Evas Geschichte. Eva Schloss
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Evas Geschichte - Eva Schloss страница 10
»Verfluchte Juden! Das sind sie«, rief einer.
Wie betäubt standen wir da. Sie gaben uns nicht einmal Zeit, ein paar Dinge einzupacken, sondern stießen uns einen nach dem anderen grob die Treppen hinunter und hinaus auf die Straße, Richtung Gestapo-Hauptquartier, das nur ein paar Straßen von uns entfernt lag.
Mutti, nur von dem Gedanken besessen, mich zu retten, packte einen holländischen Nazi, der neben ihr herging, am Arm und versuchte ihm einzureden, dass ich nicht jüdisch sei. Er stieß sie weg, aber sie hörte nicht auf, auf ihn einzureden.
»Meine Tochter ist keine Jüdin«, beteuerte sie. »Ich hatte eine Affäre mit einem Nicht-Juden, meinem Zahnarzt … sie ist wirklich seine … in ihren Adern fließt kein jüdisches Blut.«
Aber es hatte keinen Zweck. Die Gesichter unserer Bewacher blieben finster und unerbittlich. Sie hatten gefunden, was sie suchten, der Sieg war ihrer.
Als wir bei dem roten Backsteinbau der ehemaligen Grundschule ankamen, jetzt das Gestapo-Hauptquartier, scheuchte man uns in einen Warteraum, in dem schon andere Menschen standen oder saßen, die man im Zug der Razzia ebenfalls festgenommen hatte.
Bewaffnete Soldaten bewachten die Tür, die Fenster waren geschlossen, und aufgereiht an den Wänden befanden sich Holzstühle, auf denen vereinzelt Gefangene saßen und auf den Boden oder ins Leere starrten. Niedergeschlagen und mutlos gesellten wir uns zu ihnen. Niemand sah auf oder versuchte, mit uns Kontakt aufzunehmen. Ich war zu angespannt, um zu weinen. Ich setzte mich in eine Ecke zu Mutti, die mir zuflüsterte: »Wieso?« Wir konnten immer noch nicht fassen, wie das hatte geschehen können. Wir waren vollkommen überrumpelt worden – wir hatten uns so sicher gefühlt. Natürlich kannten wir den Hass der Nazis auf die Juden, aber wir hatten keine Sekunde an den Fähigkeiten der Leute in der Untergrundorganisation gezweifelt und uns ihnen völlig anvertraut. Stundenlang saßen wir da und warteten.
Einer nach dem anderen wurde aufgerufen und weggebracht. Einige kamen wieder zurück, um weiter zu warten, andere blieben verschwunden. Keiner sagte ein Wort. Hin und wieder weinte eine der Frauen leise, aber niemand tröstete sie, und keiner fragte die, die wieder zurückgekommen waren, was geschehen war … keiner wagte es.
Gelegentlich hörten wir Schreie aus dem nächsten Zimmer. Wir hörten, wie Menschen geschlagen wurden, weinten, vor Schmerz schrien und wie die Deutschen herumbrüllten. Wie angewurzelt saßen wir auf unseren Stühlen, eingeschüchtert von dem, was sich nebenan abspielte.
Dann kam Mutti an die Reihe. Sie drückte meine Hand, bevor man sie abführte. Angestrengt lauschte ich, aber es war nichts zu hören. Etwa eine halbe Stunde saß ich so da. Dann holten sie mich.
Ein Polizist in grüner Uniform (Grüne Polizei) brachte mich in ein spärlich möbliertes Zimmer, in dem ein Hitler-Bild an einer Wand hing. Vor zwei Gestapo-Offizieren, die an einem großen Schreibtisch saßen, musste ich strammstehen. Die beiden sahen mich eindringlich an, ehe einer von ihnen mich auf Deutsch ansprach.
»Wenn du uns alles sagst, was wir wissen wollen, bist du bald wieder bei deiner Mutter«, sagte er.
»Auch deinen Vater und deinen Bruder wirst du bald wiedersehen«, fügte der andere hinzu. Mir blieb fast die Luft weg. Sie hatten also auch Papi und Heinz.
»Meinen Vater und meinen Bruder?«, platzte ich heraus und ärgerte mich noch im selben Augenblick über meine Dummheit. Tränen brannten in meinen Augen, aber ich wollte mir nichts anmerken lassen. Ich war fest entschlossen, ihnen kein Sterbenswörtchen zu sagen.
»Natürlich haben wir die auch«, sagte der Offizier und grinste selbstgefällig.
Auf einmal begann ich am ganzen Körper zu zittern. Die beiden verhörten mich auf Deutsch und brüllten mich dabei fortwährend an; ein Feuerwerk von Fragen prasselte auf mich nieder. Ich hatte schreckliche Angst.
»Wie lange bist du schon bei den Reitsmas?«
»Wir haben sie nur besucht«, antwortete ich.
»Wo habt ihr euch versteckt gehalten?« Nebenbei schoben sie sich Papiere zu.
»Ich weiß nicht«, log ich. »Wir sind im Dunkeln angekommen. Es war ein Haus in Amsterdam, aber wo genau, das weiß ich nicht.«
»Von wem hast du deine Lebensmittelkarte bekommen?«
»Woher hat deine Mutter das Geld?«
»Wer hat euch geholfen, Unterschlupf zu finden?«
Ich gab vor, nichts von alledem zu wissen. Irgendwie mogelte ich mich durch, ohne etwas zu verraten. Ich gab zu, am Merwedeplein gewohnt zu haben, aber sie wussten, dass jemand uns versteckt gehalten hatte. Unsere Vermieterin beschrieb ich als kleine, etwas pummelige, ältere Frau – genau so eben, wie Frau Klompe nicht war, deren Namen ich natürlich nicht kannte.
Nach einer Weile gaben sie auf und schickten mich zurück in den Warteraum. Mutti war nicht da. Ich setzte mich und war sehr stolz auf mich. Ich dachte, was für eine gute Vorstellung ich ihnen geliefert hatte, als ich von nebenan zwei vertraute Stimmen hörte, zuerst die von Papi, dann die von Heinz. Sie sprachen laut und hastig. Dann hörte ich herzzerreißende Schreie, denen ein entsetzliches Schweigen folgte.
Hatte ich das wirklich gehört oder war es ein schreckliches Hirngespinst meiner überreizten Fantasie? Ich konnte es nicht fassen. Ich dachte, die Gestapo wollte bluffen, damit ich mich verriet. Angestrengt horchte ich, aber es rührte sich nichts mehr. Mir wurde schlecht vor Angst.
Nach einer Weile riefen sie mich wieder zu sich. Und wieder stand ich alleine vor den beiden Gestapo-Offizieren. Diesmal sah mich der ältere von den beiden scharf an und sagte: »Wenn du dich weiterhin weigerst, mit uns zusammenzuarbeiten, werden wir deinen Bruder zu Tode foltern.«
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Stumm wie ein Fisch starrte ich sie an und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Wir zeigen dir, was wir mit ihm machen werden«, fuhr er fort und nickte jemandem hinter mir zu.
Ich fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen, als der erste Schlag mit einem Gummiknüppel auf meinen Schultern landete. Plötzlich war mir klar, dass das hier alles wirklich passierte, dass es kein Albtraum war, sondern Realität. Wieder und wieder prasselten Schläge auf mich nieder. Unerbittlich. Ich versuchte die Schläge mit meinen Armen abzuwehren, aber umsonst. Ich wusste, dass sie meine Schmerzensschreie hören wollten, um damit meinen Vater und meinen Bruder nebenan zum Reden zu bringen. Solange ich konnte, hielt ich aus, aber schließlich schrie ich auf. Ich hörte, wie Laute aus meinem Innersten kamen, über die ich keine Kontrolle hatte.
Sobald sie das Gefühl hatten, ich hätte genug geschrien, hörten sie auf. Man brachte mich in einen anderen Raum, in dem Männer und Frauen saßen, die man auf ähnliche Weise behandelt hatte. Einige hatten blaue Flecken und Platzwunden im Gesicht; die Kleider waren mit Blut besudelt. Sie sahen alle elend und geschwächt aus.
Den ganzen Tag lang, an meinem fünfzehnten Geburtstag, hielt man mich ohne Essen und Wasser in einem Raum gefangen. Nebenan wurden Menschen verhört, eingeschüchtert, erpresst und geschlagen. Das ging bis zum Abend.
Draußen war es schon dunkel, als