Eine Geschichte von zwei Städten. Charles Dickens

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Eine Geschichte von zwei Städten - Charles Dickens

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glaube das gern.«

      »Aber ich wollte eine schöne Wette darauf eingehen, Sir, daß ein Haus wie das von Tellson und Kompanie, ich will nicht sagen vor fünfzehn, sondern schon vor fünfzig Jahren florierte.«

      »Ihr könnt die Zahl dreifach nehmen und hundertfünfzig sagen, ohne weit gegen die Wahrheit zu verstoßen.«

      »Wirklich, Sir?«

      Und Augen und Mund weit aufsperrend, trat der Kellner von dem Tisch zurück, warf seine Serviette vom rechten unter den linken Arm, nahm eine imposante Haltung an und betrachtete den Gast, während dieser aß und trank, wie von einem Wachturm oder einer Sternwarte aus, nach dem stereotypen Brauch der Kellner in allen Jahrhunderten.

      Nach Beendigung des Frühstücks erhob sich Mr. Lorry, um einen Spaziergang am Ufer zu machen. Die kleine, schmale, winkelige Stadt Dover lag kaum beachtenswert an der Küste hin und verbarg wie eine Art Meeresanemone ihren Kopf in den Kalksteinklippen. Das Gestade war eine Wüste, in der Wasser und Steine sich untereinander tummelten; die See tat, was sie vermochte; und ihr Lieblingsgeschäft war Zerstören. Sie donnerte gegen die Stadt, donnerte gegen die Klippen und hauste wie toll an der Küste. Die Luft um die Häuser her hatte einen so starken Fischgeruch, daß man hätte meinen sollen, kranke Fische brauchten darin eine Luftkur, wie die kranken Menschen im Wasser drunten einer Seekur obzuliegen pflegten. In dem Hafen wurde etwas Fischerei betrieben; doch diente er noch weit mehr müßigen Spaziergängern zum Tummelplatz, die abends, namentlich um die Zeit der Fluthöhe, sich am Anblick des Meeres vergnügen wollten. Kleine Gewerbsleute ohne Geschäft kamen oft auf eine unerklärliche Weise zu großem Vermögen, und es war merkwürdig, daß in der ganzen Nachbarschaft niemand den Lampenanzünder ausstehen konnte.

      Es wurde Nachmittag, und die Luft, die mitunter so klar gewesen, daß man die französische Küste sehen konnte, füllte sich aufs neue mit Dunst und Nebel. Auch Mr. Lorrys Gedanken schienen sich zu umwölken. Als er nach Einbruch der Dunkelheit neben dem Feuer des Kaffeezimmers saß, und wie am Morgen auf das Frühstück, so jetzt auf das Diner wartete, beschäftigte sich sein Geist emsig mit Graben, Graben und Graben in den glühroten Kohlen.

      Eine Flasche guten Bordeaux' nach dem Essen konnte einem Kohlengräber bei so heißer Arbeit nicht schaden, indem sie höchstens dazu diente, ihm das Geschäft ein wenig zu verleiden. Mr. Lorry war schon geraume Zeit müßig gewesen und hatte eben mit einer so vollkommen befriedigten Miene, wie man sie nur bei einem ältlichen Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe am Schluß einer Flasche finden kann, das letzte Glas voll eingeschenkt, als sich von der engen Straße her das Gerassel eines Wagens vernehmen ließ, der bald darauf in dem Wirtshaushof haltmachte.

      Er stellte das Glas ungekostet wieder auf den Tisch und sagte zu sich selber:

      »Dies ist die Mamsell.«

      Einige Minuten später trat der Kellner ein, um zu melden, daß Miß Manette von London angelangt sei und sich darauf freue, den Gentleman von Tellson zu empfangen.«

      »So bald?«

      Miß Manette hatte unterwegs einige Erfrischungen zu sich genommen und brauchte für den Augenblick nichts, brannte aber vor Begier, den Gentleman von Tellson sogleich bei sich zu sehen, wofern es ihm gelegen und nicht unangenehm sei.

      So blieb dem Gentleman von Tellson keine andere Wahl, als mit einer Miene stummer Verzweiflung sein Glas zu leeren, sein wunderliches Flachsperücklein zurechtzurücken und dem Kellner in Miß Manettes Zimmer zu folgen. Es war ein großes dunkles Gemach mit schwarzen Roßhaarmöbeln und schweren dunkelfarbigen Tischen, so, daß man an eine Trauerparade gemahnt wurde. Man hatte diesen Hausrat so lange geölt und geölt, bis die zwei hohen Lichter der mittleren Tafel auf jedem Tischblatt düster widerstrahlten, als seien sie tief in das schwarze Mahagoniholz eingesenkt und könne kein der Rede wertes Licht von ihnen erlangt werden, bevor sie ausgegraben wären.

      Es war so dunkel, daß Mr. Lorry, der sich durch den abgenutzten türkischen Bodenteppich leiten ließ, schon glaubte, Miß Jeanette sei für einen Augenblick in das anstoßende Zimmer getreten. Als er aber die zwei hohen Kerzen hinter sich hatte, bemerkte er neben dem Tische zwischen diesem und dem Kamin, zu seinem Empfang bereit, eine junge Dame von nicht mehr als siebzehn in einem Reitkleid, die den Strohreisehut am Bande in der Hand hielt. Seine Augen ruhten auf einer kleinen, schmächtigen, hübschen Figur, einer Fülle goldenen Haars, einem Augenpaar, das dem seinigen mit fragenden Blicken begegnete, und einer Stirn, die die bei solcher Jugend und Glätte befremdliche Eigenschaft besaß, durch Heben und Zusammenziehen der Brauen eine Miene anzunehmen, die nicht gerade ein Ausdruck von Verwirrung, von Staunen, von Unruhe oder auch nur von gespannter Aufmerksamkeit genannt werden konnte, wohl aber etwas von allen diesen vier Eigenarten in sich faßte. Während nun seine Blicke auf diesem Bilde hafteten, fiel ihm plötzlich die lebhafte Ähnlichkeit mit einem Kinde auf, das er bei seiner Fahrt über eben diesen Dover-Kanal bei kaltem Hagelwetter und hochgehender See in den Armen gehabt hatte. Die Erinnerung war jedoch nur flüchtig und einem Hauch auf der Oberfläche des einzigen Pfeilerspiegels ähnlich, auf dessen Rahmen eine Spitalprozession von verkrüppelten und kopflosen schwarzen Genien einer Versammlung von schwarzen weiblichen Gottheiten in schwarzen Körben Früchte vom toten Meer darbrachten. Er machte Miß Manette eine förmliche Verbeugung.

      »Ich bitte, nehmt Platz, Sir«, begann eine sehr helle und angenehme junge Stimme mit einem ganz leichten Anflug von ausländischem Akzent.

      »Ich küß' Euch die Hand, Miß«, sagte Mr. Lorry mit den Manieren eines früheren Datums, während er nach einer abermaligen förmlichen Verbeugung seinen Sitz einnahm.

      »Ich habe gestern von der Bank einen Brief erhalten, der von einer Neuigkeit oder einer Entdeckung spricht –«

      »Das Wort ist nicht wesentlich. Miß; Ihr könnt es so oder so nennen.«

      »Das kleine Eigentum meines Vaters betreffend, den ich nie sah und der schon lange tot ist.«

      Mr. Lorry rückte auf seinem Stuhl und warf einen ängstlichen Blick auf die Spitalprozession der schwarzen Genien. Als ob sie für irgend jemand Hilfe bringen konnten in ihren abgeschmackten Körben!

      »Es soll dadurch notwendig werden, daß ich nach Paris reise und daselbst gemeinschaftlich handle mit einem Herrn, der ausdrücklich wegen dieser Angelegenheit auch nach Paris geschickt worden sei.«

      »Der bin ich.«

      »Das habe ich erwartet, Sir.«

      Sie machte einen Knix gegen ihn (damals knixten die jungen Frauenzimmer noch), um ihm damit zu verstehen zu geben, daß sie fühle, um wieviel älter und weiser er sei. Und er verbeugte sich abermals.

      »Ich habe darauf der Bank geantwortet, Sir, wenn meinen sachverständigen freundlichen Beratern meine Reise nach Paris nötig erscheine, so werde ich als eine Waise, die keinen Verwandten hat, der sie begleiten kann, mich glücklich schätzen, diesem Auftrag unter dem Schutz des würdigen Herrn nachzukommen. Der Gentleman hatte zwar London schon verlassen; aber ich glaube, es ist ihm ein Bote nachgeschickt worden mit der Bitte, er möchte die Güte haben, mich hier zu erwarten.«

      »Ich bin so glücklich gewesen, mit diesem Dienst betraut zu werden«, erwiderte Mr. Lorry. »Und noch glücklicher wird mich seine Ausführung machen.«

      »Ich danke Euch, danke Euch von ganzem Herzen, Sir. Man hat mir in der Bank gesagt, der Herr werde mir die ganze Angelegenheit auseinandersetzen, und ich müsse mich darauf gefaßt machen, überraschende Dinge zu hören. Ich habe mein Bestes getan, um mich darauf vorzubereiten, und bin natürlich in hohem Grade auf Eure Mitteilungen gespannt.«

      »Natürlich«,

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