Angela Autsch. Annemarie Regensburger
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Ein Mann um die 50 kommt. Er begleitet uns zu den Schwestern und sagt: „Ich wohne mit meiner Frau und den sechs Kindern hier und bin unter anderem der Hausmeister für die Schwestern.“
Auf einem Türschild neben der Haustüre steht „Trinitarierinnenorden“. Wir gehen hinein und gelangen praktisch unmittelbar in den Wohnraum der Schwestern und damit in eine andere Welt. Die Einfachheit rührt sofort an meiner Seele. Im Kohlenherd brennt ein Feuer. Im Raum ist es angenehm warm. Ein Tisch, eine Bank, vier Stühle, eine Kommode sind die ganze Einrichtung des Raumes. An den Wänden hängen Fotos, unter anderem von Besucherinnen aus aller Welt. Auf einem lächelt uns Schwester Angela verschmitzt entgegen. Vier Türen führen in andere Räume. Eine davon öffnet sich, Schwester Evangelista, die ich in Innsbruck kennengelernt habe, kommt herein und begrüßt uns. Gleich fühlen wir uns wohl. Sie bietet uns einen Platz an. Die Küchentür geht auf. Eine Schwester kommt auf uns zu. Ich merke sofort, dass sie die praktische Schwester ist. Ein nach vorne gebeugter Rücken spricht von jahrzehntelanger, harter Arbeit in Haus und Garten.
„Ah, ihr seid die zwei Tirolerinnen! Ich bin Schwester Felice. Wer von euch möchte denn einen Roman über Schwester Angela schreiben?“
Das Wort Roman klingt ziemlich zweifelnd. Ich lächle und sage, dass ich versuchen will, das Leben von Schwester Angela niederzuschreiben.
Sie blickt mich fragend an und sagt: „In einem Roman ist doch vieles nur erfunden, wird dies gut gehen?“
Ich sage ihr, dass ich mich an die Eckdaten halten und nur eine Erzählung rundherum spinnen werde. An ihrem skeptischen Blick spüre ich, dass ich mir ihre Zuneigung erst erwerben muss.
Nun zeigt uns Schwester Evangelista unsere Schlafstätte. Meine Freundin bekommt das Zimmer gleich neben der Küche. Die Schwester begleitet mich dann durch einen schmalen Gang in mein Zimmer. Alles ist sehr einfach eingerichtet. Ein paar Minuten bleibe ich alleine hier und nehme mir vor, mich ganz auf das Jetzt einzulassen.
Drei Schwestern, alle über 80, ein Leben lang gemeinsam gelebt. Schwester Evangelista, die jetzige Oberin, ist 1955 in den Orden eingetreten. Sie sagt, dass in Mötz, wo Schwester Angela im Orden war, sehr lange nicht über sie gesprochen wurde, da es in Mötz viele Nazis gab. Auch in Mödling wurde nicht über Schwester Angela geredet. Wie überall sollte Gras über diese schreckliche Zeit wachsen. Bis Anfang der Achtzigerjahre war Schwester Angela kein Thema.
1986 las die damalige Generaloberin Schwester Maria Nieves Perez aus Valencia anlässlich eines Besuches in Mödling die Lagerpost von Schwester Angela. Von ihr zur Nachforschung angeregt, machten sich Schwester Hermine und Schwester Felice auf die Suche nach Verwandten von Schwester Angela in Deutschland. In Tirol hat Dr. Peter Stöger schon sehr früh Nachforschungen begonnen.
Schwester Evangelista sagt, dass sie und Schwester Agnes von 1978 bis 1980 in der Erzieherinnenschule in Pfaffenhofen in Tirol waren. Peter Stöger unterrichtete damals in Pfaffenhofen. Später hat sogar eine Schülerin von ihm eine Diplomarbeit über Schwester Angela geschrieben.
Schwester Felice trat 1969 in den Orden ein. Sie war auch länger in Valencia, im Mutterhaus des Ordens tätig und hat auch ein bisschen von der guten spanischen Küche mit nach Mödling gebracht.
Nun mischt sich auch Schwester Agnes in unser Gespräch ein und fragt: „Was machen Sie hier bei uns?“
„Ich schreibe ein Buch über Schwester Angela.“
Sie beginnt zu lächeln und sagt: „Schwester Angela, unsere Schwester Angela. Jetzt gehe ich aber in mein Zimmer. Ich will Sie nicht länger belästigen.“
„Sie belästigen uns nicht, Schwester Agnes. Wenn es für Sie möglich ist, erzählen Sie uns auch noch ein bisschen, was Sie über Schwester Angela wissen.“
„Vielleicht morgen.“
Die zwei anderen Schwestern schütteln zweifelnd den Kopf.
„Schwester Agnes ist gesundheitlich sehr angeschlagen und ihr Gedächtnis hat seit vorigem Jahr stark nachgelassen.“
Schwester Evangelista erklärt uns die Fotos an der Wand. Auf einem Foto ist noch Schwester Carmen abgebildet. Sie war die Älteste in diesem Kloster und verstarb 2004. Auf einem anderen Foto lachen uns Schwestern aus Madagaskar entgegen. 25 von ihnen kümmern sich dort um die Ärmsten. Noch ein Foto zeigt Schwestern aus Kolumbien. In der Zwischenzeit gibt es mehr als 30 Gemeinschaften der Trinitarierinnen in verschiedenen Ländern.
„Seit wann gibt es diesen Frauenorden?“, frage ich dazwischen.
Zwischen 1880 und 1885 schlossen sich fünf junge Frauen unter der geistlichen Führung des Diözesanpriesters Juan Baptist Calvo in Valencia zusammen und gründeten die neue Schwesterngemeinschaft nach den Regeln des männlichen Ordensgründers der Trinitarier Johannes von Matha aus Frankreich.
Die wichtigste Regel lautet: „Alle haben teil an dem von Gott gegebenen Erbe und setzen Gottes Werk in der Geschichte fort. Es gilt, die heiligste Dreifaltigkeit zu ehren und Freiheit den Gefangenen unserer Zeit zu bringen.“
Die Trinitarierinnen gehen davon aus, dass Gott so lebensbejahend ist, dass jede Knechtung und Entwürdigung der Menschen Gottes Schöpfung und dem Glauben an Gott widerspricht.
Wenn Gott das volle Leben ist, ist es die logische Konsequenz, dass Menschen sich für ein Leben in Gerechtigkeit einsetzen. Die Trinitarierinnen sehen es als ihren besonderen Auftrag, sich für jene einzusetzen, die aufgrund von Opportunismus, Rassismus oder aus verschuldetem Unwissen ihrer Mitmenschen keine Chance auf ein menschenwürdiges Dasein bekommen.3
In der ersten Lebensregel von Valencia heißt es: „Die Schwestern widmen sich dem Unterricht für Kinder der unterprivilegierten Klasse, um den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden, und ebenso der Pflege der Kranken. Sie wohnen Tür an Tür mit der arbeitenden Bevölkerung, halten Abendschule für Arbeiterinnen und Dienstmädchen.“4
Diesem Grundsatz der Schwestern von Valencia waren auch die Schwestern in Mödling bis zu ihrer Pensionierung verpflichtet.
Im Wohnraum prasselt angenehm das Feuer. Eine Caritasmitarbeiterin kommt, um Schwester Agnes die notwendigen Medikamente zu verabreichen. Bevor Schwester Felice wieder in die Küche zurückgeht, bestätigt sie uns noch, dass sie in den späten Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit Schwester Hermine nach Deutschland gefahren ist. Einmal fuhr sie an einem Tag 1000 km bis nach Recklinghausen. Dort blieben die zwei Schwestern eine Woche, um Interviews mit den Verwandten zu machen. Da die Aussagen von Neffen und Nichten später nicht immer korrekt in der Presse wiedergegeben wurden, kam es zu Verstimmungen zwischen den Schwestern und einigen Verwandten. Vor ein paar Jahren hat eine Verwandte doch noch einmal in Mödling angerufen und sich für ihr damaliges Verhalten entschuldigt. Dafür sind die Schwestern sehr dankbar.
Ich frage Schwester Evangelista, ob sie weiß, wie es zur Klostergründung in Mötz kam.
„Ja, ich gebe dir eine Bettlektüre mit, in der ist alles beschrieben.“
Schwester Felice kommt mit dem Abendessen. Sie hat für uns sehr liebevoll gekocht. Beim Essen erzählen wir einander aus unserem Leben. Auch wenn wir sehr unterschiedliche Lebensentwürfe haben, ist mir doch manches vertraut. Ich ging nämlich in meiner Heimatgemeinde bei Schwestern in den Kindergarten und hatte eine Klosterfrau als Klassenlehrerin. Der respektvolle Umgang dieser alten Schwestern miteinander berührt mich sehr. Nach dem Essen zeigt uns Schwester Evangelista noch das große