Eisernes Verderben. Franziska Franz
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„Du kennst den Langener Waldsee?“, fragte Hohmeister, als könnte er Gedanken lesen.
„Natürlich weiß ich, wo der ist, ich bin aber noch nie dort gewesen, obwohl der See und seine Umgebung sehr schön sein sollen. Aber ich weiß natürlich, dass dort der Ironman startet.“
„Ja, genau. Du schwimmst drei Komma acht Kilometer mit einem kurzen Landgang, also zwei Runden. Erst natürlich die Superstars, und dann, wenn die alle weg sind, der Rest der Teilnehmer.“
„Klar, so circa drei- bis viertausend Teilnehmer sind es allemal, ich weiß“, erwiderte ich.
„Ich sage dir, das ist eine ganz eigene Atmosphäre. Ich war letztes Jahr als Helfer dabei. Hat mich schwer beeindruckt, und ich möchte einmal im Leben diesen Nervenkitzel selber spüren.“
„Gibt’s da vorweg auch die legendäre Pasta-Party?“, warf ich ein.
„Du meinst wegen der Kohlenhydrate?“ Hohmeister nickte. „Klar! Die findet am Abend zuvor in der Eissporthalle statt.“ Er sah auf die Uhr. „Hör mal, was hältst du davon, uns einmal zu besuchen? Oder wir treffen uns einfach irgendwo, dann kann ich dir mehr vom Ironman erzählen und du lernst meine Frau kennen. Sie wird dir gefallen.“ Er zwinkerte mit den Augen. „Sie gefällt einfach jedem. Und ich weiß ja nun, dass ich dir vertrauen kann, nicht wahr?“ Jetzt grinste er. „Das kann ich doch, oder?“ Hohmeister nahm den letzten Schluck von seinem Pils, zückte sein Portemonnaie und winkte erneut nach der Bedienung. „So, ich muss nur jetzt erst mal nach Hause, Verena hat gekocht, verstehst du? Bist du eigentlich verheiratet?“
Ich lachte. „Nein, ich fürchte, ich bin überzeugter Single. Zu viele komplizierte Menschen auf der Welt, das brauch ich nicht auch noch zu Hause. Ich sorge lieber für das Seelenheil all jener Menschen, die ich nicht persönlich kenne.“
„Ja klar“, pflichtete Hohmeister mir bei. „Hast ja recht, wie immer.“ Er kramte in seiner Brusttasche und zog eine Visitenkarte daraus hervor. „Hier hast du meine Festnetz- und auch meine Handynummer.“
Ich nahm die Karte entgegen. „Danke, ich werde mich bei Gelegenheit melden.“
Hohmeister erhob sich von seinem Stuhl und reichte mir die Hand. „Würde mich wirklich sehr freuen – habe meiner Frau schon mehrfach von dir erzählt.“
„Ach, und dann will sie mich trotzdem noch kennenlernen?“ Ich ignorierte seine Hand und ließ stattdessen einen kurzen Lacher ertönen.
„Ich habe mehr von unseren sportlichen Events gesprochen. Natürlich weiß sie auch das andere. Aber was soll’s, Lena hatte sich nun mal für dich entschieden.“ Er beugte sich in einer vertraulichen Geste zu mir herunter. „Und es verschwinden schließlich mehr als genug Menschen auf dieser Welt, kann ja mal passieren.“
„Was soll das, Jan?“, fuhr ich ihn an. „Fängt die alte Scheiße etwa wieder von vorne an? Ich werde dir nie etwas anderes dazu sagen können als das, was du längst weißt. Lassen wir es doch endlich auf sich beruhen. Wir müssen unsere Freundschaft auch nicht wieder aufleben lassen.“
Ich vernahm ein kurzes Funkeln in Hohmeisters Augen, doch dann klärte sich sein Blick und er hob entschuldigend den Arm. „Ich weiß doch, Harald, ist ja schon gut. Wie dumm von mir. Komm, lassen wir die alten Geister ruhen! Ich würde mich freuen, wenn wir Frieden schließen könnten.“
„Das ist ein Wort.“ Ich nickte. „Mir geht es ebenso.“ Wir reichten einander die Hand. „Bis dann, alter Freund“, sagte ich zum Abschied.
Ich blickte ihm nach, bis er im Eingang seines Hauses verschwunden war.
Dann dachte ich an Lena. Die Wunde, die lange Zeit tief in mir verborgen gewesen war, brach wieder auf. Was mochte aus ihr geworden sein? War sie gestorben oder war sie gar einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Hatte sie leiden müssen oder lebte sie irgendwo ein glückliches Leben? Was hätte ich darum gegeben, eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten. Damals hatte Hohmeister versucht, meinen Ruf zu schädigen. In unserem gemeinsamen Umfeld stellte er mich als erbärmlichen Psychologen dar, der nur darauf aus war, Frauen kennenzulernen, vornehmlich die anderer Männer. Nachdem Lena und ich zusammengezogen waren, behauptete sie mehrfach, sich von ihm verfolgt zu fühlen. Ich fand nie heraus, ob sie paranoid oder ob er so schlau gewesen war, es mich nicht merken zu lassen. Natürlich machte ich mir heute noch die schlimmsten Vorwürfe, sie nicht ernst genommen zu haben, denn kein Mensch verschwand spurlos. Auch die Polizei, die ich am nächsten Tag einschaltete, konnte mir nicht weiterhelfen. Hohmeister hingegen äußerte der Polizei gegenüber den Verdacht, ich hätte etwas mit Lenas Verschwinden zu tun. Keine Ahnung, wie oft mich daraufhin die Polizei vernahm, zumal ich kein Alibi hatte. Ich hatte nämlich im Bett gelegen und geschlafen, als sie verschwand.
Wahrscheinlich wäre es für alle Beteiligten das Beste gewesen, wenn wir die Sache auf sich hätten beruhen lassen. Doch inzwischen interessierte mich die Antwort auf die Frage: Wollte Hohmeister unsere vermeintliche Freundschaft tatsächlich wieder aufleben lassen oder führte er etwas im Schilde? Ich musste zugeben, mein Interesse war geweckt, denn schließlich interessierte ich mich schon aus beruflichen Gründen dafür, was im Inneren eines Menschen vor sich ging. Hinzu kam mein reges Interesse am Ironman. Dass ich Hohmeisters Frau kennenlernen sollte, konnte ich mir nur damit erklären, dass er damit den Beweis antreten wollte, sich in einer stabilen Beziehung zu befinden, die nichts und niemand zerstören konnte. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Wieder kam mir der Ironman in den Sinn. Ich wusste, dass es keine besonderen Auflagen gab, wie viel oder ob man überhaupt vorher trainiert haben musste, wobei Letzteres natürlich völliger Unfug und noch dazu nicht ungefährlich war. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass vor Jahren hier in Frankfurt ein Teilnehmer gestorben war, der während des Wettkampfes nur Leitungswasser zu sich genommen, seinem Körper also keine Elektrolyte zugeführt hatte. Dabei standen überall Helfer herum, die die Teilnehmer beispielsweise mit Bananen oder Getränken versorgten. Hohmeister hatte von der besonderen Atmosphäre gesprochen. Das war es, was mich am meisten an der Sache reizte. Der Kick, dabei zu sein und den eigenen Körper herauszufordern, gar seine Grenzen auszuloten – all das stellte ich mir großartig vor.
Ich bestellte mir noch ein letztes Glas Wein, schweifte in Gedanken immer wieder in die Vergangenheit und warf gelegentlich einen Blick auf die Fassade des Hauses, in dessen Eingang Hohmeister verschwunden war. Im ersten Stock war soeben ein Fenster geöffnet worden, und jemand, möglicherweise eine Frau, blickte in meine Richtung. Die Person hatte, wie es schien, kurze Haare. Aus dieser Entfernung ließ es sich nicht so recht sagen, ob es sich tatsächlich um eine Frau oder doch eher um einen Mann handelte. Und natürlich konnte ich nicht wissen, in welchem Stockwerk Hohmeister und seine Frau wohnten.
„Sie gefällt einfach jedem“, hatte Hohmeister gesagt. Hatte er mich damit prüfen wollen? Das wäre typisch für ihn, war er doch stets ein gerissener Hund gewesen. Ein Spiel ließ ich jedoch nicht mit mir spielen. Ich war froh, das Thema, das mich über so viele Jahre beschäftigt hatte, nun endlich begraben zu haben.
4
Sie lag auf der Couch, sprach aber kaum. Schräg hinter ihr auf einem Sessel sitzend hatte ich längst die Hoffnung aufgegeben, ihr helfen zu können. Sie war paranoid und litt unter massivem Verfolgungswahn. Woher diese Krankheit rührte, konnte ich bestenfalls mutmaßen. Nie kam sie zum Kern der Unterhaltung. Sie war eine hagere, in sich zusammengesunkene Person Mitte vierzig