte als Ergebnis eines Kampfes zwischen verschiedenen kosmischen Kräften darstellen. In dem babylonischen Schöpfungsmythos, dem Enuma Elisch, besiegt der Gott Marduk die Göttin Tiamat und erschafft aus ihren Überresten die Welt. In diesem und ähnlichen Texten befindet sich das sichtbare Universum in einer prekären Balance einander widerstreitender Mächte.22 In der Bibel dagegen ist die Schöpfung nicht das Ergebnis eines Konflikts, denn Gott hat keine Rivalen; alle Mächte und Wesen im Himmel und auf Erden sind von ihm erschaffen und von ihm abhängig.23 Die Schöpfung ist nicht das Ergebnis eines Kampfes, sondern der Plan eines genialen Meisters. Gott hat die Welt nicht wie ein Soldat geschaffen, der einen Schützengraben aushebt, sondern wie ein Künstler, der ein Meisterwerk fertigt.
Zur griechischen Schöpfungsmythologie gehört die Vorstellung, dass die Menschheit durch verschiedene „Zeitalter“ geht und dass das erste Zeitalter das „Goldene Zeitalter“ war, in welchem Menschen und Götter harmonisch zusammen auf der Erde lebten. Auf den ersten Blick erinnert dies vage an den Garten Eden, aber es gibt da einen gewichtigen Unterschied: Der griechische Dichter Hesiod schreibt, dass im Goldenen Zeitalter weder Menschen noch Götter arbeiten mussten, da es in diesem Urparadies Nahrung für alle in Hülle und Fülle gab.24 Der Gegensatz zur Bibel könnte nicht größer sein. Ihre ersten Kapitel beschreiben wiederholt Gott als „arbeitend“; sie benutzen dazu das hebräische Wort mlkh, das sonst ganz gewöhnliche menschliche Arbeit bezeichnet. „Es ist“, so Gordon Wenham in seinem Genesis-Kommentar, völlig „unerwartet, dass das außerordentliche göttliche Handeln bei der Erschaffung von Himmel und Erde so beschrieben wird.“25
Am Anfang – hat Gott gearbeitet. Arbeit ist also nicht ein notwendiges Übel, das erst später in die Welt kam, oder etwas, das halt für den Menschen bestimmt ist, aber unter der Würde des großen Gottes liegt. Nein, Gott selber hat gearbeitet – aus Spaß an der Freude, wenn man so will. Einen noch höheren Ursprung der Arbeit kann es nicht geben.
Wie Gott arbeitet
Es ist bemerkenswert,