Die Enkel der Tante Jolesch. Georg Markus

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Die Enkel der Tante Jolesch - Georg Markus

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nicht der Einzige, der über die eine oder andere Tante Jolesch verfügte. Viele hatten eine, und so mancher ist vielleicht in der glücklichen Lage, immer noch eine zu haben – was freilich, wie ich fürchte, die Ausnahme sein wird. Einer davon war der Schriftsteller und Kabarettist Hugo Wiener, mit dem ich in jungen Jahren einige Drehbücher verfasste, und den ich als ebenso klugen wie sympathischen alten Herrn in Erinnerung behalte.

      Ich weiß nicht mehr, wie seine Tante hieß, aber ich habe mir eine von ihm erzählte Geschichte gemerkt, die uns berechtigt, ihr den Ehrentitel Jolesch zu verleihen.

      Auch Hugo Wiener, dessen Vater als Pianist noch bei den legendären Soireen des Walzerkönigs Johann Strauß auftrat, hatte eine weit verzweigte Verwandtschaft. Zu dieser gehörte besagte Tante, deren hervorstechende Eigenschaft eine geradezu pathologische Sparsamkeit war.

      Und so sagte sie zu ihrem kleinen Neffen Hugo, wann immer er auf Besuch kam, als erstes gleich: »Willst an Kakao, aber nein!«

      Das Schöne an der Geschichte, die – wie manch andere – besser zu erzählen als niederzuschreiben ist, war das Tempo, in dem Hugo Wieners Tante Frage und Antwort zu verbinden wusste:

      »Willst-an-Kakao-aber-nein« wurde von ihr als ein Wort gesprochen, damit dem Visavis nur ja keine Chance blieb, mit »Ja« zu antworten.

      In Buchform nicht wiederzugeben ist auch die wegwerfende Handbewegung, mit der sie das »Aber-nein« optisch verdeutlichte.

      Eine Tante Jolesch befand sich schließlich auch im Familienverband des unvergessenen Volksschauspielers Paul Hörbiger. Seine diesbezügliche Verwandte hieß Karoline und wurde mir von ihm als auffallend naive alte Dame beschrieben.

      Als nun Soldaten der sowjetischen Besatzungsarmee 1945 plündernd durch Wien zogen und Tante Karolines Wohnung in Mauer stürmten, fiel ihnen als erstes deren goldene Armbanduhr auf. Sofort brüllten sie die Tante an: »Uhra, Uhra!«

      Worauf diese ihrer ebenfalls anwesenden Schwester zurief:

      »Leopoldine, die Herren Russen wollen wissen, wie spät es ist.«

      Die meisten dieser Tanten verfügten über einen passenden Ehemann. Ein solcher mag Herr Georg Tintner – seines Zeichens Direktor eines großen Wiener Versicherungsinstituts – gewesen sein. Sein Urenkel Lucian O. Meysels erzählte mir, dass es zu Herrn Tintners strikt einzuhaltendem Lebensplan gehörte, einmal im Monat – was immer da kommen mochte – zu den Zusammenkünften seiner Freimaurerloge nach Preßburg zu fahren. Anders als zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia – deren Mann Franz Stephan selbst einer Loge angehört hatte – war der Geheimbund in der Ära Kaiser Franz Josephs in der österreichischen Reichshälfte verboten, weshalb Wiens Freimaurer in die nächstgelegene Loge auswichen. Und die befand sich im damals ungarischen Preßburg, wohin Urgroßvater Tintner regelmäßig reiste, um an den obligaten Treffen der dortigen Vereinigung teilzunehmen. Vierzig Jahre lang, bis an sein Lebensende, nahm Herr Tintner Monat für Monat, mit eiserner Disziplin, die beschwerliche Fahrt nach Preßburg auf sich. Nichts, weder Krankheit noch Unwetter, konnte ihn davon abhalten.

      Als er 1924 starb, schickte seine Witwe sämtlichen Mitgliedern der Preßburger Loge eine Parte, damit diese sich, möglichst vollzählig, beim Begräbnis ihres Mannes einfinden mögen.

      Sie war dann sehr enttäuscht, dass kein einziger von ihnen nach Wien kam, zumal sie wusste, dass die Teilnahme an der Beisetzung eines Logenbruders zu den obersten Ehrenpflichten der Freimaurer gehört. Frau Tintner war dermaßen vergrämt, dass sie nach der Trauerfeier in Preßburg anrief, um nachzufragen, warum denn keiner gekommen sei, wo ihr Mann doch vierzig Jahre lang in vierwöchigem Rhythmus Frau und Kinder im Stich gelassen hatte, um seine Freunde in der Loge aufzusuchen.

      Da teilte man der staunenden Witwe mit, dass ihr Mann niemals Mitglied der Preßburger Loge gewesen sei.

      Wohin er vierzig Jahre lang einmal im Monat gefahren ist – das wird wohl für alle Zeiten ein Rätsel bleiben.

      Zu Preßburg kommt mir ein Aperçu des großen Karl Farkas in den Sinn, dem wir in diesem Buch noch öfter begegnen werden.

      Niemand sonst konnte wie er ein ihm zugerufenes Stichwort zu einer brillant gesetzten Pointe führen. Diese hier, scheinbar auf Preßburg bezogen, ging in Wahrheit weit über die Bedeutung des Städtchens am linken Donauufer hinaus. Schildert sie doch in wenigen Worten die politischen Irrwege eines ganzen Jahrhunderts:

      Zurück aber zu meiner Tante Flora, die ihre Tante-Jolesch-Qualitäten nicht nur von ihren Ahnen ererbt, sondern offensichtlich auch an ihre Nachfahren weiter gegeben hat – unter anderem an ihre Tochter Lise, die mit dem seinerzeit bekannten Maler Frederic Schiff verheiratet war. Lise zeigte mir einmal das Aquarell einer wunderschönen, spärlich bekleideten Frau, das ihr Mann in den fünfziger Jahren angefertigt hatte und erzählte mir die dazugehörende Geschichte:

      Fred hatte den Akt in seinem Wiener Atelier gemalt und war nach Fertigstellung des Bildes mit dem Mädchen in ein Kaffeehaus gegangen. Lise tobte, als sie davon erfuhr, und machte ihrem Mann eine schreckliche Eifersuchtsszene.

      »Aber, Liebling«, rechtfertigte er sich, »warum sollte ich nicht mit einer jungen Frau Kaffee trinken, die ich vorher zwei Stunden lang nackt gemalt habe?«

      »Das ist etwas anderes«, schrie Lise mit Tränen erstickter Stimme. »Beim Kaffee war sie ja schon angezogen.«

      Die Familienanekdote erinnert mich, wie manch andere, die das Leben schreibt, an einen Witz: Ein Maler küsst im Atelier sein junges, schönes Modell und hört plötzlich, wie der Schlüssel in der Eingangstür umgedreht wird. Da ruft er dem Mädchen zu:

      »Schnell ausziehen! Meine Frau kommt.«

      »DES TEUFERLS GENERAL«

       Torberg, Weigel & Co

      Friedrich Torberg hält sich in seinen Erinnerungen an die Tante Jolesch – die in Wahrheit auch seine eigenen sind – bescheiden im Hintergrund. Obwohl wir wissen, dass er im Umgang mit Freunden und Mitarbeitern überaus originell sein konnte. Lassen wir hier also Torberg durch seine eigene Schlagfertigkeit zu Wort kommen, in der er den von ihm zahlreich zitierten Kaffeehausliteraten um nichts nachstand. Der Karikaturist Rudolf Angerer erzählte mir von einer Autofahrt, die er einmal mit Torberg unternommen hatte. Als irgendwo in Währing, am Stadtrand von Wien, die Ampel »Rot« zeigte, mussten sie mit ihrem Wagen gezwungenermaßen stehen bleiben. Da schaute Torberg zum Fenster hinaus und entdeckte das Portal einer Süßwarenhandlung mit der Aufschrift »Zuckerl-Mayer«.

      Worauf er trocken sagte: »Das ist der, der ›Des Teuferls General‹ geschrieben hat!«

      Der solcherart minimierte Carl Zuckmayer zählte ebenso

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