Angela Autsch. Annemarie Regensburger

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Angela Autsch - Annemarie Regensburger

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viele Priester und andere Gäste werden die Schwestern an diesem großen, schweren Tisch bewirtet haben? Vorher haben sie sicher in der Küche geschwitzt, um das Beste auftischen zu können.

      Schwester Evangelista gibt mir noch vier Kassetten mit Originalaufnahmen von Gesprächen mit den Verwandten und ZeitzeugInnen. Sie erzählt auch, dass Schwester Hermine anlässlich des Beginns des Seligsprechungsprozesses den damaligen Verantwortlichen für Österreich viele Originalbriefe von Schwester Angela geliehen hat, die nicht mehr ins Kloster zurückgekommen sind. Auch sei beim Seligsprechungsprozess einiges schiefgelaufen. Die Verantwortlichen strebten ja einen Märtyrerinnenprozess an. Doch da Schwester Angela in Auschwitz entweder an Herzversagen oder an einem Granatsplitter gestorben ist5, wurde sie bisher in Rom nicht als Märtyrerin anerkannt. Erst in den letzten Jahren wird Schwester Angelas Leben noch einmal überprüft. Als Schwester Evangelista dies erzählt, schwingt Traurigkeit in ihrer Stimme mit. Ich tröste sie und sage: „Ob die Amtskirche Schwester Angelas Leben anerkennt und sie eine Selige wird, bleibt dahingestellt. Für uns und für viele Menschen war sie in dieser Schreckenszeit eine besondere Frau, die ein heiligmäßiges Leben gelebt hat.“

      „Ja“, sagt Schwester Evangelista, „sie musste sogar in den Hungerbunker, nur weil sie einen SS-Mann mit ‚Grüß Gott‘ gegrüßt hat.“

      Meine Freundin holt einen Ordner aus dem Kasten und beginnt Briefe zu fotografieren. Bevor Schwester Evangelista sich zurückzieht, drückt sie meiner Freundin einen Stein und mir einen großen Nagel in die Hand. Vermutlich stammen diese beiden Gegenstände aus dem Konzentrationslager Mauthausen in Oberösterreich und stehen stellvertretend für die Ausbeutung und den gewaltsamen Tod von unzähligen Menschen während der Zeit des NS-Terrors. Wir halten die Gegenstände in unseren Händen. Tränen laufen uns über die Wangen. Aus meinem Inneren heraus formt sich ein Text:

      Soviel Leid

      soviel Tränen

      soviel Schreie

      so lange her

      und immer noch

      nicht vorbei

      Ich bin tief bewegt, dass Schwester Evangelista so viel Vertrauen zu uns hat und uns mit diesen Schätzen allein lässt.

      Im Bett beginne ich den Bericht über das Mötzer Kloster zu lesen.

      Die Gründung einer Schwesterngemeinschaft der Trinitarierinnen erfolgte im Jahre 1926. Die Gräfin Karoline Erdödy erwarb in Mötz ein kleines Landgut mit Haus, Hof und einigen Feldern, um eine Niederlassung des Ordens zu ermöglichen.

      Am 11. August 1926 trafen drei Schwestern aus Valencia und eine Schwester aus Österreich in Mötz ein, sodass die Gründung mit diesem Datum perfekt wurde.

      Die kleine Gemeinschaft begann ihr klösterliches Leben in Gebet und Zurückgezogenheit und lebte sehr bescheiden von Paramentenstickereien und Näharbeiten.

      Die Anfangsjahre sahen die Eröffnung eines Privatkindergartens im Kloster. In den Wintermonaten wurden außerdem für die größeren Mädchen der Umgebung Nähkurse abgehalten.

      Nachdem sich die Gründung gefestigt hatte und die Zahl der Schwestern aus eigenem Lande vielversprechend war, gingen die spanischen Schwestern in ihre Heimat zurück.

      Schwester Michaela Roth, die von Anfang an eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung der österreichischen Gründung hatte, wurde Oberin.

      Unter ihrer Führung festigten sich die Kontakte mit den Drittordensgemeinschaften in Trier und Paderborn, in deren Folge dann auch Ordenszuwachs aus Deutschland kam. Eine dieser „deutschen“ Schwestern war Maria Autsch, die als Schwester Angela vom Herzen Jesu sich mutig gegen den Nationalsozialismus stellte und treu das Evangelium lebte bis zu ihrem Tod in Auschwitz.6

      Bewegt schlafe ich ein.

      Am nächsten Morgen ist es schon früh unruhig im Haus. Wie am Vorabend angekündigt, brechen Schwester Evangelista und Schwester Felice zum Gottesdienst auf. Während meine Freundin und ich beim Frühstück im bereits geheizten kleinen Wohnraum sitzen, kommt Schwester Agnes mit ihrem Rollator lächelnd aus ihrem Zimmer und setzt sich zu uns. Jetzt am Morgen ist ihr Geist hellwach und sie genießt es sichtlich, mit uns alleine am Tisch zu sitzen. Ich bestärke sie und sage: „Sie können mir einfach sagen, was Ihnen einfällt.“

      Sie sagt: „Dieses Haus hat Juden gehört. Sie mussten vor den Nazis fliehen. Paul besuchte uns im Jahre 2000 [vermutlich ein Nachkomme]. Zwei Schwestern sind nach dem Krieg aus Deutschland gekommen. Schwester Hermine war lange Zeit Oberin. Sie hat alles gut organisiert. Ich war mit ihr öfters in Valencia, denn die Ordensregeln werden alle sechs Jahre neu überarbeitet. Ich habe 40 Jahre Sprachbehandlung bei unseren Heimkindern gemacht. Es ist alles so lange her, ich kann mir nicht mehr alles so gut merken.“

      Ich tröste sie und sage: „Schwester Agnes, Sie wissen noch so viel von früher, Sie sind immer noch eine wichtige Schwester.“

      Sie strahlt übers ganze Gesicht.

      Die zwei anderen Schwestern kommen von der Kirche zurück. Richtig fesch sind sie in ihrem Ausgehkleid und den glänzenden Schuhen.

      Schwester Agnes sagt: „Gell, Schwester Felice, Schwester Hermine hat mit Ihnen alles über Schwester Angela erkundet. Ist alles schon erledigt?“

      „Ja, alles haben wir gemacht und wir haben alles gut verwaltet.“

      Mir fällt jetzt bewusst auf, dass sich die Schwestern mit „Sie“ ansprechen. Ich denke mir, dass dies eine gute Möglichkeit ist, höflich miteinander umzugehen, wenn die Schwestern einmal Probleme miteinander haben sollten.

      „Schwester Agnes, kann ich mir das Buch von Dr. Margita Schwalbová ausleihen? Sie war ja als Ärztin gleichzeitig mit Schwester Angela in Auschwitz?“

      Schwester Agnes schüttelt zweifelnd den Kopf und sagt: „Dann müssen wir es gleich wieder bestellen. Von Pater Quirin haben wir nicht alles zurückbekommen.“

      Das muss bei den Schwestern tief sitzen, wenn sich sogar Schwester Agnes daran erinnert. Schwester Evangelista sagt ihr, dass dieses Buch nicht mehr im Handel erhältlich ist. Schwester Agnes sagt darauf lächelnd:

      „Sie sind die Oberin.“

      Schwester Evangelista blinzelt mir zu und steckt das Buch in meine Tasche.

      Irgendwie kommen wir auf schwere Krankheiten der Schwestern in den letzten Jahren zu sprechen. Es rührt mich sehr an und ich frage mich, wie lange die Schwestern noch so wie jetzt miteinander leben können. Als ob Schwester Evangelista meine Gedanken lesen könnte, sagt sie:

      „Wie gut, dass die große Familie, die bei uns wohnt, uns viel hilft.“

      Vor dem Mittagessen machen meine Freundin und ich im großen Garten einen Spaziergang. Im Gemüsebeet gibt es noch viele reife Tomaten, Paprika und Zucchini. Ob es Schwester Felice heuer noch schafft, das ganze Gemüse zu verarbeiten? Im nahen Wald tauchen wir in das Gold des Herbstes ein. Es ist wie ein Sinnbild dafür, was diese Schwestern in ihrem Leben für andere Menschen getan haben. Bei einer kleinen Abzweigung steht auf einem Schild „Schwesternfriedhof“.

      Beim Mittagessen frage ich meine Gastgeberinnen, was uns Schwester Angela für heute sagen kann. Fast gleichzeitig geben wir uns die Antwort:

      „Sie nannte das Unrecht beim Namen!“

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