Angela Autsch. Annemarie Regensburger

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Angela Autsch - Annemarie Regensburger

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       ANGELA AUTSCH

       Der Engel von Auschwitz

      Eine literarische

      Biografie von

       ANNEMARIE REGENSBURGER

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       Inhalt

       Erster Teil

       Zweiter Teil

       Dritter Teil

       Vierter Teil

       Anmerkungen

       Erster Teil

      „Ein Rad, Mariechen, schau ein Rad“, ruft Amalia, als sie ihrer Schwester ein Glas Wasser in den Gemüsegarten bringt. Marie sieht auf, fährt sich mit der Hand über ihre heiße Stirn, stolpert über den Kübel voll Bohnen, den sie soeben gepflückt hat, und läuft, so schnell sie kann, dem jungen Mann, der eben mit seinem Fahrrad vorbeifährt, hinterher. Dieses hat vorne ein großes und hinten ein kleineres Rad. Marie klatscht in die Hände, lacht und ruft dem Mann nach, der sie fröhlich zurückgrüßt. Sie bleibt stehen, streicht sich über die Augen und sieht den Fahrradfahrer um die Ecke verschwinden.

      Ein Rad, noch nie hat sie ein Rad gesehen.

      Sie kommt in den Garten zurück und sagt zu ihrer Schwester: „Du, Amalia, ich möchte auch einmal so ein Rad haben. Da kommt man viel schneller voran und lustig ist das Radfahren sicher auch noch dazu. Wie schnell sich die Räder drehen! Sobald ich selber ein Geld verdiene, werde ich mir eines kaufen.“

      Noch kann sie nicht ahnen, wohin sie einmal die ratternden Räder eines Zuges bringen werden. Ihre kleine Welt ist noch heil.

      Die Mama kommt bei der Haustüre heraus und ruft: „Mariechen, was machst du denn, bist du nicht beim Bohnenpflücken?“

      „Doch, Mama, entschuldige, ein Mann ist soeben mit einem Fahrrad vorbeigefahren. Mama, ein richtiges Rad, das sich bewegt. So eines möchte ich auch!“

      „Ach, Mariechen“, seufzt die Mama, „ein Rad kostet viel Geld. Du weißt, wir müssen sparen, komm jetzt, komm, es ist Mittagszeit.“

      Marie läuft mit ihrer Schwester Amalia ins Haus. Ihre Schwester Gertrud kommt aus der Waschküche. Die Mama zerrt die kleineren Brüder Wilhelm und Franz zum Wassertrog. „Wascht euch die Hände, ihr Lausbuben. Wo habt ihr nur wieder gesteckt?“

      Maries älteste Geschwister Elisabeth und August sind bereits im Dienst. Auch der Vater kommt nicht zum Mittagessen. Er arbeitet bei den Westfälischen Kalkwerken als Maschinist bei der Werkskleinbahn.

      Alle anderen setzen sich jetzt um den Tisch. Marie greift zu einem Gebetbuch in der Ecke, streicht zärtlich über den Umschlag und schlägt ein Gebet auf. Die Mama und die Geschwister falten ihre Hände und hören auf Maries eindringliche Stimme. Danach steht die Mama auf, holt die Schüssel mit dem Essen, schüttelt leicht ihren Kopf und denkt bei sich: „Was wird wohl einmal aus diesem Mädchen werden?“

      Doch Marie weiß dies bereits. Vier Monate zuvor, am 14. April 1912, ging sie zur Erstkommunion. Das war ein Fest! Am Vorabend hatte ihr die Mama mit der Brennschere Stopsellocken gemacht, die sie für die Nacht mit einem Haarnetz schützte. Als dann am Morgen der Zug der Erstkommunionkinder von der Schule in die Kirche ging, leuchteten Maries kupferrote Haare besonders schön in der Morgensonne. Die Musikkapelle spielte, Marie klopfte ihr Herz, denn Jesus im Brot zu empfangen, war das bisher größte Geschenk in ihrem Leben.

      Als sie von der Kommunion in ihre Bank zurückkommt und die Hände vor das Gesicht schlägt, bittet sie Jesus: „Bitte, bitte, schenk mir die Gnade, dass ich Ordensschwester werden kann.“ Ihr Herz ist so übervoll, dass sie diese Bitte ihrer um sechs Jahre älteren Schwester Elisabeth anvertraut.

      Nach dem Essen läuft Marie schnell in die Kammer, die sie mit ihren Schwestern teilt, und kniet sich vor dem kleinen Altar auf ihrer Kommode, den sie seit ihrer Erstkommunion immer mit frischen Blumen schmückt, hin und sagt: „Jesus, ich weiß, dass du immer bei mir bist, ganz gleich was ich mache. Wir sind wie zwei Wassertropfen, die im Meer deiner großen Liebe ineinander aufgehen.“

      Schnell wirft sie noch einen Blick auf das Marienbild, das sie bei der letzten Wallfahrt nach Kohlhagen, die sie mit ihrer Familie im Mai gemacht hat, bekommen hat. Maria und Jesus, das sind ihre zwei Verbündeten, von denen sie sich beschützt fühlt.

      22 Jahre später möchte Marie ihre Liebe zu Jesus ihrem Lieblingsneffen Werner mit auf seinen Weg geben und schreibt am 3. April 1934 vom Kloster in Mötz ein Gedicht für ihn, in dem es unter anderem heißt:

      „Ach könnte doch dein Kinderherz erfassen, das große Glück,

      nie würdest deinen Heiland du verlassen!

      Nie würdest deinen Heiland du betrüben,

      nie deine Seel mit einer Sünd beflecken! (Brief 2)

      Und geh mit offnem Herzen deinem Heiland so entgegen,

      und bitt ihn recht, er möcht dich ganz sein Eigen nennen!

      Schließ auch in dein Gebet all deine Lieben,

      flecht auch ein kurz Gedenken meiner mit hinein,

      denn Kinderherzchen nie vergebens flehen,

      wenn sie vertrauensvoll zum Heiland gehen.“ (Brief 2)

      Die Schlussstrophe heißt:

      „Fest hab ich’s mir vorgenommen,

      in den Himmel muss ich kommen!

      Mag es kosten, was es will,

      für den Himmel ist mir nichts zu viel!“ (Brief 3)1

      Am Abend, als alle Bohnen geputzt und zum Konservieren vorbereitet sind, braut sich ein Gewitter zusammen. Die ersten Regentropfen fallen. Marie sieht ihren Vater in seinem Arbeitsgewand und den kalkigen Schuhen mit schnellen Schritten auf das Haus zukommen. Sie öffnet ihrem Vater die Tür und ruft:

      „Papa, ich habe heute einen Mann auf einem Fahrrad gesehen. Wenn ich Geld verdiene, kaufe ich dir eines. Dann kommst du schneller heim und wirst nicht so nass wie heute.“

      „Ach Mariechen, du denkst immer zuerst an die anderen. Jetzt werde einmal erwachsen, dann sehen wir weiter.“

      Nach einem einfachen Abendessen beten alle gemeinsam den Rosenkranz. Wilhelm und Franz stoßen sich ab und zu gegenseitig, doch niemand weist sie zurecht. Buben sind eben Buben und können noch nicht so lange stillhalten. Vor dem Zubettgehen hört Marie, was

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