Die Hauptstadt des Sex. Michaela Lindinger

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Die Hauptstadt des Sex - Michaela Lindinger

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Hygiene der Städte, die zu Fieber und Infektionen führten – von diesen Zusammenhängen wusste man nichts. Oft unter schwierigsten hygienischen Bedingungen standen kundige Menschen den Schwangeren zur Seite. Es sind Fälle belegt, wonach Hebammen sogar während der Pestepidemien in verseuchte Häuser kamen, um ihre Tätigkeit auszuüben. Eine Geburt konnte Leben bringen, aber eben auch den Tod. Kaiserschnitte zum Beispiel wurden nur vorgenommen, wenn die Mutter bereits gestorben war und Angehörige verlangten, dass der Säugling – der bei so ungünstigen Bedingungen meist auch starb – rasch getauft werden sollte. Ein Kaiserschnitt bei einer noch lebenden Frau endete fast immer letal. Die Infektionsgefahr und der hohe Blutverlust machten meist alle Hoffnungen zunichte. Christliche Frauen beichteten oft noch kurz vor dem Ableben ihre Sünden der Hebamme, die in diesem besonderen Fall die Absolution erteilen durfte. Auch die Kindersterblichkeit dürfte sehr hoch gewesen sein. Konkrete Quellen fehlen zwar, doch schätzen Mediävisten, dass bis zu 50 Prozent der Neugeborenen das Kleinkindalter nicht überlebten. Die häufigste Todesursache bei Säuglingen und Kleinkindern waren die »Fraisen« – dazu zählte man alle Arten von fiebrigen Krampfanfällen mit Todesfolge. Hervorgerufen wurden sie – was damals niemandem klar war – durch einen schweren Kalkmangel bei den Babys. Dieses Defizit war eine Folge der ununterbrochenen Schwangerschaften der Mutter. Die Hebammen kamen zu den Patientinnen und leisteten Beistand, hörten zu, setzten sich mit den Leidenden auseinander. Sie nahmen sich Zeit, bezogen die Kranken in ihre Beschwörungen mit ein und gaben ihnen Halt.

      Im Mittelalter waren nicht nur die praktische Heilmedizin und die Geburtshilfe, sondern auch die Sterbebegleitung bis zum Waschen und Ankleiden der Toten vornehmlich Sache der Frauen. Die Heilende – das war die Frau. Paracelsus, der 1541 in Salzburg starb, meinte, man könne bei den alten Frauen und auch beim fahrenden Volk mehr lernen als bei den – durchwegs männlichen – Gelehrten an der Universität. Ärzte mit universitärer Ausbildung waren im Mittelalter ohnehin nur den wirklich Reichen und Mächtigen vorbehalten. In der Trotula, einer Sammlung von Schriften zur Gynäkologie aus dem 12. Jahrhundert, kann man lesen, dass auch Eingriffe bei Risikogeburten oder ein Dammschnitt zum Aufgabenbereich von Hebammen, nicht von Ärzten, gehörten. Dennoch bekamen die meisten weisen Frauen dieses und ähnliche Bücher kaum zu Gesicht, sie wussten auch gar nichts von deren Existenz. Kaum eine von ihnen konnte lesen und schreiben. Sie verließen sich auf ihre Erfahrungspraxis und die Familienüberlieferung. Erst im Spätmittelalter wurden in Spitälern »Geburtsstationen« eingerichtet, in denen Hebammen den Gebärenden zur Hand gingen. Der Normalfall jedoch blieb die Hausgeburt.

      Das Wissen um Empfängnis und Schwangerschaft, Abtreibung, Empfängnisverhütung, Menstruation, Frauen- und Kinderkrankheiten, aber auch Impotenz und Altersbeschwerden wurde innerhalb der weiblichen Familienmitglieder weitergegeben. Die Arzneimittel wurden auf Basis von Kräutern und Drogen selbst hergestellt. Ein Sud aus »Stink-Wacholder, Selleriewurzel, Fenchel, Liebstöckel und Petersilie in Wein« mag wohl unter der Hand seine Besitzerin gewechselt haben. Schon im 9. Jahrhundert wurde dieses Getränk empfohlen, um eine unerwünschte Schwangerschaft zu beenden. Kirche und weltliche Gesetzgebung verboten Abbrüche. Bei Entdeckung drohten sowohl der Herstellerin solcher Trünke als auch der Anwenderin schwerwiegende Konsequenzen bis zur Todesstrafe.

      Unter den von Paracelsus erwähnten fahrenden Heilkünstlern befanden sich zahlreiche Frauen, die auf Jahrmärkten oder Festen ihre Dienste anboten. Diese »Spezialisten«, oft mehr Schausteller als Heilkundige, kamen mit großem Brimborium in die Städte und priesen ihre Künste mit übertrieben viel Reklame an. Wenn sich Zahnreißer, Bruch- und Hodenschneider, Starstecher und Wundermittelverkäufer versammelten, zogen sie eine Show ab, die die Neugierde und den Voyeurismus des Publikums bediente. Sie versprachen das Blaue vom Himmel und waren längst weg, sollte der Schwindel auffliegen. Sebastian Brant, Autor des Narrenschiffs (1494), warnte: »Des Quacksalbers Praktik sei so gut, dass sie allen Siechtum heilen tut (…). Solch Narr kann dich in’n Abgrund stürzen, eh du’s gemerkt, dein Leben kürzen!«

      Es kam vor, dass sich die Obrigkeit für die gescholtenen »Ärzte« einsetzte. Schließlich war es für die Herrscher von Vorteil, wenn die ihnen unterstellten Soldaten Vertrauen zu den Feldchirurgen hatten. So erklärte König Wenzel im Jahr 1406 grundsätzlich alle Bader und Barbiere für »ehrlich«. Im Gegensatz etwa zu den Scharfrichtern – dieser Beruf war »unehrlich«, daher sollten Henker gemieden werden. Dennoch wandten sich Kranke häufig an die Scharfrichter, da allgemein bekannt war, dass diese über gute anatomische Kenntnisse verfügten. Schließlich gehörte es zu den Aufgaben des Henkers, Angeklagte, die für unschuldig befunden wurden, in den »Urzustand« vor der Folter zurückzuversetzen. Er war verpflichtet, ausgerenkte Knochen wieder einzurenken.

      Die in entlegenen Gegenden noch verbliebenen »Wehmütter« wurden im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr an den Rand der (männlichen) medizinischen Wissenschaft gedrängt. Parallel dazu wurde das natürliche Geschehen von Schwangerschaft und Geburt in der allgemeinen Wahrnehmung zu einer »Krankheit«, die im Spital behandelt werden musste. Damit einher gingen die Zurückdrängung der Frauen aus eigenverantwortlichen Tätigkeiten zugunsten der Männer sowie bis heute wahrnehmbare Prozesse wie die Ausgrenzung von Geburt und Tod aus dem familiären Bereich.

      Bis vor etwa 250 Jahren brachten Schwangere ihr Kind sitzend zur Welt, entweder auf einem Gebärstuhl oder in den Armen einer Helferin. Bei wohlhabenden Hochzeiten gehörte ein Gebärstuhl zu den Geschenken für die Braut. Weniger vermögende Leute baten die Hebamme, einen einfachen Stuhl mitzubringen. Die heute großteils übliche horizontale Gebärhaltung in Rückenlage wurde erst im 19. Jahrhundert von den Schulmedizinern festgesetzt. Diese männlichen Ärzte, die in das lange rein weibliche Feld der Geburtshilfe drängten, diskreditierten die Hebammen meist als ungebildet. Auch die gebärenden Frauen galt es zu überzeugen. Viele wünschten anfangs keinen Mann im Raum und lehnten auch den Gang oder die Fahrt ins Krankenhaus ab. Die universitär ausgebildeten Gynäkologen wandten sich jedoch strikt gegen die Hausgeburt und den altbewährten Gebärstuhl. Seit den 1970er-Jahren finden natürliche Methoden der Geburt in sitzender Haltung sowie andere als »alternativ« geltende Methoden wieder vermehrt Zuspruch.

      »FRAU UND FREI«

      Beruflich selbstständige Frauen des Mittelalters suchten sich die in ihrem Leben oft hart erkämpfte Autonomie zu bewahren, eine Autonomie, die sie mit den sogenannten »freien Frauen« oder »freien Töchtern« teilten. Die euphemistisch so bezeichneten Frauen standen jedoch am unteren Rand der mittelalterlichen Gesellschaft und waren nicht wirklich »frei«. Sie arbeiteten als Prostituierte, gingen der Sexarbeit nach. »Frei« waren sie in dem Sinn, als sie in bestimmten privaten Bordellen tätig waren und sich somit ihre Freier bis zu einem gewissen Grad selbst aussuchen konnten. Verheiratet waren sie im Allgemeinen nicht, somit also »frei« von der Herrschaft eines Vaters oder Ehemannes. Manche Sexarbeiterinnen empfanden ihr Leben wohl tatsächlich als »frei«, auch wenn es nicht als selbstbestimmt angesehen werden konnte.

      Eine der berühmtesten Kurtisanen des Second Empire, die Engländerin Cora Pearl, schrieb in ihren Memoiren, sie habe niemanden enttäuscht, denn sie habe nie jemandem gehört. Selbst im Alter, als ihre große Zeit längst vorüber war und sie ein relativ einfaches Dasein führte, bezeichnete sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit als ihr tägliches Lebenselixier. Doch auch auf ihr lasteten ökonomische Zwänge, die sie den zahlenden Männern in die Arme trieben.

      »Huer« war im Mittelalter bereits als Schimpfwort bekannt, wie das Verbot des Wortes »Hurensohn« im Jahr 1192 zeigt.

      Mittellose Frauen wurden mit gewerbsmäßigen Sexarbeiterinnen häufig auf eine Stufe gestellt. Sex ohne Ehe kam in den Unterschichten dauernd vor, denn für Personen ohne Vermögen und Besitz war eine Heirat nicht möglich. Junge Paare lebten zusammen, Mädchen suchten sich Beschützer. Die von Kirche und Klerus eingeforderte Keuschheit stand in grellem Widerspruch zur Wirklichkeit. Bordelle und Badestuben boomten im Mittelalter.

      Professionelle Sexarbeiterinnen erkannte man in Wien im Allgemeinen an einem auffällig gelben Kleidungsstück, etwa einem Tüchlein

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