Die Hauptstadt des Sex. Michaela Lindinger

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Die Hauptstadt des Sex - Michaela Lindinger

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ist dem Frühling zugeordnet: der Veilchenschwank. Neidhart hat das erste Veilchen des Frühjahrs gefunden. Er bedeckt es mit seinem Hut, damit er es später wieder finden kann. Er will nämlich einem alten Brauch folgend die Herzogin (!) und ihr Gefolge zur Fundstelle führen, damit die hohe Frau das Veilchen pflücken kann: Als Zeichen für viele Nachkommen und ein langes Leben. Leider hat in der Zwischenzeit einer der wiederholt vorkommenden tölpelhaften Dörfler dem Neidhart einen Streich gespielt:

      Neidhart, sollst hier von mir wissen,

      dass ich das Veilchen hab beschissen (…)

      Die Frühlingslandschaft wird durch die zartgrüne Farbgebung und einige rote Blumen in der Wiese dargestellt. Ein Mann hat seine Arme entsetzt hochgereckt, er ist derjenige, der die fäkalische Untat entdeckt hat. Rechts von ihm sieht man eine größere Fehlstelle: dort muss man sich den Sch…haufen und die empörte Herzogin vorstellen.

      Danach bietet sich dem Betrachter die älteste Wiener Tanzund Musikszene überhaupt: Ein erhöht stehender Schalmeienspieler folgt einigen Händchen haltenden Paaren, die einen Rundtanz aufführen. Ein Vortänzer trägt einen Tanzstab, wohl einen blühenden Zweig, der wiederum auf die Fruchtbarkeit der jungen Paare hinweisen soll. Heute ist der Ursprung des Tanzes ein wenig in Vergessenheit geraten, aber die feiernden Gäste des Herrn Menschein verstanden die Botschaft an der Wand ohne weitere Erklärungen.

      Der deutsche Schriftsteller Eduard Fuchs fasste die Bedeutung des Tanzes einmal so zusammen: »Der Tanz war und ist niemals etwas anderes als in stilisierte Rhythmik umgesetzte Erotik: Buhlen, Werben, Weigern, Versprechen und Erfüllen.« Bereits die frühen Menschen sahen im Tanz einen starken Ausdruck sexueller Hingabe, nicht nur ein erotisches Vorspiel, sondern eine Art Liebesunterweisung durch pantomimische Darbietungen.

      Tugendhaftigkeit, Ehrbarkeit, Schamhaftigkeit – Attribute, wie sie christliche Autoritäten den Frauen des Mittelalters zuzuschreiben gedachten, waren im Ballsaal nicht gefragt. Hier ging es um das sinnliche Ausleben der Sexualität, was offiziell nur den Männern zugestanden wurde und auch diesen nur im Umgang mit Prostituierten. In einer »anständigen« ehelichen Beziehung hatte Erotik nichts zu suchen. Sex diente einzig und allein der notwendigen Zeugung von Nachwuchs.

      Mönche verfassten Bußkataloge, die sehr aufschluss- und detailreich über Sexualpraktiken informieren. Oral- und Analverkehr (»wie es die Hunde tun«) waren demnach üblich, ebenso der Coitus interruptus. Allerdings durften alle genannten Praktiken von Christen nicht ausgeübt werden. Bei Verstoß mussten Delinquent und/oder Delinquentin genau vorgeschriebene Bußübungen verrichten (Ernährung nur von Wasser und Brot, hohe Almosenspenden …). Lust und Erotik sollten den christlichen Schäfchen gründlich ausgetrieben werden.

      Sowohl in der Ehe als auch beim Tanz war die Frau das Objekt. Der Mann führt, er bewegt sich in den Schritten vorwärts, sie weicht nach hinten aus. Bei manchen Tänzen legt sich der Mann regelrecht auf die Frau, etwa beim Tango. Praktisch jeder Tanz ist ein ritualisiertes Duell um den sexuellen Besitz, in dem der Sieger von vornherein feststeht. Es geht um Werbung und Annäherung, die immer zum körperlichen Besitz der Frau führt. Bis vor nicht allzu langer Zeit gab es Tänze, die man nur mit einer Prostituierten oder ihrem Beinahe-Äquivalent, der Geliebten, tanzte – niemals jedoch mit der angetrauten Ehefrau. Der Tango etwa wurde erst nach 1911 gesellschaftsfähig, nachdem er in Europa angekommen war. In Argentinien tanzten ihn die Männer nur mit einer Frau, mit der sie ganz sicher nicht verheiratet waren.

      Unverzichtbar bei einer Tanzveranstaltung war die Musik mit passenden erotischen Texten, die die sexuelle Erregung noch mehr betonen sollten. Auffällige Kleidung mit fantasievollem Schmuck sowie sinnliche Parfums wurden bestimmt auch von den in den Festsaal geladenen Frauen eingesetzt, um die Stimmung zu heben und die Aufmerksamkeit der männlichen Tischgesellschaft auf sich zu ziehen.

      Symbol für den Herbst ist ein Festmahl. Ein Mann unter einem Baldachin stemmt einen Krug und einen Bratspieß. Im Lied »Neidharts Gefräß« heißt es:

      Des loben wir den Herbst gut

      (…)

      Durch den kragen

      Muß alles faren

      Wir wollen achten dass wir nichts sparen

      (…)

      Last frölich leben

      Umb hin geben

      Offt aufheben von den Reben (…).

      »Wein, Weib und Gesang« zeigen im Fall der »Neidhart-Fresken« ein anderes, gar nicht »finsteres« Wiener Mittelalter. Auf Stillstand, Grausamkeit und Ignoranz lassen sich die 1000 Jahre des Mittelalters zwischen 500 und 1500 nicht reduzieren. Und Keuschheitsgürtel waren im Gegensatz zu einer heute weit verbreiteten Legende damals nicht bekannt.

      Die Malereien in den Wiener Tuchlauben sind eine der sehr spärlichen weltlichen Quellen über mittelalterliche Liebe und Sexualität. Die Bilder sind von Männern erdacht und führen deren Wunschbilder und Idealvorstellungen vor. Der Ballsaal des Herrn Menschein war ein Platz hauptsächlich männlicher Zusammenkünfte. Frauen waren wohl nur als Servierpersonal und wahrscheinlich zur (erotischen) Unterhaltung der Gäste zugegen.

      LIEBE ODER EHE?

      Das in der Antike als Liebe bekannte Wort »amor« hat in mittelalterlichen Überlieferungen ganz andere Bedeutungen: Es bezeichnet entweder das körperliche Begehren (damals eine rein männliche Eigenschaft) oder den Reichtum einer »guten Partie«; später auch die Liebe zu Gott (»Seelenbrautschaft«). Weiters gab es noch die höfische Liebe, die in den neumodischen Liebesromanen eine große Rolle spielte. Es handelte sich dabei um eine Literaturgattung, die seit dem Aufstieg des Christentums verschwunden war. Die letzten Liebesromane, die man in Europa kannte, stammten aus der Spätantike.

      Ehe hatte mit Liebe weder im Mittelalter noch in den folgenden Jahrhunderten etwas zu tun. Im Gegenteil. Romantische Liebe unter Paaren im heutigen Verständnis ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sehr wohl aber hatte Ehe mit Sex zu tun. Ehe und Sexualität waren praktisch eins.

      »Ehe« geht auf das Wort »ewa« zurück, das schlicht »Recht« oder »Gesetz« bedeutet. Hochzeiten wurden von den Familienvätern nach wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gesichtspunkten vereinbart. Sie fanden in der Kirche statt. Frauen unterschiedlichster gesellschaftlicher Herkunft hatten im Mittelalter eines gemeinsam: Juristisch gesehen waren sie ihr Leben lang Unmündige. Die »Munt« hatte der Mann über die Frau. Aus der »Munt« ging das Wort »Vormund« hervor. Der Herr im Haus war der Vater oder Ehemann, die Tochter oder Ehefrau war ihm zu Gehorsam verpflichtet. Rechtsgeschäfte, die sie betrafen, schloss ausschließlich der Mann ab, er verwaltete auch das von der Frau in die Ehe mitgebrachte Vermögen.

      Nicht-konfessionell geschlossene Ehen waren in Österreich bis 1938 nicht möglich. Obwohl als wichtigste Aufgabe der Ehefrau die Produktion möglichst vieler Kinder definiert war, könnte man sich fragen, wie unsere Vorfahrinnen das bewerkstelligt haben – bei Regelwerken wie diesen: »Wegen der geisttötenden Gewalt des Geschlechtsverkehrs« – so eine religiöse Quelle – sollten Eheleute an folgenden Tagen keinen Sex haben: 20 bis 40 Tage vor Weihnachten. 40 Tage vor Ostern. Zwei Wochen vor und eine Woche nach Pfingsten. In allen Nächten von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag. Vor einem und an einem Feiertag. An den wöchentlichen Bußtagen – also an jedem Mittwoch und Freitag. Hatte man vor, zur Kommunion zu gehen, kamen noch die drei Nächte davor dazu. Besonders bemerkenswert: Im Mittelalter wurde empfohlen, die Hochzeitsnacht sowie die ersten drei Tage nach der Trauung sexuell enthaltsam zu verbringen. Vermutlich wegen Undurchführbarkeit nahm die Kirche später von diesem frommen

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