Handbuch ADHS. Группа авторов

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eines Verhaltens bzw. Symptoms, welches die Unterscheidung zwischen Normalität und Abnormität gestattet. Die Ableitung einer klinischen Störung erfolgt durch die mehr oder weniger willkürliche Festlegung eines Schwellenwertes auf einer Dimension des Verhaltens. Das Konzept von ADHS findet bei dieser Sichtweise Entsprechungen in Krankheiten wie Bluthochdruck oder Übergewicht.

      Wenngleich die Klassifikation von ICD und DSM kategorial sind, enthalten sie in den Entscheidungsregeln und der Festlegung operationalisierter Kriterien wie der Anzahl erforderlicher Einzelsymptome für die Sicherung der Diagnose zugleich dimensionale Aspekte. Ebenso ist das auch für ADHS favorisierte multifaktorielle Ursachenmodell mit der Annahme eines trichterförmig zulaufenden, schlussendlich gleichartigen Störungsbildes, das aus zahlreichen, individuell variierenden ätiologischen Komponenten resultiert, mit dem dimensionalen Konstrukt von ADHS kompatibel.

      Eine definitive ätiologische Aufteilung in Menschen mit und ohne ADHS ist beim gegenwärtigen Stand des Wissens nicht möglich und hinsichtlich der Realisierbarkeit eher unwahrscheinlich. Wenngleich verschiedene genetische Faktoren bedeutsam sind (image Kap. 9), so können auch andere biologische Faktoren wie pränatale Alkoholexposition, Hirntraumen oder auch psychosoziale Risikofaktoren wie z. B. eine Deprivation im frühen Kindesalter zu einem phänotypisch gleichen psychopathologischen Bild von HKS bzw. ADHS führen.

      Der dimensionale Ansatz in der Psychopathologie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in der Entwicklung von Verhaltensbeurteilungsfragebögen und -skalen niedergeschlagen, wobei spezifische Instrumente zur Abbildung von HKS bzw. ADHS diese Tendenz besonders geprägt haben. In derartigen Skalen erfolgen Beschreibungen von Verhaltensmerkmalen wie »unruhig, kann nicht still sitzen« oder »kann sich nicht konzentrieren, ist leicht abgelenkt« mit der Vorgabe einer mehrstufigen Antwortskala zur Beurteilung der Ausprägung des jeweiligen Merkmals. Damit wird über die meist faktorenanalytisch vorgenommene Zusammenführung einzelner Merkmale zu Dimensionen bzw. Skalen die Berechnung von quantitativen Ausprägungen psychopathologischer Phänomene ermöglicht, die zwischen verschiedenen Individuen variieren und entsprechend auch normiert werden können. Diese Verfahren werden in Kapitel 21 dargestellt. Sie finden auch in der Forschung breiten Einsatz, z. B. bei der Suche nach Endophänotypen, die mit spezifischen genetischen Faktoren korrespondieren.

      Gleichwohl gibt es auch kritische Argumente gegen den quantitativen Ansatz. Die jeweils ermittelten Dimensionen sind nicht frei von jeweils gesetzten Rahmenbedingungen und Entscheidungen z. B. hinsichtlich der Merkmalsauswahl und der statistischen Analysetechnik. Häufig korrespondieren die gefundenen Dimensionen nicht hinlänglich mit den klinisch etablierten Symptomebenen, wenn z. B. in der Child Behavior Checklist (CBCL) und den Parallelinstrumenten Teacher Rating Form (TRF) sowie Youth Self Report (YSR) kein ADHS-Faktor, sondern nur ein Aufmerksamkeitsproblemfaktor gefunden wird und Merkmale der Hyperaktivität teilweise auf der Dimension des aggressiven Verhaltens repräsentiert werden (Achenbach 1993). Entsprechend sind beim dimensionalen Ansatz auch relativ häufig Verbindungen unter verschiedenen Dimensionen bei einzelnen Patienten zu finden.

      Zusammengefasst finden sich zahlreiche Argumente für und gegen jeweils den kategorialen und den dimensionalen Ansatz. Beide sind einem kontinuierlichen Prozess der empirischen Überprüfung unterworfen, um der in der Psychiatrie-Geschichte lange dominierenden Tendenz zu begegnen, nosologische Klassifikationen eher auf Tradition und Entwürfe einzelner Autoren als auf überprüfbare Fakten zu gründen.

      Weitere Impulse werden möglicherweise von der Entwicklung der sog. Research Domain Criteria (RDoC) kommen, die vor einigen Jahren vom US-amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) initiiert wurde. Die RDoC zentrieren sich auf dimensionale psychologische Konstrukte und Konzepte, die in verschiedenen methodischen Ansätzen gemessen werden und wesentlich im Kontext von Entwicklungsverläufen und Umgebungseinflüssen erfasst werden. Die Konstrukte werden in übergeordneten Ebenen als Domänen menschlichen Verhaltens und Funktionierens gruppiert, welche das aktuelle Wissen über Systeme der Emotion, Kognition, Motivation und des Sozialverhaltens widerspiegeln, wobei die Untersuchung der Konstrukte aus neuro- und verhaltenswissenschaftlichen Methoden abgeleitet werden. Die Auswirkungen dieser Forschungsaktivitäten auf die Versorgungssituation können derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Weitere detaillierte Informationen befinden sich auf der Website des NIMH (https://www.nimh.nih.gov/research-priorities/rdoc/definitions-of-the-rdoc-domains-and-constructs.shtml, Zugriff am 27.09.2019).

      2.6 Schlussfolgerungen

      Die Konzepte von ADHS sind für die klinische Praxis und die Forschung trotz ihres historischen Wandels (image Kap. 1) wertvolle und nützliche Konstrukte, die weiterentwickelt werden müssen. Die aktuell gültigen Klassifikationen von ADHS in ICD-10 und DSM weisen bei zahlreichen Übereinstimmungen im Detail Unterschiede auf, die für die Forschung und die Klinik nicht unbedeutend sind. Beide Systeme werden sich als Stationen in einem Prozess der Weiterentwicklung der Klassifikation erweisen. Dabei wird möglicherweise die derzeit dominierende deskriptive Einteilung durch ätiologische Konzepte ergänzt werden, wenn sich z. B. die Identifizierung von Endophänotypen in Verbindung mit genetischen Risikofaktoren als ein fruchtbarer Weg der Forschung erweisen sollte.

      Der Wert einer neuen Klassifikation einschließlich einer weiteren Differenzierung von Subtypen sollte sich vor allem klinisch in einer genaueren Erfassung der Behandlungsnotwendigkeiten und damit einer Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten niederschlagen.

      Literatur

      Achenbach TM (1993). Empirically based taxonomy: How to use syndromes and profile types derived from the CBCL-/4-18, TRF, and YSR. Burlington, VT: University of Vermont.

      Agnew-Blais JC, Polanczyk GV, Danese A, Wertz J, Moffitt TE, Arseneault L (2016). Evaluation of the Persistence, Remission, and Emergence of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in Young Adulthood. JAMA Psychiatry 73: 713-720.

      Asherson P, Agnew-Blais JC (2019). Annual Research Review: Does late-onset attention-deficit/hyperactivity disorder exist? J Child Psychol Psychiatry. 2019 Apr;60(4):333-352

      American Psychiatric Association (1980). DSM-III: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 3rd ed. Washington, DC: American Psychiatric Association.

      American Psychiatric Association (1987). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-III-R). Washington, DC: American Psychiatric Association.

      American Psychiatric Association (1994). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th ed., (DSM-IV). Washington, DC: American Psychiatric Association.

      American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th ed., (DSM-5). Washington, DC: American Psychiatric Association.

      Barkley RA (2006). Attention deficit hyperactivity disorder. A handbook for diagnosis and treatment. 3rd edition. New York: Guilford.

      Caye A, Rocha TB, Anselmi L, Murray J, Menezes AM, Barros FC, Gonçalves H, Wehrmeister F, Jensen CM, Steinhausen HC, Swanson JM, Kieling C, Rohde LA (2016). Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Trajectories From Childhood to Young Adulthood: Evidence From a Birth Cohort Supporting a Late-Onset Syndrome. JAMA Psychiatry 73: 705–712.

      Cooper M, Hammerton G, Collishaw S, Langley K, Thapar A, Dalsgaard S, Stergiakouli E, Tilling K,

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