Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.

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Geschichte Österreichs - Walter Pohl L. Reclams Ländergeschichten

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aber, wenn man nicht, wie Ernst Hanisch, eine Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert schreiben will, sondern, wie die Autorin und die Autoren des vorliegendes Bandes, eine Überblicksdarstellung der Geschichte Österreichs vom Frühmittelalter bis ins 21. Jahrhundert? Ein gangbarer Weg scheint die methodische Unterscheidung und Kombination mehrerer unterschiedlich großer Räume zu sein, zu denen bzw. an denen »Österreich« zu verschiedenen Zeiten variierende Beziehungen und Anteile hatte. Arno Strohmeyer hat 2008 den Versuch unternommen, »Österreichische Geschichte der Neuzeit« als »multiperspektivische Raumgeschichte« zu begreifen. Er geht von einer »Pluralität der Räume« der österreichischen Geschichte aus. Der Schwerpunkt seiner Überlegungen liegt »auf politischen Räumen, d. h. auf Räumen, die sich durch politische Praxis konstituierten und politische Ordnung produzierten«. Um einen Raum als Gegenstand und Bestandteil österreichischer Geschichte zu verstehen, müsse »nicht unbedingt ein genetischer Bezug aufgrund von Staatsbildungsprozessen oder der Entwicklung des Nationalbewusstseins bestehen, ausschlaggebend ist vielmehr die geographische Überschneidung. Eine so verstandene österreichische Raumgeschichte konstituiert sich somit aus der Geschichte der Räume, die das Gebiet des heutigen Österreich oder einzelne seiner Teile beinhalten oder beinhaltet haben und der Geschichte, die in diesen Räumen stattfand. Darin eingeschlossen ist die Wahrnehmung dieser Räume durch die Zeitgenossen wie rückblickend in der österreichischen und internationalen Geschichtswissenschaft.«

      Strohmeyer unterscheidet als für die (neuere) österreichische Geschichte relevante Räume – neben Europa – (1.) staatlich-territoriale Räume, (2.) europäische Mesoregionen (Zentraleuropa und Ostmitteleuropa) und (3.) das habsburgische Imperium, d. h. die die Herrschaftsräume sowohl der spanischen als auch der österreichischen (oder deutschen) Linie des Hauses Habsburg umfassende »dynastische Agglomeration«. Für unsere Zwecke relevant und praktikabel sind in erster Linie die sich im Zeitverlauf ändernden staatlich-territorialen Räume, nämlich die habsburgischen Erblande des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, die Habsburgermonarchie (1526–1918) und das Heilige Römische Reich (962–1806) bzw. der Deutsche Bund (1815–1866), die Erste Republik (1918–1933/38), das nationalsozialistische Deutsche Reich (1938–1945) und die Zweite Republik (seit 1945). Der Raumpluralismus der österreichischen Geschichte ist ein Kernproblem, dem man sich als Historiker Österreichs stellen muss: »Eine als multiperspektivische Raumgeschichte verstandene österreichische Geschichte konstituiert sich nicht aus einem Raum, dessen Entwicklung den maßgeblichen Gedanken der Sinnkonstruktion darstellt, sondern aus einem Bündel von Räumen mit jeweils einer eigenen Geschichte, spezifischen Deutungsvoraussetzungen und Quellenverhältnissen.«

      Karl Vocelka hat seiner erstmals im Jahr 2000 erschienenen Überblicksdarstellung der Geschichte Österreichs plausible Überlegungen zur Frage des räumlichen Umfangs der österreichischen Geschichte vorangestellt, die eine pragmatische Lösung der Widersprüche zwischen zwei gegensätzlichen Auffassungen des Begriffs »österreichische Geschichte«, nämlich als Geschichte des heutigen Staatsgebietes auf der einen und als Geschichte der Habsburgermonarchie auf der anderen Seite, nahelegen. »Eine allseits befriedigende Lösung wird sich nicht finden lassen, doch scheint sich die Entwicklung der letzten Zeit auf ein System konzentrischer Kreise hinzubewegen – oder, um einen Terminus aus der Fotografie zu verwenden: zu ›zoomen‹. Das heißt also, dass für die Neuzeit der deutschsprachige Teil der Donaumonarchie zwar im Mittelpunkt des Interesses der österreichischen HistorikerInnen steht, dass aber die Entwicklungen der einst mit dem Haus Habsburg verbundenen Länder, insbesondere sofern sie das wirtschaftliche, politische und kulturelle Klima beeinflussen, entsprechend berücksichtigt werden.« Ganz ähnlich ist Alois Niederstätter in der jüngsten, 2007 vorgelegten einbändigen Darstellung der Geschichte Österreichs vorgegangen. Im Vorwort hat er dies damit begründet, dass »für einen historischen Längsschnitt, der von der Eingliederung des Ostalpenraums in das römische Reich bis zur Gegenwart reichen soll«, nur »der Kompromiss« in Frage komme, »das Schwergewicht auf das heutige Staatsgebiet zu legen, aber auch weiter auszugreifen, wo es nötig erscheint«.

      Das für die österreichische Geschichte eine tiefe Zäsur darstellende Jahr 1918, die militärische Niederlage Österreich-Ungarns und die Auflösung dieses Staatsgebildes, bedeuten den meisten heutigen Österreichern kaum mehr etwas ihre eigene, historisch fundierte (nationale) Identität Berührendes, werden nicht als »unsere« Niederlage oder der Zerfall »unseres« ehemaligen Staates empfunden. Das Gegenteil gilt für die Bedeutung der Jahre 1526 (Schlacht bei Mohács) und 1920 (Friedensvertrag von Trianon) im historischen Gedächtnis der heutigen Ungarn oder der Jahre 1620/21 (Schlacht am Weißen Berg, »Prager Blutgericht«) und 1918 (Gründung der Tschechoslowakei) im nationalen Geschichtsbild der heutigen Tschechen. Die moderne österreichische Nation ist eine sehr junge Nation. Ihre wichtigsten historischen »Erinnerungsorte« sind die Jahre 1945 (Kriegsende, Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, Wiedererrichtung der Republik Österreich) und 1955 (Staatsvertrag, Ende der Besatzungszeit, Erklärung der Immerwährenden Neutralität). Die Aufgabe, eine moderne »österreichische Geschichte« oder »Geschichte Österreichs« zu schreiben, wird dadurch nicht einfacher. Eine »Geschichte Österreichs« seit dem Frühmittelalter kann jedenfalls keine »österreichische Nationalgeschichte« sein. Während die ersten Jahre nach 1918 von einer »Entösterreicherung« des Bewusstseins der Deutsch-Österreicher geprägt gewesen waren und der »Ständestaat« in den 1930er Jahren die Parole von Österreich als »zweitem deutschem Staat« ausgegeben hatte, kam es zu einer »Austrifizierung« Österreichs im engeren Sinn – Ernst Hanisch hat von der »Reaustrifizierung«, der eigentlichen österreichischen Nationsbildung gesprochen – erst nach 1945, nach dem Bruch mit Deutschland und der deutschen Geschichte. Noch 1956 waren nur 49 % der befragten Österreicher der Ansicht, die Österreicher seien eine eigene Nation, 1964 sogar nur 47 %; 1970 – nach der »Borodajkewycz-Affäre« 1965 und der Einführung eines österreichischen Nationalfeiertags im selben Jahr – waren es dann bereits zwei Drittel, und seit den späten 1980er Jahren waren stets zwischen 74 und 80 % der Befragten dieser Meinung.

      Jede »Geschichte Österreichs« ist letzten Endes ein Konstrukt, ein Konstrukt freilich, das die Österreichhistoriker nicht nur den historisch wissbegierigen Österreicherinnen und Österreichern, sondern allen an der Geschichte Europas und Österreichs in Europa Interessierten schuldig sind.

      Von der römischen Herrschaft bis zur Karolingerzeit (15 v. Chr. bis 907)1

      Von Walter Pohl

      Epochenüberblick

      Die fast 1000 Jahre von der römischen Besetzung des Ostalpen- und Donauraumes bis zur Ungarnzeit bieten kaum eine einheitliche Erzählperspektive. Zu keiner Zeit unterstand der gesamte Raum des heutigen Österreich einer länger andauernden einheitlichen Herrschaft. In der Römerzeit, von 15 v. Chr. bis 487 n. Chr., ging Roms direkter Machtbereich bis zur Donau, und auch wenn der Raum nördlich davon oft weitgehend kontrolliert wurde, gelang die mehrfach geplante Errichtung einer Provinz nicht. Auch das Karolingerreich beherrschte vom Awarensieg Karls des Großen (796) bis zur bayerischen Niederlage gegen die Ungarn bei Pressburg (907) im wesentlichen den Raum südlich der Donau, während nördlich davon die Mährer trotz mehrfacher Unterwerfung nicht integriert werden konnten. Nie befand sich in der in diesem Abschnitt behandelten Epoche auf dem Gebiet des heutigen Österreich ein überregional bedeutsames Herrschaftszentrum, es wurde meist von außerhalb dominiert. Rom beherrschte weite Teile des Raumes von Italien aus, Hunnen im 5. und Awaren im 6.–8. Jahrhundert aus dem heutigen Ungarn, das bayerische Herzogtum der gleichen Epoche von Regensburg aus, und die Residenzen des karolingischen Frankenreiches lagen zunächst noch weiter westlich, etwa in Aachen.

      Eine »Geschichte Österreichs« in dieser Zeit kann daher, nach dem Vorbild der ersten Bände der von Herwig Wolfram herausgegebenen Österreichischen Geschichte, nur von »Grenzen und Räumen« handeln, die in unterschiedlichem Maß von Mächten außerhalb des hier behandelten Gebietes dominiert und beeinflusst wurden. Dabei blieb der Raum Begegnungszone sehr unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen: von Kelten, Römern

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