Angela Autsch. Annemarie Regensburger
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Doch als Marie wieder einmal die Mama weinend beim Herd stehen sieht, sagt sie:
„Mama, machst du dir Sorgen um August?“
Die Mama nickt.
„Weißt du“, sagt Marie, „ich bin auch traurig, aber ich laufe oft in meine Kammer zum Marienbild und bete zu ihr.“
„Wir haben schon einige Wochen nichts von August gehört. Jetzt ist schon November. Weißt du noch, wie er gesagt hat, dass bis Weihnachten der Krieg zu Ende sein wird?“
Es klopft. Marie läuft zur Tür. Der Postbote bringt einen Brief. Marie erkennt gleich das Marinezeichen. Die Mama öffnet den Brief mit zittrigen Fingern. Im Brief schreibt August mit wackeliger Schrift, dass sich die Eltern und Geschwister keine Sorgen um ihn machen müssen. Er sei bei der Dritten Marineflotte eingesetzt, die vor allem das Auskundschaften des Feindes im Westen zum Auftrag hat. Auch hoffe er, dass er zu Weihnachten für ein paar Tage Heimaturlaub bekommen werde. Die Mama und Marie fallen sich um den Hals. Der sauerländische Bohneneintopf, den die Mama und Marie gemeinsam vorbereiten, schmeckt heute der ganzen Familie besonders gut. Für ein paar Tage löst sich der Trauerflor im Haus in Luft auf.
Ein paar Wochen später, am Heiligen Abend, liegt die Traurigkeit nicht nur über der Familie Autsch, sondern über ganz Bamenohl, denn es ist weder der Krieg vorbei, noch kamen die jungen Männer auf Urlaub heim. Die geduckte Haltung, mit der sich viele Menschen zur Mette aufmachen, rührt nicht nur vom kalten Wind. In vielen Fenstern brennt für Familienangehörige an der Front ein Kerzenlicht.
Eines Tages kommt der Vater mit einer guten Nachricht nach Hause: „Ich habe von einem Arbeitskollegen gehört, dass die Familie Brögger für ihre Kinder ein Kindermädchen sucht. Marie, möchtest du diese Arbeit annehmen?“
Marie schaut von ihrer Stickarbeit auf und sagt:
„Papa, das ist ja wunderbar. Da verdiene ich auch Geld und kann euch unterstützen. Irgendwann kaufe ich mir dann ein Fahrrad.“
Der Vater schüttelt über so viel Schwung seiner Tochter den Kopf und sagt:
„Ja, Marie, das machst du. Jetzt wird bald Frühling. Da kannst du auch die zwei Kilometer gut zu Fuß nach Finnentrop gehen.“
Marie blickt zu ihrer Mama. Es gibt ihr einen Stich, denn sie sieht zum ersten Mal ganz bewusst, wie mager und abgezehrt die Mama aussieht.
„Mama, wirst du den Haushalt ohne mich schaffen?“
Die Mama wischt sich mit der Kochschürze den Schweiß von der Stirn und sagt:
„Ach, Marie, du bist so aufmerksam. Manches Mal wird mir wirklich alles zu viel und jetzt im Frühjahr plagt mich wieder vermehrt das Rheuma.“
„Vielleicht solltest du doch zu einem Arzt gehen, Amalia“, sagt der Vater.
„Das kostet doch Geld und du weißt, August, dass wir so schon schwer über die Runden kommen.“
„Mama, dann verschiebe ich das Fahrrad auf später und du kannst zum Arzt gehen.“
„Ja, Marie, doch zuerst bewirbst du dich für diese Stelle. Gertrude und Amalia können mir auch noch helfen und Elisabeth hat ebenfalls ab und zu frei. Die kleinen Lausbuben sind außerdem aus dem Ärgsten draußen.“
Zwei Tage später geht Marie zum ersten Mal in ihrer besten Kleidung und mit ihren einzigen guten Schuhen zu Fuß von Bamenohl nach Finnentrop. Das Herz klopft laut, als sie das große Haus und daneben die Auslage mit den schönen Kleidern sieht. Sie läutet bei der Hausglocke. Ein Mann macht ihr die Türe auf und sagt:
„Grüß Sie Gott, Sie sind sicher Fräulein Maria Cäcilia Autsch?“
„Ja, Sie können Marie zu mir sagen.“
„Kommen Sie, gehen wir hoch, meine Frau erwartet Sie bereits.“
Sie gehen die breite Treppe mit dem schmiedeeisernen Geländer hinauf und Herr Brögger ruft:
„Ludmilla, Fräulein Autsch ist da!“
In der Wohnungstür hängen zwei kleine Buben am Rockzipfel ihrer Mutter. Dahinter steht ein vielleicht achtjähriges Mädchen mit kurz geschnittenen Haaren. Marie muss lächeln, denn in Bamenohl tragen die Mädchen normalerweise lange Haare, die sie zu Zöpfen flechten.
Marie verbeugt sich vor der Hausfrau. Diese reicht ihr die Hand und sagt:
„Kommen Sie herein, Fräulein Autsch. Fühlen Sie sich wie daheim. Ich bin sehr froh, dass Sie mir bei den Kindern helfen werden. Wie Sie sehen, hat sich das nächste Kind bereits angemeldet.“
Marie lächelt und sagt:
„So gut ich kann, werde ich Sie unterstützen. Mit Kindern umzugehen, ist mir nicht neu. Ich habe noch zwei kleinere Brüder zuhause.“
Die achtjährige Tochter nimmt Marie bei der Hand und zeigt ihr das große Kinderzimmer. Marie ist über das schöne Zimmer erstaunt und fragt:
„Schläfst du hier ganz alleine?“
„Ja, mein kleiner Bruder und meine kleine Schwester schlafen im Zimmer neben den Eltern, weil sie nachts öfters aufwachen. Wenn das Baby kommt, wird meine kleine Schwester Rosalinde sicher bei mir schlafen. Und wie heißt du eigentlich?“
„Ich bin Marie, du darfst du zu mir sagen.“
„Ich heiße Theresia, nach der heiligen Thérèse von Lisieux. Kennst du die Geschichte von der heiligen Thérèse?“
Marie sieht Theresia erstaunt an und sagt:
„Ja, unser Vater hat uns Kindern am Abend oft Heiligengeschichten erzählt oder vorgelesen. Die Geschichte von der heiligen Thérèse von Lisieux gefällt mir besonders gut. Es ist noch nicht lange her, seit sie gelebt hat. Drei Jahre nachdem sie starb, bin ich geboren.“
„Marie, bleibst du sicher bei uns? Erzählst du mir die Geschichte von Thérèse und noch viele andere?“
Marie ist gerührt, schließt Theresia in ihre Arme, der Bann ist gebrochen. Die Eltern sind erstaunt, wie schnell sich Marie mit Theresia vertraut machen konnte, denn ansonsten ist sie Fremden gegenüber sehr zurückhaltend.
Am Abend, als Marie zu Fuß nach Hause geht, ist sie sehr glücklich. Sie kommt bei der Haustüre herein und ruft:
„Mama, ich habe die Stelle bei den Bröggers bekommen. Morgen kann ich bei ihnen anfangen zu arbeiten. Sie haben drei Kinder und das vierte ist unterwegs. Herr und Frau Brögger sind sehr nett.“
Mit einem weinenden und einem lachenden Auge schließt die Mama Marie in die Arme und sagt:
„Du wirst mir zwar abgehen, doch du wirst deinen Weg gehen.“
Marie wird es schwer ums Herz. Sie läuft in ihre Kammer und kniet sich vor ihren Hausaltar. Es würgt sie und die Tränen rinnen über ihre Wangen. Plötzlich weiß sie, warum, und sagt ganz leise:
„Ja,