TEXT + KRITIK 227 - Lukas Bärfuss. Группа авторов

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darauf herum – ist sein Thema. Und: Er meidet sie nicht. Im Gegenteil. Tatsächlich ist er ein brillanter »Öffentlichkeits-Arbeiter«: in seinen Reden, Vorlesungen, seinen hellsichtigen Essays lässt er uns explizit teilhaben an seinen Bildungsprozessen, den Entwicklungen seiner Fragestellungen.

      Jeder Auftritt, jedes Buch, jede seiner Veröffentlichungen liest sich als die Fortsetzung eines Gesprächs, für das er mich, den Leser, Hörer, Zuschauer als Gegenüber sucht und – deswegen fühlt man sich wohl in seiner Nähe – in all seinen Irrtümern ernst nimmt. Bärfuss’ Texte sind adressiert, da spricht jemand, der Austausch sucht. Auch deshalb kann man sich ihnen nicht entziehen. Sein unumstößliches Vertrauen in das Gelingen einer Gedankenarbeit, die ihre Kraft aus sokratischer Selbstbefragung bezieht, ist sehr tröstlich und emanzipiert sein Gegenüber, das er darin einbezieht. In diesem Sinne ist Bärfuss ein Aufklärer, denn Aufklärung ist ein Modus des Denkens und, wie wir wissen, etwas Unabschließbares. Er hört nicht auf zu fragen: Was bedeutet das? Wer hat die Deutungshoheit – über die Gesellschaft, über sich selbst, sein Leben, seine Rolle?

      Es geht ihm aber auch um die Möglichkeiten der Veränderung, eben jene Verwandlung, für die Bärfuss das Theater so liebt, das Verwandlung zeigt und Verwandlung ermöglicht. Es geht ihm um die Möglichkeiten der Veränderung auch außerhalb des Theaters. Er ist wahrhaft ein zoon politicon, ein politischer Mensch, der das Gemeinwesen zum Hauptgegenstand seiner Untersuchungen und – das ist herauszuheben – seines Handelns macht: Als Vater seiner Kinder und als Bürger eines Staates.

      Daher scheut er auch nicht die Einmischung: 2015 zum Beispiel, vor den Schweizer Parlamentswahlen, veröffentlichte er in der »FAZ« einen eindringlichen Warnruf, der auf den Rechtsruck der Medien seines Landes aufmerksam machte, auf die Auswechslung von unliebsamen Journalisten in den Redaktionen, die bis dahin weitgehend unkommentiert geblieben war. Was darauf folgte war ein Sturm der Entrüstung. Man warf ihm Paranoia vor. Sein Schriftstellerfreund Pedro Lenz hatte ihm noch zugerufen: »Ich warne Dich vor der Rache derer, die Du herausforderst. Sie werden Dich plagen und anonyme Hassmails schicken. Auf Dich als Person werden sie zielen, so wie es die Intellektuellen-Jäger der ›Weltwoche‹ schon vorgemacht haben.« In den zahllosen sich anschließenden Interviews sah man Lukas Bärfuss denn auch seine Sehnsucht an, an den Schreibtisch zurückkehren zu dürfen, doch betrachtet er den unbotmäßigen Eingriff in die Macht- und Herrschaftsverhältnisse als selbstverständliche Verpflichtung des politischen Intellektuellen.

      Übrigens: Das einzige Wort, das Lukas Bärfuss für seine Poetik gelten lassen möchte, lautet: Trotzdem.

       Gregor Dotzauer

       Aufatmen im Gegenwind Das Phänomen Lukas Bärfuss

      Habituelle Provokateure sind eine Plage für jede Medienrepublik. Unter dem Vorwand, unliebsamen Wahrheiten Gehör zu verschaffen, bewerben sie oft nichts anderes als die eigene Marke, und je mehr sie dabei angeblich minoritäre Meinungen kundtun, desto stärker setzen sie insgeheim auf das Einverständnis der schweigenden Mehrheit. Auch Lukas Bärfuss muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen: Als ausgewiesener Linker bedient er, von Rechtskonservativen regelmäßig angefeindet, zumindest die Bedürfnisse eines liberalen Kulturpublikums. Wer sich der radikalen Ernsthaftigkeit seiner Bücher und Theaterstücke aussetzt, stößt allerdings nirgends auf einen narzisstischen Spieler.

      Bärfuss braucht den Gegenwind zum Atmen, und er macht seinem fortgesetzten Ärger Luft, um nicht an den Schweizer Verhältnissen zu ersticken. Seine Wortmeldungen und Kolumnen sind Ausdruck eines psychohygienischen Grundbedürfnisses, der vor kaum einem Aspekt des öffentlichen Lebens haltmacht. So kontinuierlich wie unroutiniert tut er das Unvermeidliche im Aussichtslosen. Darin liegt, über alle Lagerpolaritäten hinaus, der Unterschied zu Antipoden wie dem notorischen Wider-den-Stachel-Löcker Roger Köppel, dem Verleger und Chefredakteur der »Weltwoche«, der seit 2015 für die nationalkonservative SVP im Nationalrat sitzt.

      Dagegen nimmt sich jede Bosheit von Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt onkelhaft gutmütig aus – wobei für das Maß der polemischen Schärfe sicher auch die Blickrichtung eine Rolle spielt. Erst mit Bärfuss überquerte, wenn man von Reto Hännys widerständiger Prosa absieht, wieder ein nennenswertes Maß an Unmut die Grenze nach Deutschland. Der stille Außenseiter Hugo Loetscher blieb ein innerschweizerisches Phänomen, und Adolf Muschg, der neben seiner Dauerfehde mit dem SVP-Urgestein Christoph Blocher nicht nur durch seine proeuropäischen Einlassungen kaum zu unterschätzende politische Verdienste hat, ist aus Altersgründen für die Härten der Gegenwart verloren.

      In der Tat war Muschg 1994 nach dem acht Jahre zuvor bedachten Friedrich Dürrenmatt der letzte Schweizer, der mit dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde. Dagegen kamen die Österreicher, die zuletzt 2008 und 2009 mit Walter Kappacher und Josef Winkler geehrt wurden, viel öfter zum Zuge. Ob das mit der wachsenden Entfernung eines Landes zu tun hat, das mit der Europäischen Union traditionell fremdelt, oder mit einer kulturellen Verkapselung, die die Schweizer Literatur seit Jahren in den Bereich eines Sonderforschungsbereichs verweist, darüber lässt sich streiten.

      Wenn

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