Das Geheimnis von Cloomber-Hall. Arthur Conan Doyle
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Mordaunt hatte sich meine Einladung, uns zu besuchen, zunutze gemacht und hatte verschiedene Male auch seine hübsche Schwester mitgebracht. Wir wanderten dann gewöhnlich zu vieren auf der Heide umher oder segelten, wenn das Wetter schön war, in unserem kleinen Boote auf die Irische See hinaus. Auf solchen kleinen Ausflügen waren dann die Geschwister so heiter und fröhlich wie zwei Kinder. Es war ihnen eine Erlösung, einmal aus ihrer langweiligen Festung herauszukommen und sich, wenn auch nur für einige Stunden, von freundlichen und sympathischen Gesichtern umgeben zu sehen.
Aber die Folgen dieses schönen, verbotenen Beisammenseins waren unausbleiblich. Aus der Bekanntschaft wurde Freundschaft, aus der Freundschaft innige Liebe. Gabriele sitzt gerade jetzt neben mir und sieht mir zu, wie ich schreibe, und sie stimmt mir bei, daß die Geschichte unserer Liebe zu persönlicher Natur ist, um in diesen Zeilen mehr als einfach erwähnt zu werden. Ich begnüge mich also mit der Bemerkung, daß einige Wochen nach unserem ersten Zusammentreffen Mordaunt Heatherstone Herz und Hand meiner geliebten Schwester gewonnen und Gabriele mir das Gelübde ewiger Treue gegeben hatte.
Ich habe hier nur kurz auf diese doppelte Verbindung angespielt, weil ich keine Liebesgeschichte schreiben will und auch den Faden meiner Erzählung, die von General Heatherstone, aber nicht von mir handelt, nicht darüber verlieren möchte.
Es versteht sich von selbst, daß wir nach unserer Verlobung noch häufiger als zuvor mit den jungen Heatherstones verkehrten. Zuweilen, wenn der General durch Geschäfte nach Wigtown gerufen oder durch die Gicht an sein Zimmer gefesselt war, brachten sie ganze Tage bei uns zu. Unser guter Vater war immer da, um sie mit seinen kleinen, gut angebrachten Späßen zu begrüßen; wir hatten keine Geheimnisse vor ihm, und er betrachtete sie jetzt schon als seine Kinder.
Es gab aber auch Zeiten, in denen ein besonders aufregender und unheimlicher Anfall des Generals es wochenlang für Gabriele und Mordaunt unmöglich machte, auch nur den Park zu verlassen. Er pflegte dann auf Posten vor dem Tore zu stehen, oder den Fahrweg auf und ab zu marschieren, als ob er fürchtete, daß jemand den Versuch machen könnte, in seine Verborgenheit einzudringen. Als ich eines Abends vorbeiging, konnte ich seine dunkle, drohende Gestalt im Schatten der Bäume umherhuschen sehen, wie er mich mit seinem strengen, viereckigen Gesicht durch das Gitter hindurch beobachtete. Es war ein trauriger Anblick, diese nervösen Bewegungen, die ängstlich spähenden Augen und verstörten Züge. Wer hätte geglaubt, daß dieses gebückte, schleichende Geschöpf einst ein schneidiger Offizier gewesen sei, der sein Leben fürs Vaterland eingesetzt hatte und unter Hunderten von tapferen Männern seines Mutes wegen ausgezeichnet worden war?
Trotz der Wachsamkeit des alten Soldaten brachten wir es doch fertig, uns mit unseren Freunden in Verbindung zu setzen. Gleich hinter dem Schlosse war eine Stelle, wo das Staket so nachlässig errichten worden war, daß zwei der Latten ohne Mühe entfernt werden konnten. Diese breite Lücke gab uns die Gelegenheit für manch ein verstohlenes Stelldichein. Freilich waren diese notwendigerweise sehr kurz, da der General in seinen Wanderungen unberechenbar und keine Stelle des Parkes vor seinem Besuche sicher war.
Wie lebhaft steht die Erinnerung an eines dieser eiligen Rendezvous vor mir! Klar und friedlich hebt es sich von den wilden und geheimnisvollen Ereignissen ab, die schließlich zu einer schrecklichen Katastrophe führten und den Schatten über unser ganzes Leben warfen.
Ich erinnere mich, wie ich eines Morgens durch das Feld ging; das Gras war noch feucht vom Morgentau und die Luft schwer von dem Dufte frischgepflügter Erde. Gabriele wartete auf mich unter dem Hagedorn vor der Lücke, und wir standen bald Hand in Hand, auf das weite Moor sowie auf den breiten, blauen Streifen Wasser hinabblickend, welcher jenes wie mit einem Gürtel von weißem Schaum umspannte. Im fernen Nordwesten erglänzte der Gipfel vom Mount Throoter in den Strahlen der Morgensonne, und von der großen, nach Belfast führenden Wasserstraße her sah man den Rauch von eilenden Dampfern aufsteigen.
»Ist das Bild nicht wundervoll?« fragte Gabriele, mit ihren Händen meinen Arm umfassend. »O John, weshalb können wir nicht frei über die Wellen davonsegeln und alle unsere Sorgen hier am Ufer zurücklassen?«
»Was für Sorgen sind es denn, die du so gern zurücklassen möchtest, mein Lieb?« fragte ich. »Darf ich sie nicht kennen, damit ich dir helfen kann, sie zu tragen?«
»Ich habe keine Geheimnisse vor dir, John,« antwortete sie. »Unsere Hauptsorge ist, wie du dir leicht denken kannst, das sonderbare Wesen meines armen Vaters. Ist es nicht traurig, daß ein Mann, der sich so vor aller Welt ausgezeichnet hat, von einem abgelegenen Winkel des Landes zum anderen fliehen muß wie ein gemeiner Dieb? Und wir sind außerstande, sein Geschick in irgendeiner Weise zu er leichtern!«
»Aber weshalb tut er es denn, Gabriele?« fragte ich.
»O, ich kann es nicht sagen,« antwortete sie freimütig. »Ich weiß nur, daß er irgendeine drohende Gefahr über seinem Haupte schweben fühlt und daß die Ursache hierfür in seinem Aufenthalt in Ostindien zu suchen ist. Aber welcher Art diese Gefahr ist, weiß ich ebensowenig wie du.«
»Dann weiß es aber dein Bruder!« antwortete ich. »Nach der Art wie er sich mir gegenüber ausließ, bin ich überzeugt, daß er weiß, worin die Gefahr besteht, und daß er sie als wirklich vorhanden ansieht.«
»Ja, er weiß es und ebenso auch meine Mutter,« antwortete Esther, »aber sie haben es immer vor mir geheim gehalten. Mein armer Vater ist gerade jetzt wieder furchtbar aufgeregt. Tag und Nacht befindet er sich in der schrecklichsten Angst; aber bald ist ja der fünfte Oktober, und dann wird wieder Frieden herrschen.«
»Woher weißt du das?« fragte ich überrascht.
»Aus Erfahrung,« erwiderte sie ernst. Am fünften Oktober kommen alle diese Befürchtungen zu einer Krisis. Jahrelang schon pflegt er Mordaunt und mich an dem Tage in unsere Zimmer einzuschließen, so daß wir keine Ahnung haben von dem, was vorgeht! Nachher aber ist es, als ob ihm ein Stein vom Herzen gefallen wäre, und er ist auch verhältnismäßig ruhig, bis der kritische Tag wieder herannaht.«
»Dann habt ihr ja nur noch ungefähr zehn Tage zu warten,« sagte ich, denn es war jetzt Ende September. »Apropos, Liebste, weshalb sind eigentlich alle eure Zimmer des Nachts erleuchtet?«
»Hast du das bemerkt?« entgegnete sie. »Das rührt auch von meines Vaters Befürchtungen her. Er kann keine dunkle Ecke in seinem Hause leiden. Er geht nachts viel im Hause umher und sieht alles nach, von den obersten Dachstübchen bis hinunter zu den Kellern. Er hat in jedem Zimmer und in jedem Korridor, auch in den leerstehenden, große Lampen aufstellen lassen, und die Bedienten müssen sie alle anstecken, sobald es dunkelt.«
»Es nimmt mich wunder, daß ihr eure Bedienten behalten könnt,« sagte ich lachend, »die Mägde in dieser Gegend sind sehr abergläubisch, und alles, was sie nicht verstehen, erregt leicht ihre Einbildungskraft.«
»Die Köchin und beide Hausmägde sind aus London und an unsere Eigentümlichkeiten gewöhnt. Wir bezahlen außerordentlich gut, um sie für alle etwaigen Unannehmlichkeiten zu entschädigen. Israel Stakes, der Kutscher, ist der einzige, der aus dieser Gegend stammt, und er scheint ein phlegmatischer, ehrlicher Kerl zu sein, der sich nicht ins Bockshorn jagen läßt.«
»Armes Mädchen!« rief ich aus, auf die schlanke Gestalt neben mir blickend. »Das ist doch kein Leben für dich! Weshalb erlaubst du mir nicht, dich davon zu erlösen? Soll ich zum General gehen und ihn einfach um deine Hand bitten? Schlimmstenfalls könnte er sie mir doch nur abschlagen!«
Sie erbleichte bei dem bloßen Gedanken an eine solche Möglichkeit.
»Um